Das Wunder vom Hamburger Berg: Neuntligist träumt vom DFB-Pokal
Kreisklasse-Club FC Hamburger Berg steht sensationell im Viertelfinale des Hamburger Fußball-Verbandspokals und ist nur noch drei Siege von einer Teilnahme am DFB-Pokal entfernt. Viele Spieler des Vereins sind eigentlich zu gut für Liga neun. Das Problem: Sie stehen nur unregelmäßig zur Verfügung.
Ralph Hoffmann sieht das Unheil auf seine Mannschaft zukommen. "Spielt den Ball, ihr verdaddelt zu viel", ruft der Präsident vom "Berg", wie der Club überall nur gerufen wird, ein paar Minuten vor der Halbzeit des Kreisklasse-Duells seiner Kicker beim SC Teutonia 10 II aufs Feld. Kurz darauf schlägt eine Bogenlampe von Eray Cakir hinter Keeper Hamid Awal zur 2:1-Führung der Hausherren ein. Wie bereits beim Gegentor zum 1:1 gibt der Schlussmann dabei eine unglückliche Figur ab.
Awal hütet an diesem sonnigen, aber sehr windigen Sonntagmorgen das Gehäuse des Aufstiegskandidaten, weil der etatmäßige Stammkeeper Patrick Antwi verhindert ist. Damit muss das Team immerhin auf einen Ex-Nationalspieler verzichten. Der 34-Jährige gehörte früher zum Kader der ghanaischen Auswahl und ist neben dem einstigen St.-Pauli-Profi Morike Sako der prominenteste Kicker im knapp 50 (!) Akteure großen Aufgebot des Clubs.
Große Personalrochade beim Kreisklassisten
Der inzwischen 40 Jahre alte Angreifer fehlt gegen Teutonia aber ebenso wie Antwi und viele andere Akteure. Mit dem vermeintlich besten Aufgebot kann der "Berg" so gut wie nie auflaufen. "Wir kriegen leider keine Kontinuität rein, ansonsten würde es deutlich besser aussehen. Meistens ist die Arbeit daran schuld, dass die Spieler nicht zum Training oder zum Spiel kommen können", erklärt Vereinsboss Hoffmann dem NDR. Der erhoffte Kreisliga-Aufstieg ist deshalb in Gefahr. Aktuell ist die Mannschaft Tabellenvierter, hat allerdings noch einige Nachholpartien in der Hinterhand.
Während die Leistungen des Teams im Liga-Alltag aufgrund der großen Personalrochade wechselhaft sind, wuchs es im Hamburger Pokalwettbewerb über sich hinaus. Auf dem Weg ins Viertelfinale wurde unter anderem in der zweiten Runde der unangefochtene Landesliga-Spitzenreiter Eimsbütteler TV mit 2:0 im Elfmeterschießen ausgeschaltet.
"Unsere Jungs können Fußball spielen"
Wie das Wunder vom Hamburger Berg seinen Lauf nehmen konnte, darüber rätselt die Konkurrenz. Für Hoffmann ist es hingegen ganz simpel zu erklären. "Wir folgen da einem bestimmten Plan. Immer, wenn der Hamburger Fußball-Verband ein Pokalspiel ansetzt, treten wir an", sagt der Präsident mit einem Augenzwinkern. "Und unsere Jungs können Fußball spielen", ergänzt er. Zuweilen aber - das zeigt die Partie bei Teutonia 10 - vernachlässigen die talentierten Akteure des Multikulti-Teams ein wenig die schnöde Verteidigungsarbeit.
"Mensch, go back, Sharif", herrscht Hoffmann im zweiten Abschnitt seinen Linksaußen Sharif Deen Osman nach einem Ballverlust an. Der Angreifer war frustriert stehen geblieben.
Kicker aus über 15 Nationen spielen beim Hamburger Berg
Dass sich der Präsident bei seinen Anweisungen sowohl der englischen als auch deutschen Sprache bedient, hat einen guten Grund. Im Kader des "Bergs" stehen Spieler aus über 15 Nationen. Der Club engagiert sich seit seiner Gründung 2014 stark für Flüchtlinge. "Als die erste Flüchtlingswelle aus Lampedusa kam, da waren wir fast eine Sozialstation. Da haben wir uns um sehr viele Dinge gekümmert, die mit Fußball gar nichts zu tun haben. Das ist inzwischen sehr viel besser geworden, da es viele Programme von der Stadt gibt", erklärt Hoffmann.
Zeitweise standen damals 100 Flüchtlinge auf dem Schlackeplatz des Vereins in der Bahrenfelder Wichmannstraße und suchten beim Fußballspielen Zerstreuung. "Wenn Flüchtlinge in unser Land kommen, kriegen sie natürlich einen Trainingsplatz. Und wenn man dann sieht, dass sie Kleidung brauchen, bekommen sie auch welche. Das ist doch selbstverständlich", sagt Hoffmann.
Verein wurde von Tresen- und Sicherheitskräften gegründet
Nächstenliebe ist beim Neuntligisten mehr als nur ein großes Wort. Hier wird sie gelebt. Diese Vereinsphilosophie gründet auch auf der Herkunft des Vereins, dem Stadtteil St. Pauli. Denn auf der sündigsten Meile der Welt ist der Zusammenhalt der dort Beschäftigten und Anwohner seit jeher groß. Zu sehen war dies beispielsweise während der Corona-Lockdowns, als der berühmt-berüchtigte "Elbschlosskeller" zu einer Ausgabestelle für Essen und Kleidung für Obdachlose umfunktioniert wurde.
Die nach Angaben des Besitzers "härteste Kneipe" der Welt ist wie die schräg gegenüberliegende Lokalität "Zum Goldenen Handschuh", in der einst der Serienmörder Fritz Honka Stammgast war, eine der Attraktionen der Seitenstraße Hamburger Berg. Der gleichnamige Fußballverein wurde vor acht Jahren von Tresen- und Sicherheitskräften gegründet, die in Geschäften am Berg ihren Lebensunterhalt verdienen.
- Teil 1: Große Personalrochade beim Kreisklassisten
- Teil 2: "Wir haben nichts zu verlieren"
