Ein muslimischer Grabstein mit einem Sichelmond und einem Stern, daneben eine Efeuranke © picture alliance / Frank May Foto: Frank May

Wie trauern Muslim*innen in Norddeutschland?

Stand: 25.11.2022 06:00 Uhr

Lichterketten und Tannengrün kündigen schon die Adventszeit an. Doch der November ist im Christentum traditionell ein Monat, in dem der Toten gedacht wird. Wie trauern muslimische Menschen in Norddeutschland?

von Helgard Füchsel

Da-sein.de ist eine Online-Plattform der Stiftung Hospizdienst Oldenburg für trauernde Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Wer sich unter dort meldet, kann per E-Mail Rat suchen - neuerdings auch auf Russisch und Arabisch. Um arabische Anfragen kümmert sich Moustafa Arksousi demnächst ehrenamtlich. "Jeder Mensch braucht im Trauerfall Kontakt, braucht jemanden bei ihm, der ihm zuhört. Jemanden, der einfach nur da ist - deshalb heißen wir 'dasein'."

Moustafa Arksousi engagiert sich aus persönlichen Gründen. Er hat in seinem Heimatland Syrien den Krieg erlebt. Er musste dort einige Menschen begraben, die ihm nahestanden. Schon mit Anfang zwanzig wurde er so mit dem Tod konfrontiert. Besonders nah ging ihm die Trauerfeier für seinen Onkel. "Beim Trauern waren wir alle am Lachen. Nicht nur am Lachen, aber ab und zu haben wir uns ganz normal unterhalten und gelacht. Am Ende war ich zerrissen: War das richtig? War das falsch?", fragt sich Arksousi.

Junge Menschen fragen sich: Was ist während der Trauer erlaubt?

Moustafa Arksousi © Moustafa Arksousi
Moustafa Arksousi engagiert sich ehrenamtlich für den Verein da-sein.de der Stiftung Hospizdienst Oldenburg für trauernde Menschen.

Der 31-Jährige ist vor acht Jahren geflohen und lebt jetzt in Oldenburg. Hier stellt er fest, dass sich trauernde junge Menschen, egal welcher Religion, mit ähnlichen Fragen beschäftigen: Darf ich zur Geburtstagsfeier eines Freundes, wenn mein Opa gestorben ist? "Ich kann trotzdem feiern, aber nach einer Stunde oder irgendwann kommt dieser Gedanke: 'Oh, ich habe jemanden verloren.' Dann weine ich. Und das ist vollkommen in Ordnung", sagt Arksousi. Auf manche Fragen, beispielweise, wenn es um Schuldgefühle gehe, gebe der Koran Antworten. "Im Islam steht bei jedem fest, wann er stirbt. Deswegen kann niemand Schuld sein, dass jemand gestorben ist."

Islamische Trauerrituale von großer Bedeutung

Einige Trauerrituale sind für den Islam von elementarer Bedeutung. Eine islamische Trauerfeier sollte nicht länger dauern als drei Tage. Ganz wichtig ist, dass ein muslimischer Verstorbener schnell beerdigt wird. Das geht auch in Norddeutschland, sagt der Bestatter Ibrahim Aydin aus Bremen. "Wo es gut läuft, ist in Bremen, Oldenburg, Delmenhorst. Die sind sehr schnell. Da kriegt man, wenn man wirklich möchte, auch am selben Tag noch eine Beerdigung. Aber in anderen Städte, da braucht man leider zwei bis drei Werktage", berichtet Aydin von seinen Erfahrungen als Bestatter.

Ibrahim Aydin hat bereits als Jugendlicher im Bestattungsunternehmen seines Vaters in Bremen mitgearbeitet. Das war vor drei Jahrzehnten. Mittlerweile ist der 44-Jährige selbst Chef von sieben Mitarbeitern. Er organisiert die rituellen Waschungen nach genauen Vorgaben und stellt auch heiliges Wasser aus Mekka bereit: sogenanntes Zamzam Wasser, das der Imam dem Toten auf die Lippen tupft.

Weitere Informationen
Muslimischer Friedhof in Essen © picture alliance Foto: Rupert Oberhäuser

Trauer im Islam: "Beim Vorbeilaufen beten wir für alle"

Wie gehen Muslime mit Trauer und mit dem Sterben um? Ein Besuch in der türkisch-islamischen DITIB-Gemeinde in Oldenburg. mehr

Veränderungen trotz strenger Regeln

Viele Dinge sind streng geregelt, aber einiges hat sich mit den Jahren auch gewandelt, sagt der Bestatter. "Früher war der Wunsch einfach nur eine schnelle Überführung, oder eine schnelle Bestattung. Die jetzige Generation möchte auch mal die Trauerhalle nutzen, oder Blumen. Es war bei uns vor 15, 20 Jahren unvorstellbar, dass jemand Blumen zum Friedhof mitbringt."

Früher wollten noch 95 Prozent der Muslime nach dem Tod in ihre ehemalige Heimat überführt werden. Jetzt sind es nur noch 20 Prozent. "Man hat auch gar keine Bindung mehr. Man hat sich hier alles aufgebaut. Einige sind auch der türkischen Sprache gar nicht mehr mächtig. Und, obwohl ich selber eine große Familie in der Türkei habe, ist mein Lebensmittelpunkt in Deutschland", sagt Aydin.

Ibrahim Aydin betreut viele Menschen mit türkischer Herkunft, aber nicht nur. Er organisiert islamische, jesidische, alevitische und auch christliche Bestattungen: "Ich kriege natürlich Familien mit, die sehr laut trauern. Ich kriege das auch mit, Familien, die sehr leise trauern."

Wie Menschen trauern, ist sehr individuell, sagt der Bestatter. Das bestätigt auch Moustafa Arksousi: "Es gibt kein richtig und kein falsch beim Trauern. Jeder Trauerprozess ist anders. Von Situation zu Situation anders und von Mensch zu Mensch ist das auch anders. Deswegen es gibt keine richtige oder falsche Trauer, sondern: Trauer ist Trauer."

 

Weitere Informationen
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

Freitagsforum

Reportagen aus dem Alltag von Muslimen, Berichte über innermuslimische Debatten und Beiträge von Gastautoren zu aktuellen Themen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 25.11.2022 | 15:20 Uhr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur Livestream

Der Vormittag

10:00 - 13:00 Uhr
Live hörenTitelliste