Coach Andre Breitenreiter (r.) vom FC Zürich umarmt seinen Stürmer Assan Ceesay © IMAGO / Geisser

André Breitenreiter: In Hannover gefeuert, in Zürich gefeiert

Stand: 08.03.2022 10:22 Uhr

Zweieinhalb Jahre lang war André Breitenreiter nach seinem Rauswurf bei Hannover 96 vereinslos, bevor er im vergangenen Sommer Coach des FC Zürich wurde. Mit dem Schweizer Traditionsclub schreibt der 48-Jährige eine der bemerkenswertesten Erfolgsgeschichten im europäischen Fußball.

Ziemlich abgekämpft waren die Züricher Profis nach ihrem 2:0-Arbeitssieg in der Super League am vergangenen Sonnabend beim FC Lausanne-Sport. Die dritte Partie binnen einer Woche hatte noch einmal viel Kraft gekostet, zumal der gastgebende Tabellenletzte der Breitenreiter-Elf im Flutlichtspiel viel abverlangt hatte. Der aus Langenhagen stammende Trainer versammelte seine Kicker nun wie nach jeder Begegnung im Mannschaftskreis und sorgte dort nach einer kurzen Ansprache für große Heiterkeit.

Dabei hatte der frühere Bundesliga-Stürmer keinen Witz erzählt, sondern seinen Spielern lediglich einen freien Tag in Aussicht gestellt. Für diese Belohnung mussten sich die FCZ-Kicker allerdings ein letztes Mal an diesem Tag sputen, wie Breitenreiter später in einem Schweizer TV-Interview verriet: "Wir hatten noch eine lange Fahrt im Bus vor uns. Der Fahrer hat darum gebeten, dass wir uns ein wenig beeilen sollten. Ich habe den Jungs gesagt, dass sie einen Tag länger frei haben, wenn wir es schaffen, vor 23 Uhr im Bus zu sitzen."

Zürich enteilt der Konkurrenz

Breitenreiter trifft bei seinen Fußballern den richtigen Ton. Auch ein Blick auf die Tabelle der Schweizer Eliteliga lässt daran keinen Zweifel: Nach 25 Spieltagen führt Zürich das Klassement mit 15 Zählern Vorsprung vor Titelverteidiger Young Boys Bern an. Der Meister hatte am Sonnabend beim 2:2 gegen den FC Luzern erneut Federn gelassen. Daraufhin wurde Coach David Wagner am Montag von seinen Aufgaben entbunden.

Für den früheren Trainer des FC Schalke 04 endete sein Engagement in der Alpenrepublik damit vorzeitig. Auch, weil ein anderer ehemaliger Übungsleiter des Gelsenkirchener Zweitligisten mit seiner Mannschaft von Sieg zu Sieg eilt: Andre Breitenreiter.

Breitenreiter vor erster Meisterschaft als Trainer

Keins der vergangenen 17 Spiele hat Zürich verloren und dabei 14 Siege gefeiert. Der erste Meisterschaftsgewinn seit 2009 ist für den Club, der in Vorjahren gegen den Abstieg kämpfte, zum Greifen nah. Und das dank eines Trainers, der sich nach eigener Aussage lange dagegen sträubte, ins Ausland zu wechseln. "Ich habe immer Vereine in Deutschland favorisiert. Aber ich stelle jetzt fest: Diese Offenheit für das Ausland hätte ich gern viele Jahre früher gehabt. Mir gefällt es hier sehr gut und ich schätze das sehr", sagte der 48-Jährige.

Einen Titel hat Breitenreiter in seiner Trainerlaufbahn noch nicht gewonnen. Die Liste seiner Erfolge ist dennoch beachtlich. Den SC Paderborn führte er 2014 sensationell zum ersten Bundesliga-Aufstieg der Vereinsgeschichte. Mit Schalke wurde er zwei Jahre später in der Beletage Fünfter und Hannover 96 stieg unter ihm 2017 in Liga eins auf.

Persönliche Gründe für lange Fußball-Pause

Trainer André Breitenreiter © imago/Thomas Bielefeld
André Breitenreiter legte nach seiner Entlassung bei Hannover 96 eine lange Pause ein.

Trotzdem blieb in der öffentlichen Wahrnehmung häufig etwas anderes hängen. Dass Breitenreiter bei 96 auf Platz 17 gehen musste. Oder mit Schalke die Champions League verpasste. Dass zwischen seiner Freistellung in Hannover und dem Wechsel nach Zürich zweieinhalb Jahre vergingen, schien den Eindruck mangelnder Wertschätzung auf den ersten Blick zu bestätigen. Doch die traurige Wahrheit ist: In dieser Zeit starb seine Mutter, und er kümmerte sich um seinen dementen Vater.

Im Leben von André Breitenreiter gab es Wichtigers, als auf einem Trainerstuhl zu sitzen. Offerten aus dem In- und Ausland lehnte er bis 2021 ab.

Zürich-Boss Canepa schon lange ein Breitenreiter-Fan

Dann aber trat Ancillo Canepa auf den Plan. Der charismatische Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater ist seit 2006 Präsident des FC Zürich - und Bundesliga-Fan. "Ich verfolge den Fußball in Deutschland seit vielen Jahren. Breitenreiter ist mir früh aufgefallen. Seine Mannschaften habe ich in guter Erinnerung. Mich begeisterte, wie Paderborn unter ihm aufspielte. Dann sah ich Leverkusen gegen Breitenreiters Hannover. Nur Hannover spielte. Schnelles Umschalten, zack, zack, Leverkusen hatte keine Chance", sagte der Vereinspatron der Schweizer Nachrichtenagentur "Keystone-SDA".

Diesen attraktiven Fußball wollte der 68-Jährige auch von seinem Club sehen. Er traf sich mit Breitenreiter - und beide waren schnell auf einer Wellenlänge. Der Coach erhielt einen Zweijahresvertrag.

Riesigen Umbruch im Sommer perfekt gemeistert

Marc Hornschuh vom FC Zürich © IMAGO / Geisser
Marc Hornschuh kam von der U21 des HSV zum FC Zürich.

Dass die Zusammenarbeit bereits in der ersten Saison derart erfolgreich ist, war nicht zu erwarten, vollzog der FCZ im vergangenen Sommer doch einen riesigen personellen Umbruch. 14 Spieler verließen den Club, elf neue wurden verpflichtet. Darunter Akteure wie die früheren St.-Pauli-Profis Akaki Gogia und Marc Hornschuh sowie Moritz Leistner, die bei ihren vorigen Clubs entweder außen vor waren oder wie im Falle von Hornschuh nicht mehr ins Anforderungsprofil passten.

Der Vertrag des Defensiv-Allrounders bei der U21 des Hamburger SV wurde nicht verlängert. Nun darf der 31-Jährige vom ersten Titelgewinn seiner Karriere träumen.

Kein Blick zurück im Zorn

Breitenreiter hat es in erstaunlich kurzer Zeit geschafft, dem neu formierten Team eine Handschrift zu geben. So sehr der frühere 96-Trainer den Erfolg auch genießt, so bodenständig ist er geblieben. Statt seinen eigenen Anteil am Auftrumpfen des FC Zürich in den Mittelpunkt zu stellen, verteilt der 48-Jährige Lob an alle Seiten. "Ich habe vertrauensvolle Leute an meiner Seite, wir haben gute Analysen gemacht, gute Transferentscheidungen gefällt und meine Spielidee sehr schnell auf die Mannschaft übertragen. Diese Mannschaft hat eine sehr gute Mentalität, viel Wissbegierigkeit und Lernwillen", so der Coach.

Mit Blick auf seine Ex-Clubs Hannover und Schalke, bei denen es nach seinen Entlassungen kontinuierlich bergab ging, könnte der 48-Jährige nun als Meistermacher in spe genüsslich nachkarten. Doch davon ist Breitenreiter so weit entfernt wie seine früheren deutschen Arbeitgeber von der Champions League: "Ich spüre weder Genugtuung noch Frustration, und ich muss auch niemandem etwas beweisen."

Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 01.03.2022 | 10:25 Uhr

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