Feuerwerk zu Silvester: Was spricht dafür und was dagegen?

Stand: 28.12.2023 21:50 Uhr

Die einen denken bei Silvester an Luftverschmutzung, verschreckte Tiere, durch Böller abgerissene Finger. Für viele andere ist ein Jahreswechsel ohne Feuerwerk nicht vorstellbar. Was spricht dafür und was dagegen?

von Margarita Ilieva und Marc Wichert

Es ist der 31.12., Silvester, kurz vor Mitternacht. Überall in Deutschland haben Menschen Böller und Raketen eingepackt, um gleich das neue Jahr zu begrüßen. Vor allem laut soll es sein. Nicht so in Friesland. Zur selben Zeit versammeln sich Einheimische und Touristen auf der 30 Kilometer langen Deichlinie, auch hier zünden sie ab 0 Uhr alles an, was eben leuchtet: Wachsfackeln, Laternen, Lichterketten, Taschenlampen, leuchtende Partyhüte, aufwendig geschmückte Regenschirme. Der Unterscheid: Es bleibt leise. Und einigermaßen rauchfrei. Hier an der niedersächsischen Küste gab es zum Jahreswechsel 2022/2023 erstmals das Wangerländer Deichleuchten. Man will das Jahr auf besinnliche und entschleunigte Weise einläuten, sagt Larissa Strangmann von der Wangerland Touristik GmbH dem NDR Niedersachsen.

Mehrere Personen schreiben während einer Langzeitbelichtung das Wort "Moin" mit Feuer in die Luft. © Wangerland Touristik
In Wangerland an der Nordsee bleibt es Silvester leise.
180 Millionen Euro für Feuerwerk

Noch ist das allerdings eher eine Ausnahme. Zum vergangenen Jahreswechsel machte der Handel mit Feuerwerk den höchsten Umsatz seit Beginn des Jahrhunderts: 180 Millionen Euro gaben die Menschen in Deutschland laut dem Verband der pyrotechnischen Industrie für Böller, Raketen und Batterien aus. Die Zahlen sprechen also eine deutliche Sprache: Viele Leute lieben es, das neue Jahr laut und bunt zu begrüßen.

2023: Mehrheit für Verbot von Böllern und Raketen zu Silvester

Auf der anderen Seite ist eine Mehrheit der Menschen hierzulande für ein Verbot von privater Böllerei. Laut einer neuen NDR-Umfrage sprechen sich 60 Prozent der Befragten für ein komplettes Böllerverbot aus (konkret: das Abbrennen von Feuerwerk jeder Art.). Gut zwei Drittel der Befragten zünden schon jetzt selbst kein Feuerwerk zu Silvester.  Bestimmte Verbotszonen in Gemeinden und Städten finden noch mehr Zustimmung (89 Prozent) als ein generelles Böllerverbot. Das am häufigsten genannte Argument für ein Böllerverbot ist der Lärm für Mensch und Tier (30 Prozent). Aber auch die Klimaschädlichkeit, das Verletzungsrisiko und der zusätzliche Müll spielen eine Rolle.

Klaus Gotzen, Geschäftsführer des Verbandes der pyrotechnischen Industrie, ist da ganz anderer Meinung. Auch mit Blick auf die gerade in der Coronazeit überlasteten Notaufnahmen der Krankenhäuser sagt er: "Ich finde die Kritik manchmal ein wenig überzogen. Wenn es in der Silvesternacht zu Verletzungen kommt, dann ist es meistens wegen der illegalen oder unsachgemäßen Nutzung von Feuerwerkskörpern sowie die Nutzung unter hohem Alkoholeinfluss."

Ärzteverband ruft zu mehr Vorsicht beim Umgang mit Böllern auf

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Menschen in einer Fußgängerzone bei Nacht. Eine Person hält eine Feuerwerksrakete in den Himmel. Sie brennt. © Screenshot
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Diskussionen um Böllerverbot an Silvester

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Andreas Hammerschmidt, Oberarzt in der Zentralen Notaufnahme am Agaplesion Ev. Klinikum Schaumburg, hat dagegen große Sorge, dass die Notaufnahmen in der Silvesternacht auch ohne Corona-Pandemie zusätzlicher Belastung ausgesetzt sein werden: "Wir fahren jetzt schon auf Volllast. Im Zweifelsfall haben wir durch die vielen Verletzungen durch Böller weniger Zeit für andere Notfälle wie Verkehrsunfälle oder Schlaganfälle", sagt Hammerschmidt, der auch im Vorstand des Ärzteverbandes Marburger Bund in Niedersachsen tätig ist. Gerade Handverletzungen, von Verbrennungen bis hin zum Verlust von Fingern oder der ganzen Hand seien die Folge. "Auch Augenverletzungen und Knalltraumata kommen regelmäßig vor", sagt Hammerschmidt. Berechnungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft zufolge gab es im Vor-Corona-Jahr 2019 insgesamt 10.137 Schwerstverletzte in den Krankenhäusern - durchschnittlich knapp 28 pro Tag. Am Neujahrstag waren es dann auf einen Schlag 111, mehr als dreimal so viel. Dennoch: Ein generelles Verbot von Feuerwerk zum neuen Jahr lehnt Notfallmediziner Hammerschmidt auch ab und setzt stattdessen auf Eigenverantwortlichkeit.

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Ein Kind schaut einem Feuerwerk kurz vor Silvester zu und hält sich die Ohren zu. © picture alliance/Kirchner-Media Foto: Christopher Neundorf

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Auch Feinstaub gefährdet die Gesundheit

Doch bei den Diskussionen über Sinn oder Unsinn eines Böllerverbots geht es ja oft auch um das Thema Umweltschutz, konkret: Luftverschmutzung. Laut Umweltbundesamt (UBA) gibt es an Neujahr kurz nach Mitternacht die höchsten Feinstaubkonzentrationen eines Jahres: Bis zu 1.000 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter werden in der Luft gemessen. Und das Einatmen von Feinstaub gefährdet die menschliche Gesundheit. Die Wirkungen reichen von vorübergehenden Beeinträchtigungen der Atemwege über einen erhöhten Medikamentenbedarf bei Asthmatikern bis zu Atemwegserkrankungen und Herz-Kreislauf-Problemen, schreibt das UBA - und appelliert an die Menschen, ihr Feuerwerk einzuschränken oder sogar ganz darauf zu verzichten: "Das hilft nicht nur der Gesundheit, sondern auch der Umwelt, verursacht weniger Müll und reduziert den Energieaufwand, der bei der Herstellung der Feuerwerkskörper erheblich ist."

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Was können Tierhalter an Silvester tun?

Auch für Heim- und Wildtiere ist das Silvesterfeuerwerk mit viel Stress verbunden: "Tiere zeigen sich gestresst, desorientiert, sie werden verletzt oder erstarren sogar in Todesangst", sagt Dieter Ruhnke, Vorsitzender des Landestierschutzverbands Niedersachsen. Manch ein Hund oder Katze laufe in Panik davon, ebenso Wildtiere. Vögel verfingen sich in Bäumen und verendeten dort. Sein Rat an die Heimtierhalter: Nicht unmittelbar vor oder nach Mitternacht mit dem Hund Gassi gehen. Zuhause sollte man die Tiere aus der Geräuschkulisse in der Silvesternacht rausnehmen. Um den Stress für die Tiere zu minimieren, sollte aber weitestgehend auf das Böllern verzichtet werden, sagt Ruhnke.

NABU fordert Feuerwerk, das leise und trotzdem schön ist

Der Naturschutzbund Niedersachsen (NABU) sagt: "Wenn das Feuerwerk schon sein muss, dann unbedingt auf betonierten und asphaltierten, baumfreien Plätzen. Und bitte das letzte bisschen Grün als Rückzugsraum für die Tierwelt respektieren." Der Verband fordert von der pyrotechnischen Industrie, lärmarme und optisch ansprechende Alternativen aus umweltfreundlichen Materialien für den privaten Gebrauch zu entwickeln.

Silvesterfeuerwerk als Ausbruch aus gesellschaftlichen Zwängen

Auch Larissa Strangmann vom Wangerländer Deichleuchten betont die negativen Auswirkungen der Knallerei: "Für immer mehr Gäste und Einheimische sind laute Silvesterknaller und Verschmutzungen durch Überreste von Raketen direkt im Nationalpark und am UNESCO-Weltnaturerbe nicht mehr mit Ihrer Verbundenheit zu Natur und Tieren vereinbar." Ob das Beispiel aber angesichts der Fangemeinde von Böllern und Raketen - siehe die 180 Millionen Euro Umsatz - viele Nachahmer findet, ist fraglich. Ein Verbot jedenfalls ist zumindest absehbar nicht auf der politischen Agenda. Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens hat sich erst kürzlich dagegen ausgesprochen. Zudem spricht gegen ein generelles Verbot von privatem Feuerwerk noch ein anderer Grund: "Feuerwerk an Silvester ist zunächst etwas Individuelles, das aber auch verbindet - ein sozialer Resonanzraum. Das ist etwas Wertvolles", sagte der Soziologe und Pyrotechniker Felix Martens bei einer Diskussion auf NDR Info zum Thema Silvesterfeuerwerk. Der Alltag sei von vielen gesellschaftlichen Zwängen geprägt. Das einmal im Jahr kollektive, aber dennoch kontrollierte "Ausrasten" sei immerhin ein weltweites Phänomen. Außer in Wangerland, auf dem Deich. Dort rasten sie auch aus, aber eben anders.

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Eine Feuerwerksrakete beim Start. © complize/Shotshop/picture alliance

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