Grote sieht "Zeitenwende" auch beim Hamburger Verfassungsschutz
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine und seine Folgen stellen auch die Hamburger Verfassungsschützer vor neue Herausforderungen. Am Montag hat Innensenator Andy Grote (SPD) den Verfassungsschutzbericht 2021 vorgestellt.
Seit Kriegsbeginn würden sich die Anfragen für Beratungen zur Online-Spionageabwehr häufen, sagte Grote. Und dabei hatte die Zahl mit 200 Beratungen im vergangenen Jahr schon vor Kriegsbeginn einen neuen Höchststand erreicht. Konkrete Zahlen zu Cyber-Angriffen auf Hamburger Unternehmen oder Einrichtungen nannte er nicht. Wie in ganz Deutschland mache sich die "hybride Bedrohung" auch in der Hansestadt bemerkbar. So werde das militärische Vorgehen Russlands von Versuchen der Einflussnahme und Cyber-Angriffen begleitet. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe von einer Zeitenwende gesprochen, sagte Grote. "Das lässt sich auch für den Bereich des Verfassungsschutzes sagen." Der Vize-Chef der Hamburger FDP, Andreas Moring, fordert wegen drohender Cyber-Angriffe moderne Hard- und Software für den Kampf gegen Cyberkriminalität.
"Pro-russische Attitüden" festgestellt
Hamburgs Verfassungsschutzchef Torsten Voß sagte, im Extremismusbereich der sogenannten Delegitimierer, die sich bisher vor allem im Protest gegen die Corona-Maßnahmen zusammengefunden hätten, seien zunehmend "pro-russische Attitüden" festgestellt worden. Die Szene überschneide sich zum Teil mit Rechtextremen und Reichsbürgern und -bürgerinnen - das sei aber in Hamburg weniger stark ausgeprägt als in anderen Bundesländern, so Voß. Dem extremistischen Bereich werde in Hamburg demnach eine "niedrige zweistellige Personenzahl" zugerechnet.
Grote: Rechtsextremismus als größte Gefahr
Die Zahlen der Rechts- und Linksextremisten und -extremistinnen sowie der Islamisten und Islamistinnen in Hamburg veränderten sich dem Bericht zufolge im vergangenen Jahr kaum. Die größte Gefahr für die Demokratie kommt laut Grote immer noch von Rechts. Hamburg sei zwar keine Hochburg der Rechten. "Aber die Gefährlichkeit hängt nicht nur von der Zahl der Fälle ab, sondern von der Qualität des Gefährdungspotenzials", sagte der Innensenator. Im Rechtsextremismus habe es im vergangenen Jahr rund 380 Personen unter Beobachtung gegeben, 120 würden als gewaltorientiert eingestuft. 30 rechtsextremistische Gewalttaten wurden registriert.
Mehr antisemitische Straftaten
Die Zahl der extremistischen Straftaten mit antisemitischem Hintergrund stieg von 45 auf 63. Davon wurden 57 dem rechten Bereich zugerechnet - laut Voß ein neuer Negativrekord. "Tatsächlich haben wir jetzt den Höchststand der antisemitischen Straftaten im Bereich rechts", sagte Voß.
AfD beschäftigt den Verfassungsschutz weiterhin
Auch die AfD bleibt laut Grote für den Verfassungsschutz ein Thema. "Dem Landesamt liegen tatsächlich Anhaltspunkte dafür vor, dass es nach wie vor Fortsetzungsaktivitäten von Anhängern des formal aufgelösten Flügels gibt und im Jahr 2021 gegeben hat", sagte er. Der Bundesparteitag der AfD habe jüngst gezeigt, "dass diejenigen, die sich innerhalb der Partei am Rechtsextremisten Björn Höcke ausrichten, nicht gerade an Einfluss verloren haben".
Mehr Reichsbürger in Hamburg
Die Zahl sogenannter Reichsbürger und -bürgerinnen und Selbstverwalter und -verwalterinnen, die die Bundesrepublik Deutschland und ihre Institutionen nicht anerkennen, stieg dem Bericht zufolge von 174 im Jahr 2020 auf 290 im vergangenen Jahr. Grund für den Anstieg seien verstärkte Meldungen von Behörden gewesen - etwa dann, wenn Bußgelder mit Verweis auf die angeblich fehlende Legitimation der Behörde nicht gezahlt wurden, erklärte Voß. "Wir haben das Dunkelfeld mal deutlich aufgehellt", ergänzte er.
Linke Szene größer als rechte, aber weniger Straftaten
Auch im linksextremistischen Bereich "gibt es weiter Anlass zur Wachsamkeit", sagte Grote. Die radikale linke Szene ist deutlich größer als die rechte Szene. Die zugehörigen Straftaten hätten aber deutlich abgenommen. Insgesamt 1.240 Personen werden in Hamburg vom Landesamt für Verfassungsschutz als Linksextremisten eingestuft, von denen 76 Prozent als gewaltorientiert gelten. 19 linksextremistische Gewalttaten wurden im vergangenen Jahr registriert.
Zahl der Salafisten hat abgenommen
Innerhalb der islamistischen Szene, der in Hamburg insgesamt 1.650 Personen zugerechnet werden, gab es im vergangenen Jahr Veränderungen: So nahm die Zahl der Salafisten und Salafistinnen um rund 120 auf 550 ab. "Das ist aber immer noch ein vergleichsweise hohes Niveau", sagte Voß. Allerdings wachse jetzt "eine neue, junge Generation" nach. Zudem sei die geringere Zahl der Salafisten durch steigende Anhängerzahlen bei der verbotenen islamistischen Hizb ut-Tahrir und der vom Verfassungsschutz beobachteten Furkan-Bewegung kompensiert worden.
Unterschiedliche Reaktionen aus der Politik
Die Reaktionen aus der Politik auf den Verfassungsschutzbericht fallen unterschiedlich aus. Den Hamburger Grünen machen die Delegitimierer Sorgen. Dass diese jetzt als eigene extremistische Gruppierung beobachtet werden, findet die Partei daher richtig. Die AfD beklagt, dass der Verfassungsschutz den Rechtextremismus weiterhin als größte Gefahr bezeichnet - das sei eine einseitige Verengung, heißt es. Fraktionschef Dirk Nockemann freut sich aber darüber, dass der Hamburger AfD im Verfassungsschutzbericht diesmal kein eigenes Kapitel gewidmet ist.
