Viele Hürden - Der Weg zum islamischen Wohlfahrtsverband
Ob in der Altenpflege, Gefängnisseelsorge oder Flüchtlingshilfe - viele Muslime engagieren sich ehrenamtlich. Eine professionelle muslimische Wohlfahrtspflege, wie bei den christlichen Religionsgemeinschaften, gibt es bisher aber nicht. Dabei sind sich zahlreiche Experten einig: Der Bedarf an religions- und kultursensibler Sozialarbeit ist groß. Muslime in Bremen wollen nun den bundesweit ersten islamischen Wohlfahrtsverband gründen.
Anfang September in der Geschäftsstelle der Schura Bremen. Der Dachverband islamischer Gemeinschaften beteiligt sich an der Bremer Integrationswoche. Er informiert über das Projekt Al-Etidal, was soviel heißt wie Ausgeglichenheit. Al-Etidal ist eine Antwort auf die im Stadtteil Gröpelingen ausgeprägte Salafistenszene, sagt vor nur vier Zuhörern Projektleiter Bassam El-Choura: "Dieses Projekt ist ein Präventionsprojekt im Sinne von Aufklärung und Vorbeugung. Unsere Zielgruppen sind Jugendliche, Lehrer, Eltern, Jugend- und Sozialarbeiter, Sportreferenten, Polizei, Pastoren, Imame und alle Menschen, die mit Jugendlichen zu tun haben."
Die Wohlfahrtsarbeit soll professionalisiert werden
Das Projekt gegen Radikalisierung und Extremismus wird öffentlich gefördert. Es soll baldmöglichst in die Arbeit eines muslimischen Wohlfahrtsverbandes integriert werden. Ebenso wie die Gefängnisseelsorge, die Flüchtlingsarbeit, Förderangebote für Schüler oder Beratungsangebote für Frauen. Bisher werden diese sozialen Aktivitäten vor allem ehrenamtlich in den Gemeinden geleistet. Warum sie nun in einem Verband gebündelt werden sollen, begründet Mustafa Yavuz, Vorsitzender des Landesverbandes Schura Bremen: "Der Hintergrund des Ganzen ist, dass diese Tätigkeiten eigentlich von der Mehrheitsgesellschaft, von der Öffentlichkeit, so gar nicht wahrgenommen werden. Damit das in die Öffentlichkeit hineingetragen wird, ist es wichtig, dass es auch diese Angebote in einer muslimischen Trägerschaft gibt."
Nach dem Vorbild der großen christlichen Kirchen soll die Wohlfahrtsarbeit der Muslime in Bremen professionalisiert werden. "Es ist wichtig, dass man institutionell die Bereiche voneinander trennt", betont Mustafa Yavuz. "Um auch die Möglichkeit zu erlangen, als eingetragener Verein im Rahmen eines Wohlfahrtsverbandes an die finanziellen Ressourcen, die bundesweit oder auf Landesebene immer wieder ausgeschüttet werden, heranzukommen."
Große Herausforderungen
Und schließlich wünsche sich die muslimische Community in Bremen eigene Angebote für Kindergärten und Kinderbetreuung. Manfred Meyer, Geschäftsführer der Diakonie Bremen, hat volles Verständnis dafür, dass die muslimischen Gemeinden einen eigenen Wohlfahrtsverband gründen wollen. Er weist aber auch auf die schwierige finanzielle Lage des Bundeslandes hin: "Die Tatsache, dass man ein Wohlfahrtsverband ist, heißt ja gerade im Lande Bremen nicht, dass man dadurch automatisch Fördermittel bekommt."
Vorsichtig deutet der Diakoniechef auch ganz andere Bedenken an. Wird der neue Wohlfahrtsverband genug kompetentes Personal haben, um das ganze Spektrum sozialer Arbeit abzubilden? Und: "Die größten Hindernisse sehe ich zurzeit darin, dass sich die unterschiedlichen Strömungen Schura, Ditib etc. zunächst einmal intern verständigen müssten, in welche Richtung sie als Wohlfahrtsverband gehen möchten."
"Gründung noch relativ weit entfernt"
Diese Verständigung gibt es aber bisher nicht, weder in Bremen noch auf Bundesebene. Und das macht die Lage nicht einfacher, sagt Arnold Knigge, Vorstandssprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Bremen: "Wenn der neue Verband anerkannt werden will als Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege - wie die Arbeiterwohlfahrt, wie das Deutsche Rote Kreuz, wie die Caritas, wie das Diakonische Werk -, dann muss er auch als regionale Gliederung Teil eines Spitzenverbandes auf Bundesebene sein. Mein Eindruck ist, dass die Gründung eines islamischen Wohlfahrtsverbandes auf Bundesebene noch relativ weit entfernt liegt."
Direkt spricht es zwar niemand an, aber die aktuellen politischen Auseinandersetzungen um den türkisch-islamischen Dachverband Ditib dürften ein wichtiger Grund dafür sein. Für die Schura Bremen steht dennoch fest: Ein für alle offener muslimischer Wohlfahrtsverband soll bis zum Jahresende gegründet sein. Einer müsse ja den Anfang machen.
