Kindern fahren mit ihren Schlitten einen Berg hinunter. © picture alliance / Westend61 Foto: Hans Huber

Kolumne: Pisa-Schock im Schneegestöber

Stand: 09.12.2023 11:10 Uhr

Nicht nur rutschen wir gerade mit dem Schlitten schneebedeckte Hügel runter, auch mit den Schulergebnissen geht's rapide bergab - so die jüngste Pisa-Studie. Mit Dummheit hat das wenig zu tun, viel mehr mit mangelnder Gerechtigkeit, argumentiert unsere Kolumnistin.

von Stella Kennedy

"Leise rieselt die Vier auf das Zeugnispapier. Fünfen und Sechsen dazu. Freue dich, sitzen bleibst du. Traurig gehst du nach Haus, alle lachen dich aus." Diese unfassbar gemeine Weihnachtslied-Umdichtung grölte auch schon ich über unseren winterlichen Schulhof vor vielen, vielen Jahren. Seit die Pisa-Ergebnissevor einigen Tagen veröffentlicht wurden, streut die Version aber unangenehm viel Salz in die Wunde. Wie bei Salz auf Schnee offenbaren die Ergebnisse nämlich was darunter liegt: In diesem Fall, viele Probleme.

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Vielleicht "goofy", aber definitiv nicht schuldig

Vorne weg: An den Jugendlichen liegt's nicht, auch wenn die uns eigentlich schon warnten. Sie erinnern sich, das Jugendwort des Jahres war "goofy". Laut dem "Oxford English Dictionary" synonym mit den Wörtern "stupid" und "silly", zu Deutsch "doof" oder "blöd"... Nein, nein. Gerade ich, die beim ersten "Pisa-Schock" 2001/2002 selbst betroffene Jugendliche war, muss allein aus Selbstachtung darauf pochen, dass wir auf's System schauen. Denn schon damals wurde mit Schrecken erkannt, dass in keinem anderen westlichen Industrieland die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler so stark von ihrer sozialen Herkunft abhängen wie in Deutschland.

Reagiert wurde damals mit "massiven Forderungen an die Bildungspolitik, durch schnelles und entschlossenes Handeln das Schulsystem und seine Leistungsergebnisse zu verbessern", heißt es bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Das große Thema von der dramatisch mangelnden Bildungsgerechtigkeit hätte heute, zwanzig Jahre später (!), somit eigentlich Schnee von gestern sein müssen. Eigentlich. Auch hier bei uns in Schleswig-Holstein sind es leider die Merkmale Armut und Migration, die für Chancenungleichheit im Bildungssystem sorgen. Oft kommen beide Faktoren zusammen.

Der Deckel passt einfach nicht mehr auf den Topf

Schon lange ist also klar: Unser Schulsystem fördert Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund nur unzureichend. Und auch die soziale Herkunft, der Bildungsabschluss der Eltern, ein Alleinerziehenden-Status oder das Haushaltseinkommen spielen ein desaströs großes Ausmaß am Schulerfolg. Ein wahrliches Armutszeugnis: Für die Politik.

Umso wichtiger, dass jetzt bei uns im Land das PerspektivSchul-Programm in den Fokus genommen wird. Darüber werden sogenannte Brennpunktschulen im Land seit 2019 finanziell unterstützt. Im Juli 2024 läuft das Programm aus. Zwar hat der Landtag beschlossen, es zu verlängern, trotzdem gibt es wegen der späten Entscheidung über den Landeshaushalt bis März 2024 keine verbindlichen Mittel und die Schulen können nicht planen, kritisiert die Opposition im Landtag.

Es kann nicht sein, dass Jugendliche, die es sowieso schwerer haben, gnadenlos untergehen. Dass es ein Schulsystem gibt, was für den deutschen Justus aus dem Doppelverdiener-Haushalt mit Bücherwand ausgelegt ist. Das können wir uns schlichtweg nicht mehr leisten. Für eine leistungsfähige, eine demokratische, eine friedliche Gesellschaft, brauchen wir alle; jede und jeden. Stichwort Arbeitskräftemangel. Stichwort Gerechtigkeit.

 

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