Frauen stehen vor einem bunten Fenster in einer Moschee und beten. © picture alliance / photothek Foto: Thomas Trutschel

Imamin in Deutschland - selbstverständlich oder undenkbar?

Stand: 16.09.2022 06:00 Uhr

In Deutschland gibt es nur einige Imaminnen in den muslimischen Gemeinden - und die sind oft umstritten. Denn der Islam ist von Männern geprägt. Wie selbstverständlich sind Imaminnen heute?

von Bita Schafi-Neya

Weibliche Imame: ja oder nein - das steht immer noch zur Debatte. Doch Frauen in wichtigen Positionen haben Tradition, betont Imam Benjamin Idriz. So soll eine Frau des Propheten Mohammed Gebete geleitet haben:

"Die Ehefrau des Propheten Mohammed war eine Geschäftsfrau, bevor der Prophet Mohammed überhaupt mit seiner Offenbarung in die Welt gekommen ist. Seine Frau war diejenige, die ihn finanziell und wirtschaftlich unterstützt hat. Die anderen Frauen des Propheten waren Gelehrte. Das heißt, dass wir zurück zu diesen Ursprüngen kommen müssen, indem wir fördern und immer wieder betonen, wie wichtig es ist, dass die Frauen in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Politik präsent sein müssen. Das ist die Rolle der Frau", betont Imam Idriz.

"Frauen müssen in der Gesellschaft aktiv werden"

Benjamin Idriz ist ein liberaler Imam. Er hat das Buch "Der Koran und die Frauen" geschrieben und leitet eine Gemeinde im oberbayerischen Penzberg. Noch immer würden sich die muslimischen Gemeinden schwertun, Frauen gleichberechtigt zu behandeln, beklagt Idriz: "Die Frauen müssen in der Gesellschaft aktiv werden, in Moscheegemeinden, im sozialen Leben, in der Politik, in der Wirtschaft - genauso wie in der Zeit des Propheten. Nicht nur Zuhause, sondern in der Gesellschaft. Sie sollten genau wie die Männer das Recht haben, zu arbeiten und für die Entwicklung der Welt ihren Beitrag zu leisten. Die Frauen müssen gleich behandelt werden", findet Idriz.

Frauen sitzen in einer Moschee und beten © picture alliance / photothek Foto: Thomas Trutschel
Musliminnen beten traditionell getrennt von den Männern. Eine Imamin stößt bei vielen Gläubigen auf Widerstand.

Der Imam ist der Vorbeter oder das geistliche Oberhaupt einer muslimischen Gemeinde, der Titel ist nicht geschützt. Jeder Mensch, der das Wissen hat und von einer Gemeinde akzeptiert wird, kann die Rolle des Imams übernehmen. Es kommt noch immer selten vor, dass heute eine Frau eine Moschee führt, bedauert Idriz: "Die Frage, ob eine Imamin heute in Deutschland auch eine Gemeinde leiten kann, hängt von vielen Faktoren ab. Wichtig ist, dass in der Gemeinde Harmonie und Akzeptanz herrschen. Wenn eine Gemeinde unbedingt eine Frau als Imamin haben will und wenn alle Mitglieder damit einverstanden sind, ist das theologisch meiner Meinung nach überhaupt kein Problem."

Großteil der Gläubigen lehnen weibliche Imame ab

Doch viele Männer tun sich schwer, hinter Frauen zu beten. Denn nach klassischer islamischer Theologie dürfen Frauen nur in reinen Frauengemeinschaften vorbeten. Das Gebet vor Männern ist ihnen verboten. Die aufgeführten Gründe der Gegner sind vielfältig: Frauen könnten aufgrund ihrer Menstruation nicht jene rituelle Reinheit garantieren, die für das Gebet erforderlich sei. Außerdem könnte sie als Vorbeterin die dahinter stehenden Männer ablenken. So werden weibliche Imame von einem Großteil der Gläubigen und Gelehrten abgelehnt.

Die Kritiker stützen sich auf bestimmte Traditionen oder Aussagen im Koran, erläutert die Islam-Theologin Esma Demir: "In den Offenbarungstexten, also im Koran oder in der Sunna, ist nichts zu finden. Im Gelehrtenkonsens jedoch ist ausdrücklich ein Verbot ausgesprochen worden. Es wurde nicht gestattet, dass eine muslimische Frau vor einer gemischten Gemeinde vorbeten soll", erläutert Demir.

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Egal ob emanzipatorische oder religiöse Gründe: Die Diskussion über Imaminnen ist entfacht.

 

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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