Liberal, aber umstritten: Moschee im Namen Goethes
Am 16. Juni wird in Berlin die Ibn Rushd-Goethe-Moschee eröffnet, eine sogenannte liberale Moschee. Frauen und Männer können dort gleichberechtigt beten und predigen; Muslime verschiedener Glaubensrichtungen, also Sunniten, Schiiten, Sufis und Aleviten, können gemeinsam Gottesdienst feiern. Entstanden ist die Idee zu dieser Moschee auf Initiative der Frauenrechtlerin Seyran Ateş.
Von Jan Ehlert
Seyran Ateş ist gläubige Muslimin. Doch ausgerechnet bei der Deutschen Islamkonferenz, an der sie von 2006 bis 2009 teilnahm, musste sie feststellen, dass ihre Vorstellung vom Islam wenig gemein hatte mit den Vorstellungen der großen deutschen Islamverbände. Und so wuchs in Ates der Gedanke, sich nicht nur politisch, sondern auch theologisch zu engagieren: "Ich habe festgestellt, dass es nicht ausreicht, zu sagen, die Konservativen, die Verbände machen das und jenes falsch. Aber selber nichts zu tun, ist keine gute Form von Kritik. Wenn wir sagen, die Verbände repräsentieren nur 15 Prozent aller Muslime hier in Deutschland - was ist dann mit der schweigenden Mehrheit? Deshalb habe ich eingesehen, dass wir uns organisieren müssen. Und die Idee mit der Moschee ist genau daraus entstanden."
Eine Moschee, die Welten verbindet
Eine liberale Moschee soll es werden, die östliche und westliche Werte verbindet. Das signalisiert schon der Name: Ibn Rushd-Goethe-Moschee, benannt also nach dem muslimischen Philosoph Ibn Rushd, der im 12. Jahrhundert die Werke Aristoteles' für die westliche Kultur erschloss und nach dem deutschen Dichterfürsten. Goethe nämlich bekannte schon in seinem west-östlichen Divan: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.
Eine Moschee also, in der eine offene Gesellschaft gepredigt wird. Und obwohl es allein in Berlin mehr als 80 Moscheegemeinden gibt: Keine sei bislang so liberal, meint Ates: "Es gibt keine einzige, das will ich jetzt hier einfach behaupten, die als Moschee existiert, die ähnlich offen ist für die verschiedene Ausrichtungen des Islams, nämlich Schiiten, Sunniten, Aleviten und Sufis zusammen. Und die vor allem hier in dieser Demokratie angekommen sind und offen sind, über Zweifel an der Religion zu diskutieren."
Liberalität als Dogma?
Mit solch provozierenden Aussagen sorgt Seyran Ateş bei liberalen Muslimen jedoch für Stirnrunzeln. Es dürfe schließlich nicht der Eindruck entstehen, dass sich ein konservativer Islam nicht mit Demokratie vereinbaren ließe, kritisiert Nushin Atmaca vom Liberal-Islamischen Bund: "Ich finde, da wird Liberalität dogmatisch, wenn Liberalität bedeutet, dass man eine Vorstellung von einem progressiven Islam formuliert, der sich dann aber auch alle anzuschließen haben, weil es so nicht weitergehe. Und ich finde, damit werden bestimmte Feindbilder bedient. Denn wir haben ja eine gesellschaftliche Debatte, in der wir sehr oft hören, wie Muslime zu sein haben, wie sie sein sollten, um passend zu sein zu diesem Land. Und ich finde, solche Äußerungen bestärken diese Tendenzen, dass ein konservativer Islam hier nicht her passt."
Vielfalt zeigen
Wichtig sei es, die Vielfalt der Religion zu zeigen, in der es, anders als von Ates dargestellt, bereits seit längerem liberale Strömungen gibt, so Atmaca. Der Liberal-Islamische Bund gründete sich bereits 2010, um ihnen eine Stimme zu geben. "Konkret bedeutet das", so Atmaca, "dass wir uns einer feministischen Koranauslegung verpflichtet fühlen, dass wir gendergerechte Gebete anbieten, Frauen und Männer beten nebeneinander, Frauen beten vor, und dass wir explizit homosexuelle Muslime und muslimische Transpersonen in unseren Gemeinden willkommen heißen."
Ein Zuhause für Vordenkerinnen und Vordenkern
Je mehr liberale Stimmen es im Islam gibt, desto besser, findet allerdings auch Nushin Atmaca. Denn in den öffentlichen Diskursen sind sie bislang nur selten vertreten. In Zeiten des islamistischen Terrorismus ist es aber umso wichtiger zu zeigen, dass es auch im Islam Reformbestrebungen gibt. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Die Ibn Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, das ist der Traum von Seyran Ateş, könnte all diesen Vordenkerinnen und Vordenkern ein Zuhause bieten: "Ich habe vor allem die Intention, all diesen Gesichtern und Stimmen nun Raum zu geben. Aus der gesamten islamischen Welt von Marokko bis Indonesien all die hellen Geistern, die aufgeklärten Muslime, die in ihren Ländern schon die Arbeit machen, die wir auch hier machen, aber sich weniger trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen, sind bei uns willkommen."