Round Midnight

Down by the Riverside - Als der Jazz die britische Arbeiterklasse mitriss (1/2)

Dienstag, 20. Juni 2023, 23:30 bis 00:00 Uhr

Eine Jazzband spielt ausgelassen Musik. © picture alliance/United Archives | Siegfried Pilz Foto: Siegfried Pilz

Eine Sendung von Ralf Dorschel

Im Juli 1948 kam es zu einem denkwürdigen Konzert vor Londons Leicester Square Club: Die BBC hielt es für eine taugliche Idee, beide großen britischen Jazzlager zusammenzubringen - die Traditionalisten und die Modernisten. Humphrey Lyttelton gewann den Abend - und zwar vor allem deshalb, weil seine handfesten Fans die Bebop-Musiker niederbrüllten und anboten, ihnen mit starker Hand den Weg von der Bühne zu weisen. Denn den Jazz nahmen diese jungen Männer persönlich - und nichts lag ihnen dabei ferner als jene neumodische Verrücktheit des Bebop.

Erfolgsformel: Bass, Banjo und Bier

Das Königreich stand damals ganz im Zeichen des Trad Jazz - und zwar klassenübergreifend: "There will be no bop and no progressive music" - kein Bop, nichts Progressives, das war 1950 die klare Ansage von John Foreham - und der war zu jener Zeit für den Jazz bei der BBC verantwortlich. Und hatte aus der misslichen Lage beim Kompromiss-Konzert in London gelernt. Tausende von jungen Leuten versuchten in den Nachkriegsjahren, mit Trad Jazz ein Auskommen zu finden. Bass, Banjo und Bier hieß die Erfolgsformel, "Muskrat Ramble" und der "Dippermouth Blues" standen in voller Blüte und die Saints marschierten noch in entlegensten britischen Landgemeinden in den Pub.

Jazz als Widerstandsmusik der Working Class

Jazz wurde zu einem Massenphänomen vornehmlich der Working Class. Und "Down By The Riverside" meinte dabei dann den River Crane, faktisch einen dreckigen Industriekanal in Cranford - Heimat der Crane River Jazz Band, einer der Keimzellen des britischen Trad Jazz. Bei dem sich viel drehte um die drei "B", um Chris Barber, Acker Bilk und Kenny Ball.

Eine Jazzband spielt ausgelassen Musik. © picture alliance/United Archives | Siegfried Pilz Foto: Siegfried Pilz
Posaunist Chris Barber (r) und seine Band proben in einem Hotelzimmer für einen Auftritt in Hamburg in den 1950er Jahren.

Und noch viel mehr um die Clubs und Dance Halls in den britischen Städten und Dörfern, wo diese Musik gespielt wurde, wo Arbeiter:innen zusammenkamen, wo als rebellisch galt, was auf den Baumwollplantagen der US-Südstaaten mal seinen Ausgang nahm und in New Yorks und Chicagos Halb- und Unterwelt seine Wurzeln hatte. Jazz als Widerstand - der britische Historiker und Jazz-Kritiker Eric Hobsbawm sah in dieser Bewegung einen Widerstandsgeist und ein politisches Bewusstsein.

Skiffle als Sprungbrett für angehende Rock-Größen

Zumal diese Musik es ihren Fans leicht machte: Ganz im Gegensatz zum Bebop lässt der Trad Jazz sich mit wenigen Voraussetzungen begreifen und auch spielen. Und das auf Instrumenten, die aus dem Alltag der Menschen kamen, die ebenso improvisiert schienen wie die Musik, die mit ihnen gespielt wurde: Skiffle wurde in den 50ern zum Massentrend - und zum Sprungbrett für angehende Rock-Größen wie Jim Morrison, Roger Daltrey oder John Lennon.

In zwei Sendungen geht es in Round Midnight um den Jazz als Phänomen der britischen Arbeiterklasse - mit der Musik der großen drei "B" plus Ken Colyer, Humphrey Lyttelton, Lonnie Donegan, George Webb und natürlich die Crane River Jazz Band.

 

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