Muslimischer Friedhof in Essen © picture alliance Foto: Rupert Oberhäuser

Trauer im Islam: "Beim Vorbeilaufen beten wir für alle"

Stand: 27.11.2020 12:58 Uhr

Am vergangenen Sonntag war der Totensonntag, an dem Christinnen und Christen traditionell der Toten gedenken und die Gräber ihrer verstorbenen Verwandten und Freunde besuchen. Aber wie gehen Muslime mit Trauer und mit dem Sterben um?

Muslimischer Friedhof in Essen © picture alliance Foto: Rupert Oberhäuser
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von Helgard Füchsel

Wenn Yasemin Acar-Altiparmak von der Oldenburger türkisch-islamischen Gemeinde an einem Friedhof vorbeikommt, betet sie für die Toten. Und zwar nicht nur für ihre eigenen Verwandten oder Freunde, sondern für alle, die dort liegen. Das ist im Islam verbreitet, sagt sie: "Egal an welchem Friedhof. Man muss nicht unbedingt rein, sondern auch beim Vorbeilaufen beten wir für alle, und wir glauben daran, dass die das mitbekommen."

Die 33-Jährige ist im Frauenvorstand der DITIB-Gemeinde in Oldenburg. Die Moschee liegt neben einer Bowlingbahn und einer Autowerkstatt im Gewerbegebiet. Ein Flachdachhaus - daneben ein kleines Minarett. Etwa 400 Menschen besuchen normalerweise die Moschee regelmäßig, sagt Yakup Castur aus dem Vorstand - jetzt in Corona-Zeiten kommen etwa halb so viele. Wenn jemand stirbt, sei man füreinander da, sagt Castur: "Wir kennen uns hier alle in Oldenburg. Das sind keine Fremden für uns, die versterben, sondern das sind Freunde. Das Totengebet wird hier in der Moschee verrichtet. Soweit wie möglich ist auch jeder beim Gebet, der sich frei nehmen kann."

Und mit dem Beten allein ist es nicht getan, betont er: "Wir versorgen die Trauernden mit Essen, damit sie nicht selber kochen. Das ist wichtig, denn sie sollen sich nicht mit dem Häuslichen aufhalten, sondern sie sollen ihre Trauer ausleben können."

"Man erwartet, dass man Menschen um sich herum hat, die für einen beten"

So war es auch, als Yasemin Acar-Altiparmak vor ein paar Jahren erst die Mutter und dann den Vater verloren hat: "Man erwartet, dass man Menschen um sich herum hat, die für einen beten, die einen dabei unterstützen. Dann sieht man, dass die an mich denken - das war mir damals wichtig."

Die Familie hat am Sterbebett der Mutter gewacht. Als diese im Sterben lag hat die Familie den Imam gerufen. Denn die Sterbende hatte noch einen Wunsch: "Sie wollte, dass wir ihr ein bestimmtes Gebet laut vorlesen. Sie wollte es hören. Ich denke, dass das ihrer Seele gut getan hat und dass sie so ihren Frieden gefunden hat und erleichtert war."

Für die junge Frau war es beruhigend, dass ihre Mutter friedlich eingeschlafen ist. Sie bedauert allerdings, dass sie nicht oft am Grab ihrer Eltern beten kann, denn die sind in der Türkei begraben. Die Eltern hatten immer Sehnsucht nach der alten Heimat. Sie selbst ist dagegen in Deutschland verwurzelt.

"Ich habe für mich entschieden, dass ich hier bestattet werde"

So geht es auch Leyla Dincer. Die 48-Jährige hat sich schon Gedanken darüber gemacht, wo sie selbst einmal bestattet werden möchte: "Ich kenne das von meinem Vater: Der ist vor sechs Jahren verstorben und liegt in der Türkei. Ich warte jedes Jahr auf den Urlaub, damit ich dann sein Grab besuchen kann. Wenn er hier bestattet wäre, hätte ich viel öfter hingehen können. Deshalb habe ich für mich entschieden, dass ich hier bestattet werde, damit meine Kinder öfter kommen und für mich beten können."

Die Kinder sind mit dieser islamischen Tradition allerdings nicht genug vertraut, sagen die Frauen. Bisher hat die Gemeinde immer zweimal im Jahr die muslimischen Gräber auf dem städtischen Friedhof in Oldenburg besucht - vor den großen Feiertagen, dem Opferfest und dem Ramadan. Vor ein paar Tagen hat der Frauenvorstand beschlossen, dass sie jetzt regelmäßig ein Mal im Monat dorthin fahren wollen. Dort beten sie und lesen aus dem Koran, "damit unsere Kinder das auch sehen und weiterführen", so Acar-Altiparmak. "Damit unsere Geschwister, die hier liegen - auch wenn wir sie nicht kennen, sind das unsere Geschwister -, nicht allein gelassen werden und regelmäßig Besuch bekommen. Und wenn in Zukunft wir auch da liegen, dass das weitergeführt wird."

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 27.11.2020 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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