Ein Junge sprüht das Friedenssymbol auf eine Wand. © picture alliance / Frank May Foto: Frank May

Kolumne: Aufstand der Anständigen

Stand: 21.01.2024 05:00 Uhr

Die Abschiebefantasien einiger AfD-Politiker und ihrer Unterstützer haben Schock und Bestürzung ausgelöst. Für Betroffene ist das Klima der Ausgrenzung nicht neu. Ihre Angst geht aber uns alle an, sagt unsere Kolumnistin. Ein Plädoyer für Anstand, Herz und Moral.

von Stella Kennedy

Während meiner Recherche zu diesem Text schwirrt mir der Kopf. Wenn ich Artikel, Schlagzeilen, Instagram-Posts zu dem lese, was inPotsdam von politisch Einflussreichen gesagt und geplant wurde, bin ich teils bestürzt, teils wütend und fühle mich dann wieder machtlos. Ich bin bestürzt, weil es so krass ist, dass ohne Scham, gerade mal 79 Jahre nach Weltkriegsende, eine Art "ethnische Säuberung" geplant wird. Wir erinnern uns: Auch unter den Nazis sollten "Nicht-Deutsche" aus dem "Volkskörper" entfernt werden. Das NS-Regime nutzte dabei Begriffe wie "Deportation", "Umsiedlung" und "Verschleppung".

 

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NDR Reporterin Stella Kennedy. © NDR Foto: Daniela Vagt

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Die Devise: Schlimm, aber das betrifft mich nicht

Ich bin wütend, weil ich es nicht fassen kann, wie man satt, warm und von Frieden umgeben (!) anderen diese Sicherheiten wegnehmen möchte. Ich bin ohnmächtig, weil ich nicht weiß, was ich genau jetzt machen kann, damit alles gut wird. Weil die Welt und Deutschland keine Schneekugel sind, die ich schütteln kann, und dann fallen Glitzerflocken auf alles und machen es schön, Weltfriede, Blabla.

Es gibt allerdings auch eine Sache, die ich nicht fühle: Angst. Klar, spüre ich ein leicht schauderndes Gefühl von Grusel. Aber Angst, existentielle Furcht um die eigene Zukunft, die spüre ich als deutsche Person mit weißer Hautfarbe und einem beträchtlichen Arsenal an Privilegien nicht.

Warum? Weil ICH persönlich, MEINE Familie ja nicht gemeint ist. Wir passen ja auch perfekt hinein in die rassistische Ästhetik aller angeblich "Heimatliebenden", auf die sich auch AfD-Politiker Ulrich Siegmund bezog, als er davon gesprochen haben soll, dass sich "das Straßenbild" ändern müsse.

Die ewige Sehnsucht nach einem Früher, das es nie gab

In den Augen all jener, die ihre diffuse Sorge vor Überfremdung in die Arme rhetorisch einschmeichelnder AFD-Politik treibt, brauchen wir ein "Früher" zurück. Ein "Straßenbild", in dem die malerischen historischen Fassaden den gemütlichen Metzgerladen und die gute alte Bäckerei beheimaten. Wo blondgelockte, rotwangige Muttis mit ihren verspielten Kleinen den Einkauf fürs traute Familienessen einkaufen. Während geschäftige und vor allem echte (!), deutsche Männer ihrem ehrenvollen Beruf (etwas mit den Händen) nachgehen.

Ein "Früher", in dem es eine achso-beruhigende Homogenität gibt, eine inselartige Polly-Pocket-Welt, in der alle gleich sind, weiß sind, "ein Volk" halt. Was soll ich sagen: Gibt's nicht, gab's nie, wird's nie geben! Angst dagegen gibt's. Die ist real. Die ist da, mehr denn je: Gefühlt von all denen, die da nicht reingehören dürfen und sollen.

Warum so überrascht, Deutschland?

Meine geschätzte Journalisten-Kollegin Büşra Delikaya vom Tagesspiegel bringt es in ihrem Artikel "Warum so überrascht, Deutschland?: Wir spüren den Rassismus jeden Tag" auf den Punkt: "Wir mit Migrationsgeschichte wissen, dass wir nicht in zwei Wochen massenhaft abgeschoben werden. Die Angst liegt vielmehr darin, was solche Enthüllungen mit unseren Erwartungen und dem Maßstab des Möglichen machen", schreibt sie.

"In Deutschland war man schon wegen weniger schockiert. Wir stumpfen ab. Irgendwann fangen wir an, über das Schockierende von gestern ernsthaft zu diskutieren. Und irgendwann akzeptieren wir das, was heute noch undenkbar ist". Delikaya hat mit Blick auf die sich stets wiederholende Geschichte natürlich recht und um das "irgendwann" müssen wir uns JETZT kümmern.

Aufstand der Anständigen

Es braucht anscheinend immer wieder einen "Aufstand der Anständigen". Ein "auf den Tisch hauen" von denen also, die ganz simpel gesagt der goldenen Regel folgen: "Was Du nicht willst, das man Dir tu', das füg' auch keinem anderen zu". Ein auf die Straße und in die Wahlkabinen gehen von denen, die satt, warm und von Frieden umgeben sind UND dieses auch anderen Menschen gönnen.

Dazu gehöre ich und hoffentlich auch Sie, die Sie dies lesen, und auch Sie, die Sie das nicht lesen, aber trotzdem fühlen. Denn das alles hier "gehört" keinem von uns, Stichwort Geburtslotterie. Das einzig wahrhaftig Wichtige, das wir alle, die wir hier leben, haben, ist der Frieden, der wohlgemerkt demokratische Frieden. Und der ist fragil.

Wir sind hier alle zusammen drin

Grundrechte gelten für alle: für Menschen verschiedener Hautfarben, Sprachen und Länder. Ich schrieb letztens darüber, dass wir für eine leistungsfähige, eine demokratische, eine friedliche Gesellschaft alle brauchen; jede und jeden. Darauf muss der Fokus liegen. Wir Anständigen sind immer noch mehr, viel mehr, das dürfen wir auch beim lautesten Geschrei von rechts nicht vergessen. Auf ein gemeinsames Zusammenrücken, damit alle, die jetzt Angst bekommen haben, wissen: Sie sind nicht allein; Ihr seid nicht allein!

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin Schleswig-Holstein – mit Mandy Schmidt und Horst Hoof | 19.01.0024 | 04:59 Uhr

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