Eine Frau sitzt auf einer Parkbank und blickt zu Boden. © Screenshot

Wo traumatisierte Geflüchtete in Hamburg Hilfe finden

Stand: 28.05.2022 13:38 Uhr

Wer Kriege, wie den in der Ukraine miterlebt, hat mit großer Wahrscheinlichkeit gleich mehrere schwere Traumata und braucht professionelle Hilfe. Doch was, wenn in Hamburg entsprechende niedrigschwellige Angebote fehlen? Dann lastet die Hilfe auf den Schultern Ehrenamtlicher.

von Lisa Hentschel

Doch die Ehrenamtlichen stoßen selbst an ihre psychischen Grenzen. Wir haben Helfende und Betroffene getroffen, darunter Tamara Balyuk aus der Ukraine. Sie erzählt, dass die Bilder kommen, sobald es ruhig wird: Die Flucht aus Odessa, die Angst vor den Bomben, mit dem Zug unter freiem Himmel. Drei Tage dauert das, dann schafft es Tamara Balyuk Anfang März nach Hamburg. Schlafen kann sie bis heute nicht: "You can't just feel ok and feel calm" - "Man kann sich nicht einfach okay und ruhig fühlen", sagt sie.

Ehrenamtliche bieten ihre Hilfe an

All das kann sie Nathalie Vitorino Da Silva, Coach und Pädagogin erzählen. Sie geht gezielt auf Geflüchtete zu, bietet ihre Hilfe an. Noch gehe das ehrenamtlich, aber hauptsächlich online, sagt sie. Die Hamburgerin will vielen helfen, und das am besten sofort: "Die Menschen brauchen jetzt Hilfe, jetzt, akut. Weil wenn die Mutter gestresst ist, essen oft die Kinder nicht. Und deswegen ist es eine ganz, ganz wichtige Sache, diesen Prozess zu machen", sagt sie und meint damit ihr Coaching, das sie als "Vier-Stufen-Prozess", als "sanfte Hypnose" bezeichnet. Dadurch könnten Geflüchtete Stress akut abbauen. Lange kann die Hamburgerin das ehrenamtlich jedoch nicht mehr machen. Sie möchte Geflüchteten hauptberuflich psychisch helfen, eine internationale Organisation aufbauen. Doch dafür fehlt es an finanzieller Unterstützung.

Auch in der Hammer Straße arbeiten sie ehrenamtlich. Hier gibt es für Geflüchtete, die sich registrieren, eine Erstversorgung; von Hygieneartikeln über Spielsachen und Kleidung bis hin zu Antworten auf die Frage, wo Geflüchtete ärztliche Hilfen finden. Unter den Helfenden ist Maria Dorr. Selbst geflüchtet, in den 1990er-Jahren aus dem Libanon, nun aus der Ukraine. Helfen sei für sie auch Ablenkung, sagt sie, und möchte nach vorne blicken. Deshalb hört sie zu, dolmetscht und stößt damit selbst an ihre Grenzen: "Ein Haus kann man wieder bauen. Aber eine Seele wieder umzubauen, das ist nicht so einfach", sagt Maria Dorr.

Zu wenig professionelle Hilfe für Geflüchtete

Die Helfenden sind sich einig: Lange machen kann man das als Ehrenamtlicher nicht und suchen deshalb nach professioneller Hilfe für Geflüchtete. Doch was sie finden, ist weder niedrigschwellig noch genug. Anna Dreßler sagt: "Ich wüsste jetzt kein Notseelsorgetelefon, wo ich sagen kann: Okay, der Person geht es gerade so schlecht, da kann ich die hinverweisen." Die Stadt verweist auf bestehende Hilfen für Geflüchtete, zu finden im Netz, auf Deutsch. Darunter "Centra", "stabil und gesund", "Flüchtlingsambulanz" inklusive Telefonsprechstunde. Und in Altona gibt es ab dem 1. Juni Einzelsprechstunden für Geflüchtete, 10 pro Woche, "bei Bedarf" bis zu 15.

Dr. Krüger: Traumabehandlung braucht längere Zeit

Das verkenne die Problematik, kritisiert Dr. Andreas Krüger, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychologie und Psychotherapie und Pionier in der Traumabehandlung - auch bei Geflüchteten. "Das wäre ja schön, wenn wir mit 10 bis 20 Behandlungseinheiten alle versorgen könnten, aber damit greife ich vielleicht 10 oder 20 Prozent der Kinder ab, die sich bei mir in der Ambulanz vorstellen. Der Rest kommt mit chronisch-komplex-traumatischen Störungsbildern und da brauche ich drei bis sechs Jahre Behandlungszeit, eine Stunde die Woche."

Psychologische Unterstützung für Kinder und Jugendliche

Im Ankerlandtherapiezentrum gibt es Kunst-, Gesprächs-, Körper- und Musiktherapie. Das Wissen dahinter soll nun auch Kindern, Jugendlichen und deren Bezugspersonen aus der Ukraine helfen - in einer "Traumafachberatung". "Es ersetzt keine Therapie, aber das ist unser Ziel: Ein niedrigschwelliges Angebot, wo wir sehr viele Leute erreichen können, ohne dass wir direkt Kontakt mit den Kindern haben können", sagt Krüger. Im Idealfall soll es die "Traumafachberatung" bereits Ende des Jahres geben. Doch dafür braucht es auch hier finanzielle Hilfe. Angemessene Räumlichkeiten müssen gefunden und Stellen professionell besetzt werden. Nur so - mit zeitlichem und finanziellem Aufwand - könne nachhaltig geholfen werden. Und das sowohl ukrainischen Kindern und Jugendlichen als auch deren Bezugspersonen.

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 27.05.2022 | 19:30 Uhr

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