Feuer in Flüchtlingsunterkunft in MV: Politisches Motiv vermutet
Nachdem eine Flüchtlingsunterkunft in Groß Strömkendorf bei Wismar niedergebrannt ist, ermittelt der Staatsschutz. Die Polizei vermutet ein politisches Motiv. Erste Ergebnisse werden für Anfang kommender Woche erwartet. In Wismar nahmen mehr als 100 Menschen an einer Mahnwache teil. Verletzt wurde bei dem Feuer niemand, der Sachschaden geht in die Millionen.
Eine genauere Schätzung sei erst möglich, wenn das Brandgutachten vorliege, sagte eine Sprecherin des Polizeipräsidiums in Rostock am Freitag. Die Polizei geht eigenen Angaben zufolge von Brandstiftung aus und vermutet einen politischen Hintergrund. Deshalb habe der Staatsschutz die Ermittlungen übernommen, teilte das Polizeipräsidium Rostock mit. Erste Ergebnisse soll es frühestens Anfang kommender Woche geben. Die Proben, die die Brandursachenermittler genommenen hätten, würden laut Polizei im Labor untersucht. Parallel würden Zeugen vernommen. Dazu gehörten auch Passanten, die am Mittwochabend am Brandort waren. Es gebe eine Liste, die schrittweise abgearbeitet werde. Die Staatsanwaltschaft Schwerin hat unterdessen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der schweren Brandstiftung eingeleitet.
Mehr als 100 Menschen bei Mahnwache in Wismar
Am Freitagnachmittag kamen auf dem Wismarer Marktplatz mehr als 100 Menschen zu einer Mahnwache zusammengekommen, zu der unter anderem die Integrationsbeauftragte der Landesregierung, Jana Michael, aufgerufen hatte. "Wir haben den Eindruck, dass nicht erst seit dem Brand, sonder seit längerer Zeit, die Stimmung kippt und die Stimmung in der Bevölkerung sich dahingehend dreht, dass die Flüchtlinge nicht mehr so herzlich willkommen sind wie es in der Vergangenheit der Fall war", sagte Horst Krumpen, Kreisvorsitzender der Linken in Nordwestmecklenburg, die ebenfalls zu der Mahnwache mit aufgerufen hatten. "Die Leute müssen zeigen, dass sie die Ukraine unterstützen und gegen Krieg sind. Es ist wichtig, dass hier nicht nur ukrainische und russische Leute sind, sondern auch Deutsche", sagte eine aus der Ukraine stammende Frau dem NDR.
Bundesinnenministerin Faeser: Ein "furchtbares Ereignis"
Am Donnerstagabend hatte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser zusammen mit Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel und der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (alle SPD) ein Bild von der Lage vor Ort gemacht. Sie zeigte sich von der Zerstörung erschüttert und sprach von einem "furchtbaren Ereignis". Sollte es sich wirklich um einen Brandanschlag handeln, werde "der Rechtsstaat mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln hart durchgreifen". Die Ministerin dankte dem Heimleiter, den Einsatzkräften der Polizei und der Feuerwehr für ihren Einsatz. Besonders hob sie die Passanten hervor, die in der Brandnacht geholfen hätten. Dies sei ein gutes Zeichen.
Hakenkreuz-Schmiererei am vergangenen Wochenende
Am Wochenende vor dem Feuer hatte die Polizei die Unterkunft bereits wegen einer Hakenkreuz-Schmiererei auf dem Eingangsschild aufgesucht, wie Landrat Tino Schomann (CDU) mitteilte. "Auch aus meiner langjährigen Erfahrung als Feuerwehrmann gehe ich derzeit davon aus, dass das Feuer absichtlich gelegt wurde", so Schomann. Ein Einsatzleiter vor Ort wies allerdings darauf hin, dass seit geraumer Zeit in der Region nach einem "Feuerteufel" gefahndet wird, der mutmaßlich mehrere Brände gelegt hat.
14 Geflüchtete und drei Betreuer retten sich ins Freie
Gegen 21.20 Uhr war am Mittwochabend in der Einrichtung in Groß Strömkendorf ein Alarmsignal angeschlagen. Zu diesem Zeitpunkt schlugen bereits Flammen aus einem Fenster an der Vorderseite des reetgedeckten Daches. Während die Feuerwehr alarmiert wurde, versuchten Mitarbeiter der Einrichtung und Passanten den Brand mit Feuerlöschern zu löschen. Zu dem Zeitpunkt befanden sich 17 Personen in der Unterkunft - 14 Geflüchtete aus der Ukraine und drei Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Das DRK betreibt die Unterkunft. Bewohner und Betreuer konnten das Haus rechtzeitig verlassen.
Die Feuerwehr konnte verhindern, dass das Feuer auf die benachbarten Gebäude übergreift. Das Gebäude selbst brannte aus. Rauch und Qualm stiegen auch Stunden später aus den Ruinen. Am Löscheinsatz waren bis zu 120 Einsatzkräfte und etwa 20 Einsatzfahrzeuge beteiligt.
Heimleiter: "Unsicherheit noch einmal erleben"
Der Leiter der Flüchtlingsunterkunft "Schäfereck", Andrej Bondartschuk, der selbst aus der Ukraine stammt, sagte: "Ich finde das sehr erschreckend, dass man in dem Land ankommt, wo man in Sicherheit ist und geschützt und plötzlich muss man wieder einmal sein Heim verlassen. Man muss wieder einmal um die eigene Sicherheit bangen und diese Unsicherheit noch einmal erlebten, die man schon mal erlebt hat."
Bürgermeister: "Bin erschrocken und verärgert"
Tino Schmidt (SPD), Bürgermeister von Blowatz, wozu Groß Strömkendorf gehört, sagte, dass es bisher keine Anzeichen für rechtsmotivierte Umtriebe gegeben habe. Man habe ein sehr gutes Verhältnis zu den Kriegsflüchtlingen. In dem Hotel waren zeitweise bis zu 170 Menschen aus der Ukraine untergebracht. Im Sommer habe man zusammen mit den Flüchtlingen und dem DRK noch ein Sommerfest gefeiert.
Wismars Bürgermeister, Thomas Beyer (SPD), sicherte dem Landkreis Nordwestmecklenburg zudem jegliche Unterstützung der Hansestadt Wismar zu: "Der Brand in Groß Strömkendorf erschreckt uns zutiefst und wir sind froh, dass niemand zu Schaden gekommen ist. Wir danken den Kolleginnen und Kollegen der Feuerwehren herzlich für ihren Einsatz. Sollte sich der Verdacht auf Brandstiftung erhärten, hoffen wir, dass die Täter schnell gefasst werden."
Ministerpräsidentin: "Grausam und unmenschlich"
Am Donnerstagvormittag besuchte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) den Brandort. "Wenn sich dieser Verdacht bestätigt, dass es Brandstiftung gegen eine Flüchtlingsunterkunft gab, dann muss das ganz harte Konsequenzen haben, denn so etwas wäre grausam und unmenschlich", sagte die SPD-Politikerin.
In Mecklenburg-Vorpommern sowie im Rest von Deutschland würden viele Menschen den Geflüchteten helfen, so Schwesig weiter. "Wenn jetzt Einzelne dagegen mit Gewalt vorgehen wollen, wird die Polizei und werden die Sicherheitsbehörden hart reagieren. Das dulden wir in unserem Land nicht."
Landesflüchtlingsrat: Schnelle Aufklärung ist dringend nötig
Die Vorsitzende des Landesflüchtlingsrats, Ulrike Seemann-Katz, wollte einen ausländerfeindlichen Hintergrund nicht ausschließen. Sie wies darauf hin, dass es auf den sogenannten Montagsdemonstrationen "Hassparolen" gegeben habe. Aufklärung sei jetzt dringend und schnell nötig. "Aber genauso wenig sind volksverhetzende 'Meinungen' zu dulden. Wenn wir geistige Brandstiftung zulassen, können wir bald alle nicht mehr sicher leben."
Die Landesvorsitzende der Linken in Mecklenburg-Vorpommern, Vanessa Müller, erklärte: "Wir erleben leider, dass die Solidarität in der Gesellschaft mit Geflüchteten in diesen Krisenzeiten offensichtlich bröckelt - dem müssen wir uns, unabhängig von diesem Brand, entgegenstellen.“ Der Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion, Nikolaus Kramer, sagte, Brandanschläge auf Menschen seien "widerlich und entziehen sich jeglichem politischen Diskurs". Der Rechtsstaat müsse mit aller Härte reagieren.
Die Grünen-Landtagsabgeordnete Anne Shepley schrieb auf Twitter: "Eine entsetzliche Tat, die mich wütend macht und unendlich traurig: 30 Jahre nach Lichtenhagen stehen in MV wieder Flüchtlingsunterkünfte in Flammen." Der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion René Domke sagte, sofern sich ein Brandanschlag bestätigen würde, wäre es erschütternd, mit welchem Hass und mit welcher moralischen Verrohung ein Anschlag auf Menschen verübt wurde, die unseren Schutz brauchen. Nichts kann dies rechtfertigen".