Trainer Tim Walter vom Fußball-Zweitligisten Hamburger SV © Witters

Die Ausrutscher des HSV: Keine Frage der Qualität, sondern des Systems

Stand: 16.04.2023 15:49 Uhr

Fußball-Zweitligist Hamburger SV hat bei der 0:2-Niederlage beim 1. FC Kaiserslautern erneut vermeidbare Gegentreffer kassiert. Das riskante Spielsystem von Coach Tim Walter könnte die Hamburger letztlich den Bundesliga-Aufstieg kosten.

von Hanno Bode

Wer herzhaften Brotaufschnitt sucht, der ist in der Innenstadt von Kaiserslautern gut aufgehoben. Etliche Metzgereien befinden sich im Herzen der Universitätsstadt. Es ist nicht überliefert, ob Terrence Boyd eine dieser Fleischereien im Vorfeld der Partie seines 1. FC Kaiserslautern gegen den Hamburger SV aufgesucht hat. Wer den gebürtigen Bremer nach seiner Einwechslung im Duell der Traditionsclubs am Samstagabend jedoch beobachtete, der könnte schon auf der Verdacht gekommen sein, dass der 32 Jahre alte Angreifer die eine oder andere Scheibe Blutwurst vor Spielbeginn verzehrt hat.

Der Deutsch-Amerikaner warf sich in jeden Zweikampf, rannte, als wenn die Polizei wegen Ladendiebstahls hinter ihm her sei, peitschte die ohnehin frenetischen FCK-Fans weiter an und erzielte schließlich per Hacke das 1:0 für die Pfälzer. Statt die beleidigte Leberwurst zu spielen, weil ihn Coach Dirk Schuster erstmals in dieser Saison auf die Bank gesetzt hatte, ging Boyd hochmotiviert zu Werke. Er war das "Mentalitätsmonster", das dem HSV an diesem Abend fehlte.

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Nur zwei Siege aus sieben Spielen

In einer Partie, die bis zum Führungstreffer der Hausherren ebenso ausgeglichen wie langatmig war, wollten die Pfälzer den Sieg in der Schlussphase mehr als der Tabellendritte aus Hamburg. Ein bedenklicher Umstand. Denn während die "Roten Teufel" den Klassenerhalt bereits perfekt gemacht hatten und die Saison nun ruhig ausklingen lassen können, will der HSV doch so gerne aufsteigen. Beziehungsweise: Er wird aufsteigen. Das jedenfalls erzählt Coach Tim Walter nun schon seit Wochen gebetsmühlenartig. Warum sich der 47-Jährige seiner Sache so sicher ist, erschließt sich dem neutralen Beobachter allerdings nur bedingt.

Natürlich, der Nordrivale Hannover 96 war in der Vorwoche im eigenen Stadion mit 6:1 deklassiert worden. Aber der Kantersieg gelang eben gegen eine Mannschaft, die in der Rückrunde kein Bein mehr auf den Boden bekommt. Und es war eben auch nur einer von zwei Erfolgen aus den vergangenen sieben Begegnungen. Der Trend spricht also aktuell eher dafür, dass die Hanseaten die ersehnte Rückkehr in die Beletage auch im fünften Anlauf verpassen werden.

"Haben den Gegner zum Toreschießen eingeladen"

Auf dem Betzenberg zeigte der HSV zwar fraglos keine schlechte Leistung. Aber eben auch keine gute. Und vor allem mangelte es den Gästen am Ende an der Gier und Galligkeit, die Lautern und insbesondere Boyd an den Tag legten. Insbesondere die Kreativabteilung, und hier ganz besonders László Bénes, enttäuschte. Mit Ausnahme von Rechtsaußen Bakery Jatta tauchten die Hamburger Offensivkräfte nahezu komplett unter. "Heute waren wir in der Spitze nicht zwingend genug", kritisierte Walter, der zudem das Zustandekommen der Gegentreffer beklagte: "Wir haben den Gegner dazu eingeladen, Tore zu schießen."

Reis patzt auf dem Betzenberg doppelt

Eine korrekte Analyse. Vor dem 0:1 von Boyd brachte Keeper Daniel Heuer Fernandes Ludovit Reis mit einem miserablen Pass in die Bredouille. Dass der Niederländer das Zuspiel nicht ins Seitenaus kullern ließ, sondern annahm und den Ball dann an Jean Zimmer verlor, sollte sich als folgenschwere Entscheidung herausstellen. Denn Lauterns Kapitän hatte danach freie Bahn und bereitete den Führungstreffer perfekt vor. Und vor dem 2:0 der Gastgeber durch Aaron Opoku, der vor einigen Monaten beim HSV vom Hof gejagt wurde, ließ sich Reis nach einem Stellungsfehler viel zu leicht im Laufduell von Philipp Hercher abschütteln.

"Wir haben denen zwei Dinger vor die Linie gelegt. So ist Fußball, es ist ein Fehlersport. Wir gewinnen zusammen und wir verlieren zusammen. Das wirft uns aber nicht um. Es ist ärgerlich, aber morgen geht es weiter", sagte Walter.

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Nun ist das mit den "Dingern", die der HSV seinen Gegnern "vor die Linie legt", ja so eine Sache. Immer wieder sind die Hamburger in dieser Saison durch teilweise abstruses Abwehrverhalten verhaltensauffällig geworden. Die Defensivschwäche einzig und allein auf den Ausfall des wegen Epo-Dopings gesperrten Innenverteidigers Mario Vuskovic zurückzuführen, wäre zu einfach. Und schlichtweg falsch. Denn der Fehler liegt diesbezüglich im System. In Walters System. Der Trainer setzt unvermindert auf eine sehr offensive taktische Ausrichtung und fordert von seinem Team, auch unter Bedrängnis spielerische Lösungen zu wählen. Nicht jeder, aber doch viele der Hamburger Ballverluste führen zu Chancen des Gegners.

Der Hochrisiko-Fußball des HSV ist fraglos zumeist unterhaltsam. Ob er am Ende von Erfolg gekrönt sein wird, darf zumindest angezweifelt werden. Der durchwachsene Auftritt auf dem "Betze" war jedenfalls keine Kampfansage an die Konkurrenz im Aufstiegskampf. Walter aber ist weiter felsenfest davon überzeugt, dass sein Team den Sprung in die Bundesliga schaffen wird. "Wir stehen wieder auf. So, wie wir es die ganze Saison schon gemacht haben. Abgerechnet wird am Ende", sagte der 47-Jährige.

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HSV mit Negativerlebnis ins Stadtderby

Gelegenheit, sich für die Pleite in Kaiserslautern zu rehabilitieren, bietet sich dem HSV bereits am kommenden Freitag (18.30 Uhr, im Livecenter bei NDR.de). Dann steht das Stadtderby gegen den FC St. Pauli an, der die HSV-Vorlage am Sonntag nicht nutzen konnte und Eintracht Braunschweig unterlag. Die Generalprobe des Kiezclubs am Sonntag gegen Eintracht Braunschweig verfolgte Walter übrigens nicht live im TV. "Ich gucke nie Zweite Liga", sagte der Trainer bei "Sky". Klingt vielleicht arrogant und überheblich, zeugt letztlich aber eben auch vom Vertrauen in die Stärke seiner eigenen Mannschaft.

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Sportclub | 16.04.2023 | 22:50 Uhr

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