Ulrich Kühn © NDR Foto: Christian Spielmann
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AUDIO: Frau Ministerin böllert danke (3 Min)

Nachgedacht: Frau Ministerin böllert danke

Stand: 05.01.2023 18:45 Uhr

2022 war übervoll an unvorhergesehen Ereignissen. Ganz zum Ende sind dann noch Dinge passiert, die man sich kaum vorstellen kann. Oder doch? Ulrich Kühn versucht es in seiner Kolumne.

von Ulrich Kühn

Stellen Sie sich vor, es ist Krieg in Europa, inzwischen schon viele Monate lang. Und irgendwann kommt der Jahreswechsel, und Sie finden es wichtig, danke zu sagen. Danke für tolle Begegnungen, danke für großen Einsatz, danke überhaupt. Sie spüren dieses Bedürfnis persönlich, spüren es ganz privat. Ist es dann nicht eine gute Idee, sich kurz ins Freie zu stellen, vor akustisch prächtiger Böllerkulisse den Wind die Haare zausen zu lassen und ohne Brimborium zu sagen, was Ihnen wichtig ist?

Die Worte sind vielleicht schwer zu verstehen, aber das darf so sein. Es geht Ihnen nicht darum, durch Inszenierung zu glänzen, es drängt aus dem Herzen auf die Zunge, ganz authentisch, ganz privat. Es stört Sie deshalb kein Bisschen, wenn das Drumherum irgendwie amateurhaft wirkt. Auf die Sache kommt es an. Sie stehen also im Wind und sagen: "Was war das für ein Jahr, dieses Jahr 2022, es hat uns vor unglaubliche Herausforderungen gestellt, mitten in Europa tobt ein Krieg. Und damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte, viele, viele Begegnungen mit interessanten, mit tollen Menschen. Dafür sag’ ich ein herzliches Dankeschön."

Gedankenspiel mit Realitätsfaktor

Stellen Sie sich also vor, Sie hätten das wörtlich so gesagt. Und stellen Sie sich weiter vor, auch wenn es die Fantasie strapaziert, Sie wären nicht nur Privatperson, sondern in einem anderen Leben zufällig auch Ministerin. Ich weiß, das ist viel verlangt, wer kann sich schon mir nichts, dir nichts in eine Ministerin hineinversetzen, ich als Privatperson jedenfalls nicht. Aber wir stellen uns das ja nur vor, es ist ein Gedankenspiel, wir malen uns Dinge aus, die man sich kaum vorstellen kann.

Wir sagen also ganz privat den zitierten Text - in Europa tobt Krieg, damit verbunden sind für mich viele besondere Eindrücke, Begegnungen mit tollen Menschen, Sie haben es noch im Ohr - und dazu die Kanonenschlagkulisse unserer herrlichen Haupstadt Berlin; das macht das Erzählen vom Krieg gleich noch plastischer. Ja, und Sie sind im beruflichen Leben Ministerin für Verteidigung und stellen sich pünktlich zur Zeitenwende als Privatperson in den Wind, meditieren über den Krieg und haben dabei noch Umsicht genug, sogar an die Menschen zu denken, die Ihnen nahe sind und sagen also auch dies: "Ich werde jetzt diesen Jahreswechsel begehen mit Familie und Freunden. Und all denjenigen, die das nicht können, weil sie für uns im Dienst sind, als Soldat oder als Polizistin, im Krankenhaus oder in anderen Bereichen, sage ich ein herzliches Dankeschön." Passt das alles gut zusammen?

Das neue Jahr beginnt im alten Stil

Keine Bange, das muss es nicht. Wir stellen uns ja nur vor, all das würde tatsächlich gesagt innerhalb einer Minute. Und dann wird Silvesternacht. Und auf Polizistin und Sanitäter und auf Feuerwehrleute werden Böller geworfen, sie werden attackiert. Und Obacht, jetzt kommt die Pointe: Sie müssen sich nämlich rein gar nichts vorstellen. Das ist alles wirklich passiert.

Silvesternacht in Deutschland. Und das neue Jahr beginnt gleich wieder im alten Stil: Debatten über Gewalt, über junge Männer, über Ursachen, Milieus und Herkunft. Und eine quälende Debatte über eine Ministerin. Einige dieser Debatten werden uns zuverlässig begleiten. Eine Debatte aber ließe sich rasch beenden. Stellen Sie sich nur einfach kurz vor: Bundeskanzler, das wären Sie – und nicht Olaf Scholz.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 06.01.2023 | 10:20 Uhr

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