"Wer sind die?": Neue Doku-Reihe blickt auf Vorurteile

Stand: 01.11.2022 06:42 Uhr

Keiner will sie haben, aber jeder hat sie: Vorurteile. In der neuen Doku-Reihe "Wer sind die?" treffen NDR Reporterinnen und Reporter Menschen, die im Alltag gegen Stigmatisierung ankämpfen müssen.

von Marie Chlebosch

Wie Hauptschüler, die noch allzu oft als faul, asozial oder chancenlos gesehen werden. Wie Menschen mit Depressionen, deren Erkrankung als schlechte Phase abgetan werden. Die als wehleidig, unmotiviert oder nicht belastbar angesehen werden. Und selbst die Leidenschaft zum Auto kann zu Vorurteilen führen. Auto-Tunerinnen und Tuner gelten als laut, prollig, mit dem Wunsch, um jeden Preis aufzufallen. "Wer sind die?" zeigt eindrückliche Begegnungen mit Menschen, die sich Verständnis und Anerkennung wünschen, fernab aller Klischees.

Wir denken in Kategorien

Dass Menschen Vorurteile haben, ist von unserem Gehirn so vorgesehen. "Das Denken in Kategorien hilft uns, Informationen einzuordnen und Entscheidungen zu treffen", sagt die Sozialpsychologin Juliane Degner. "Ein Vorurteil meint lediglich, dass es eine Beurteilung gibt, aufgrund von Gruppenzugehörigkeiten." Ein Vor-Urteil also, das Menschen das Denken erleichtern soll. Zu dieser Beurteilung komme dann eine Bewertung hinzu, sagt Degner. Vor dem Vorurteil stehe das Stereotyp. "Das ist die kognitive Komponente, also Wissen: Wie ist die Gruppe üblicherweise? Was ist für die typisch?", sagt Degner. Dazu komme die Bewertung: "Mag ich die oder mag ich die nicht? Habe ich Angst vor denen oder vertraue ich ihnen?"

Wenn Vorurteile zu Diskriminierung führen

Das Problem an Vorurteilen? Sie können zu diskriminierendem Verhalten führen. Dass Vorurteile Menschen in ihrem Leben beeinflussen und sogar krank machen können, zeigen Studien wie jüngst die der Krankenkasse IKK classic. Mehr als 1.500 Menschen wurden dafür befragt. Die Studie zeigt den Zusammenhang zwischen Vorurteilen und Diskriminierung sowie zu Krankheiten, die jeden treffen können. 70 Prozent der Befragten, die sich stark diskriminiert fühlen, leiden etwa an Schlafstörungen, mehr als die Hälfte an Depressionen, mehr als ein Drittel an Magen-Darm-Erkrankungen oder Angststörungen. Etwa die Hälfte der Befragten gibt an verärgert, wütend oder traurig über eine erlebte Diskriminierung zu sein oder sich ungerecht behandelt zu fühlen. 41 Prozent fühlen sich verunsichert und ausgeschlossen. Was sich laut IKK classic Studie in den Betroffenen festsetzen kann, sind beispielsweise Selbstzweifel, ein geringes Selbstbewusstsein oder Angst.

Veränderung ist nur gemeinsam möglich

Das Bewusstsein über Stereotype und Vorurteile kann helfen, gegen Diskriminierung anzuarbeiten. "Wir können uns selbst immer fragen, wenn wir jemand anderen beurteilen und wenn unser Verhalten Konsequenzen für diese anderen hat: Woher kommt mein Urteil? Was hat mein Urteil mit mir zu tun und was mit der anderen Person?", sagt Juliane Degner.  Das erwarte aber viel Reflexionsmöglichkeit und auch die Zeit dafür. Für den Einzelnen sei die nur schwer leistbar und auch mit Konflikten verbunden. Das bedeutet, dass eine Gesellschaft nur im Miteinander etwas verändern kann. Wenn man mit der Annahme starte, dass unser Gehirn Vorurteile aufbaut, weil sie gesellschaftliche Strukturen wie Machtunterschiede, Rollen, bestimmte Aufteilungen widerspiegeln, wieso sollte unser Gehirn das abstellen, wenn die Gesellschaft weiterhin so strukturiert sei?, fragt Degner. "Was wir brauchen, ist eine gesellschaftliche, eine strukturelle Veränderung, um unserem Gehirn und den Gehirnen der folgenden Generationen gar keinen Anlass mehr zu geben, bestimmte Kategorien zu nutzen, weil sie dann keinen Wert mehr haben." Diskurs sei dafür ein Schritt in die richtige Richtung.

Neue Doku-Reihe will Denkanstöße geben

Hier setzt die neue Doku-Reihe "Wer sind die?" an. NDR Reporterinnen und NDR Reporter treffen in der ersten Staffel Menschen, die an einer Depression erkrankt sind in ihrem herausfordernden Alltag, berichten über Auswirkungen und Hilfsmöglichkeiten. Sie sprechen mit Hauptschülerinnen und Hauptschülern, zeigen ihre Geschichten von Scheitern und Neustart, vom Kampf um Anerkennung und der Hoffnung, die eigenen Träume zu verwirklichen. Und die Reporter tauchen in die Autotuner-Szene ein, deren Leidenschaft oft mit Grenzüberschreitungen gleichgesetzt wird. Eine vielfältige Reihe, eng begleitet auf dem Instagram Channel NDR Niedersachsen.

Dieses Thema im Programm:

Wer sind die? | 17.11.2022 | 00:35 Uhr

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