Alexandra Popp klatscht nach einem Länderspiel in die Hände. © picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Ende des EM-Fluchs: Kapitänin Popp freut sich auf ihre Premiere

Stand: 29.06.2022 10:15 Uhr

Die Wolfsburgerin Alexandra Popp hat mit 31 noch keine Fußball-Europameisterschaft gespielt. Verletzungen und zuletzt auch noch Corona trieben die Kapitänin der deutschen Nationalmannschaft auf ihrem Weg nach England fast zur Verzweiflung.

von Ines Bellinger

Als sich die deutschen Fußballerinnen am 15. Juni im Trainingscamp in Herzogenaurach zum offiziellen Mannschaftsfoto für die Fußball-Europameisterschaft aufstellten, stand das Schlimmste zu befürchten. Alexandra Popp fehlte, die Kapitänin. Sie hatte sich mit dem Coronavirus infiziert, drei Wochen vor der Euro in England. Es ist nicht irgendein Turnier für die Wolfsburgerin. Mit 31 Jahren und 114 Länderspielen auf dem Buckel ist Popp zwar Olympiasiegerin und hat mit dem VfL auf Vereinsebene alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt - eine EM hat sie bis dato aber nicht gespielt.

Corona-Infektion: "Das kann jetzt nicht sein"

Der Schrecken steht ihr noch ins Gesicht geschrieben, als sie für den ARD-Film "Das Comeback der Kapitänin" über den Moment berichtet, als sie das Ergebnis des Corona-Tests bekam: "Das kann jetzt nicht sein. Das kann mir jetzt nicht den Strich durch die Rechnung machen", habe sie gedacht und "einfach nur gehofft, dass es ganz schnell, wie es gekommen ist, auch wieder geht". Popp wusste, dass es sehr knapp werden würde, "der Zeitraum bis zur EM und die Trainingseinheiten, die ich benötigen werde. Da bin ich doch sehr nervös geworden."

EM 2013 opfert sie - 2017 fehlt sie erneut verletzt

Kein Wunder, denn auf ihrer persönlichen Geschichte mit Europameisterschaften schien bisher ein Fluch zu liegen. 2013 opferte sie ihre mögliche EM-Teilnahme, als sie mit einem Bänderriss im Sprunggelenk im Champions-League-Finale auflief. Zwar wurde dieser Einsatz für den VfL Wolfsburg mit dem Gewinn des Triples belohnt, den Triumph ihrer Mitspielerinnen bei der Euro in Schweden erlebte sie aber nur vor dem Fernseher.

"Ich habe noch keine verdammte EM gespielt, und ich will diese EM jetzt spielen." Alexandra Popp

Vier Jahre später lief es nicht viel besser. Popp, längst zur Stammkraft in der Auswahl gereift, zog sich kurz vor der EM in den Niederlanden in einem Trainingsspiel einen Meniskusriss und eine Außenbanddehnung im linken Knie zu. Und auch dieses Mal schien es schon lange vor dem Turnier in England schiefzugehen.

Knorpelabriss - "verdammte EM"

Im April 2021 verletzte sie sich schwer am Knie - Knorpelabriss an der rechten Kniescheibe. Es gibt nicht wenige Fußballer, die nach so einer schweren Verletzung nicht mehr zurückkommen. Doch Popp nimmt den Kampf an. Es wird ihr sportlich schwerster, denn Rückschläge in der Reha zwingen sie mehrfach in eine Verlängerung der Geduldsprobe. Vor allem ein Gedanke lässt sie durchhalten: "Ich habe noch keine verdammte EM gespielt, und ich will diese EM jetzt spielen."

Emotionales Comeback

Bis zum Comeback in der Bundesliga dauert es schließlich mehr als zehn Monate, in der Nationalmannschaft macht sie nach 17 Monaten erstmals wieder ein Spiel. Als sie im April beim 3:0 gegen Portugal eingewechselt wird, streift ihr Svenja Huth die Kapitänsbinde über. Popp ist emotional angefasst, nach dem Abpfiff steht sie schluchzend auf dem Rasen: "Man sieht mich selten weinen", sagte sie, "aber in dem Moment sind tatsächlich die Tränen gekullert."

Und nun, kurz vor der Ziellinie: Corona! "Ich dachte, du hast jetzt ein Jahr gearbeitet für die Europameisterschaft. Das darf jetzt auf den letzten Metern echt nicht sein", sagt sie. Statt Training mit der Mannschaft war plötzlich Gymnastik in der Isolation auf ihrem Zimmer angesagt. Sie habe nur leichte Symptome gehabt und - dieses Mal endlich - auch ein bisschen Glück. Nach sieben Tagen war der Befund negativ und nach dem Belastungs-EKG ging auch bei den Medizinern der Daumen nach oben.

Voss-Tecklenburg: "Poppi stirbt für jemanden auf dem Platz"

Zwischendurch hatte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ihren endgültigen EM-Kader nominiert - natürlich mit der Kapitänin, die sich darüber freute "wie ein kleines Kind. In der Situation war ich noch nie vor einer Europameisterschaft. So weit habe ich es noch nie geschafft."

Auch Voss-Tecklenburg war erleichtert. Sie hat Popp schon vor mehr als einem Jahrzehnt in Duisburg trainiert und schätzt die willens- und durchsetzungsstarke Spielerin. "Poppi stirbt ja für jemanden auf dem Platz. Poppi gibt einfach immer alles", sagt sie. Aber Popp hat nicht nur sportlich einen enormen Wert für das Team. "Poppi ist eine der wenigen Spielerinnen, die in der Lage sind, auch mal unangenehme Dinge auszusprechen", sagt Voss-Tecklenburg. "Sie ist eben ein Typ, und ich bin der festen Überzeugung, dass du Turniere nur mit Typen gewinnen kannst."

Popp: Haben Qualität für den Titel

Nicht weniger als den Titel strebt Popp mit dem Team in England nun auch an. Zwar gilt Rekord-Sieger Deutschland längst nicht mehr als Topfavorit. Aber: "Wir haben die Qualität, um Europameister werden zu können", sagt die Anführerin. "Davon bin ich fest überzeugt. Vielleicht nimmt es der Mannschaft auch einen gewissen Druck, dass gar nicht jeder erwartet, dass man oben auf dem Thron sitzt."

Voss-Tecklenburg hat in ihren Planungen berücksichtigt, dass Popp nach fast einen Jahr Fußballpause und mit Corona im Anzug körperlich vielleicht nicht in Topform in England auflaufen könnte. Sie will die vielseitige und torgefährliche Spielerin (53 Länderspieltore) dort bringen, wo sie sich sowieso am wohlsten fühlt und nicht dort, wo sie sich zu sehr aufreibt. "Auch wenn Poppi lange nicht gespielt hat, hat sie einfach ein Stürmerinnen-Gen", sagt die Bundestrainerin. "Es ist ihre Lieblingsposition, und es löst auch etwas bei den Gegnerinnen aus."

Nun, für Popp könnte es definitiv ein schlimmeres Szenario geben, als zu ihrer ersten EM zunächst vielleicht nur als Edeljokerin zu reisen. So richtig heranlassen wird sie das nahende EM-Glück aber erst mit dem Touchdown in London-Luton. "Wenn ich meinen Fuß aus dem Flugzeug setze, auf englischen Boden", sagt sie, "dann bin ich sehr, sehr happy."

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Sportschau | 03.07.2022 | 19:15 Uhr

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