VIDEO: Studie: Meereis der Antarktis geht stark zurück (2 Min)

Klimawandel: So schnell schmilzt das Meereis der Arktis

Stand: 28.04.2024 08:31 Uhr

Satelliten messen täglich, wie viel Meereis es in der Arktis gibt. Die Daten belegen: Seit Jahrzehnten schrumpft die mit Eis bedeckte Fläche - ein Effekt, der den Klimawandel noch verstärkt.

von Lalon Sander

In den nächsten Jahrzehnten wird etwas passieren, was schon seit Millionen Jahren nicht mehr vorgekommen ist: In der Arktis wird es praktisch kein Meereis mehr geben.

Die folgende Grafik zeigt die Fläche des Eises im Jahresverlauf. Dass es im Sommer weniger Eis am Nordpol gibt als im Winter, ist normal. Aber sowohl im Sommer als auch im Winter wird das Eis seit Jahren weniger. In ganz hellem Blau sind die Jahre ab 1980 zu sehen, in denen es im Jahresverlauf insgesamt noch mehr Eis gab. Die aktuelleren Jahre liegen in einem etwas dunkleren Blau meist darunter.

Am Samstag, 27. April, betrug die Fläche des arktischen Meereises 12,5 Millionen Quadratkilometer. Das sind 2,1 Prozent weniger als im Durchschnitt des Zeitraums 1981 bis 2010.

Das Auf und Ab der Meereis-Fläche ist den arktischen Jahreszeiten geschuldet: Wenn im Winter die Sonne untergeht und der Nordpol ein halbes Jahr dunkel ist, breitet sich das Meereis aus und erreicht im März den Höhepunkt. In besonders kalten Jahren erreicht es das Beringmeer zwischen Alaska und Russland und in der Ostsee sogar die deutsche Küste. Nachdem im Frühjahr die Sonne wieder aufgeht, taut das Eis und erreicht meist im September die geringste Fläche.

Eisfläche seit vorindustrieller Zeit halbiert

Schaut man auf die Fläche des Meereises jeweils am Ende des Sommers, so wird deutlich, wie stark das Meereis am Nordpol im Laufe der Jahre zurückgeht.

Rekonstruktionen aus den Logbüchern von Schiffen und den Beobachtungen von Wetterstationen zeigen, dass das Meereis zum Ende des Sommers in der vorindustriellen Zeit 1850 bis 1900 - einem Zeitraum, der noch nicht vom Klimawandel beeinflusst war - knapp acht Millionen Quadratkilometer bedeckte. Inzwischen erreicht das Jahresminimum kaum noch vier Millionen Quadratkilometer und rutschte im Jahr 2012 sogar unter drei Millionen Quadratkilometer. Forschende sprechen von "praktisch eisfreier Arktis", wenn die bedeckte Fläche weniger als eine Million Quadratkilometer groß ist.

IPCC-Bericht: Arktis könnte bald eisfrei sein

Im aktuellen Bericht des Weltklimarats IPCC zeigen Modellrechnungen, dass die Arktis Mitte des Jahrhunderts eisfrei sein könnte, wenn kein ausreichender Klimaschutz betrieben wird. Die bunten Linien in der folgende Grafik zeigen den möglichen Verlauf für drei verschiedene Szenarien: Wie könnte sich die Meereisschmelze entwickeln, wenn der Klimaschutz bleibt wie bisher (Gelb) oder wenn er mehr wird (Blau) oder weniger (Rot)?

Laut den Modellen im IPCC-Bericht ließe sich eine eisfreie Arktis in den kommenden Jahrzehnten also bei konsquentem Klimaschutz noch verhindern. In einer Studie des angesehenen Fachmagazins "Nature Communications" kamen Meeresforscherinnen und -forscher jedoch kürzlich zu dem Schluss, dass diese Modelle die Meereisschmelze bisher unterschätzten.

Aktuelle Studie: Eisfreie Arktis selbst bei konsequentem Klimaschutz

Das Ergebnis der neuen Studie: Die Arktis dürfte in den kommenden Jahrzehnten den ersten eisfreien Sommer erleben – selbst dann, wenn ab sofort konsequenter Klimaschutz betrieben würde. "In den extremsten Klimaszenarien würde die Arktis wahrscheinlich in jedem Sommer eisfrei sein", sagt Dirk Notz vom Hamburger Institut für Meereskunde und Ko-Autor der Studie. Er erwartet den ersten eisfreien Arktis-Sommer zudem schon in den 2030er oder 2040er Jahren. "In den günstigsten Klimaschutzszenarien können wir erreichen, dass sie nur in den wärmsten Sommern eisfrei ist", so der Hamburger Forscher.

Eisschmelze beschleunigt den Klimawandel

Das schmelzende Meereis trägt - anders als die schmelzenden Gletscher in Grönland - nicht direkt zum Meeresspiegelanstieg bei, weil es bereits im Wasser ist. Es ist aber ein Zeichen des menschengemachten Klimawandels, der sich an der Arktis fast vier Mal so stark bemerkbar macht wie anderswo. Und es beschleunigt den Klimawandel: Während die helle gefrorene Eisfläche Sonnenstrahlung zurück ins All reflektiert, nimmt die dunkle Wasseroberfläche die Wärme auf.

"Die Arktis ist das eindeutigste Frühwarnsystem für den Klimawandel", sagt Meeresforscher Dirk Notz. "Das abschmelzende Meereis zeigt, wie mächtig wir als Menschen geworden sind: Wir sind in der Lage, ganze Landschaften verschwinden zu lassen."

Eisfreie Arktis führt zu geopolitischen Konflikten

Eine Landkarte zeigt die Schiffsrouten durch die Arktis, wenn das arktische Meereis schmilzt © Maximilian Dörrbecker Foto: Maximilian Dörrbecker
Bei einer eisfreien Arktis könnten Frachtschiffe ihre Routen erheblich verkürzen

Gesellschaftlich bringt eine eisfreie Arktis jede Menge Konfliktpotenzial mit sich. Seit Mitte der 2000er-Jahre sind zwei Schiffsrouten, die Nordostpassage und die Nordwestpassage, durch die Arktis regelmäßig befahrbar. Für Frachtschiffe, die sonst durch den Suez-Kanal oder den Panama-Kanal fahren, verkürzt sich die Entfernung zwischen Europa und Nordamerika nach Ostasien um etwa ein Drittel. Die USA und Kanada befinden sich beispielsweise bereits seit 15 Jahren in einem Konflikt darum, ob es sich bei der Nordwestpassage um kanadische oder internationale Gewässer handelt.

Neben internationalem Schiffsverkehr könnte es auch mehr regionalen Verkehr geben, etwa zu bereits existierenden Abbaugebieten, die derzeit über Land schwer erreichbar sind. In der Arktis selbst befinden sich Öl- und Gasreserven, die bei einem eisfreien Polarmeer entnehmbar wären. Und an denen wären auch Russland und China interessiert.

 

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NDR Info | NDR Info | 17.10.2023 | 21:45 Uhr

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