"Jesus hätte heute einen TikTok-Account"
TikTok, Instagram, Youtube: Immer mehr Geistliche zeigen ihren Alltag in den Sozialen Medien. Auch Nonnen und Pastoren aus Niedersachsen geben persönliche Einblicke - mit Erfolg.
Darf man als Nonne rauchen? Gibt's WLAN im Kloster? Und sollte man sich an Karneval als Nonne verkleiden? Nicht nur auf diese Fragen findet man in den Sozialen Medien Antworten, man trifft auch auf tanzende Pastorinnen und auf skatende Pastoren, die sich ihre Nägel lackieren. Alle zeigen die Kirche so, wie sie auch sein kann, wenn sie will: Am Puls der Zeit.
Nonnen mit Millionen Klicks auf TikTok
Die Beiträge der Benediktinerinnen im Bistum Osnabrück gehen durch die Decke. Die Nonnen haben teils Millionen Aufrufe auf TikTok. Auch die Kommentarspalten quellen über: Sei es mit Fragen zu ihrem Nonnendasein oder mit lobenden Worten für die ungewöhnlichen Einblicke, die sie bieten. "Ich glaube schon, dass Jesus heute einen TikTok-Account hätte", sagt Postulantin Melanie im Gespräch mit Schwester Josefine. "Damals ist er dahin gegangen, wo die Menschen waren, egal zu welcher sozialen Schicht sie gehörten, zu welchem Geschlecht, mit welchem Status. Ich denke, wenn sich heute die Menschen im Internet tummeln, dann würde er heute auch dahin surfen, wo sie einfach zu finden sind."
Pastorin, Mutter und Feministin auf Instagram
Auf Instagram wirkt auch seit einigen Jahren Ina Jäckel aus Leer. In der Beschreibung ihres Accounts "dingens.von.kirchen" macht sie deutlich, als was sie sich sieht: Seelsorgerin, Pastorin, Mama hoch vier und Feministin. Auf Instagram räumt sie mit Vorurteilen auf, denen sie nicht nur als Pastorin mit Kindern, sondern generell als Frau vor dem Altar begegnet. Und sie nimmt ihre Follower und Followerinnen in den Alltag als Pastorin mit.
Pastor mit mehr Followern als die gesamte evangelische Kirche
Auch der Wiesmoorer Pastor Quinton Ceasar lädt regelmäßig Content auf Instagram hoch, wo ihm als "pastor_vanniekaap" mittlerweile über 37.000 Menschen folgen. Zum Vergleich: Der Account der Evangelischen Kirche Deutschland hat dagegen nur gut 32.000 Followerinnen und Follower. Zu Ceasars Ausstattung gehören nicht nur Talar und Bibel, sondern auch Smartphone und Ringlicht. Mithilfe von Kurzvideos, sogenannten Reels, reagiert er - mal ernst, mal mit Augenzwinkern - auf soziale und politische Begebenheiten und Vorkommnisse, die die Menschen auf Social Media, aber auch im "wahren" Leben umtreiben.
Nach dem Fall George Floyd: Aktivismus auf Instagram
So richtig aktiv wurde der Pastor auf Instagram und TikTok als Reaktion auf die Ermordung von George Floyd in den USA. "Ich sehe viele Chancen darin, in diesem Space füreinander da zu sein. Und, wie Nelson Mandela gesagt hat, dass wir eine Verantwortung haben, aufzustehen für universelle Freiheiten und Menschenrechte. Da sehe ich meine Chance auch als Pastor, als Aktivist hier auf Social Media aktiv zu sein."
Kirchen verlieren immer mehr Mitglieder
Der Trend ist eindeutig: Beide Konfessionen verlieren nicht nur bundesweit stetig Mitglieder. Die evangelische Kirche büßte im Zeitraum von 2013 bis 2023 in Niedersachsen über zehn Prozent ihrer Mitglieder ein, katholisch sind in Niedersachsen Stand 2023 nicht einmal mehr 15 Prozent der Bevölkerung. Die niedersächsischen Landeskirchen sowie Bistümer betreuen mittlerweile ebenfalls mehr oder weniger aktiv Social-Media-Kanäle. Auch unterstützt beispielsweise die Landeskirche Hannover als die bundesweit größte evangelische Landeskirche ein Projekt, damit sechs Pastoren und Pastorinnen und zwei Diakone und Diakoninnen einen Teil ihrer Arbeitszeit Social Media widmen können. 400.000 Euro fließen in diese Arbeit.
Persönliche Accounts wirken besser in sozialen Medien

Hanna Klimpe, Professorin für Social Media an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, beobachtet seit fünf Jahren verstärkt, dass die Kirchen die Sozialen Medien bespielen. Bisher gebe es aber keine Untersuchungen dazu, ob Menschen tatsächlich in der Folge in die Kirche eintreten, so Klimpe. Sie stellt klar: "Es ist immer ratsam, Accounts zu personalisieren. Gesichter, Personen und subjektive Perspektiven funktionieren auf Social Media grundsätzlich immer besser als institutionelle Accounts, die dann auch neutral, institutionell kommunizieren."
Mehr Reichweite in sozialen Medien gleich mehr Mitglieder?
Insbesondere könne laut Klimpe die Kirche mit ihrem angestaubten Image auf diese Weise wieder zeitgemäßer werden. Gleichzeitig macht sie aber auch auf mögliche Risiken aufmerksam: "Social Media geht immer mit einer Verkürzung einher. Die Gefahr ist, dass religiöse Inhalte und kirchliche Themen verzerrt dargestellt oder falsch angenommen werden." Kirchlicher Content, der Haltung bezieht und auf Instagram und Co. womöglich ein anderes Publikum erreichen kann als das, welches sonntäglich zum Gottesdienst erscheint - ob das die Kirche bei den Userinnen und Usern und gesamtgesellschaftlich letztlich attraktiver macht, steht jedoch in den Sternen.
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