Freitagsforum: "Je suis Hanau"
Am 19. Februar ermordete ein rassistischer Täter in Hanau zehn Menschen. Die Betroffenheit und die Anteilnahme waren groß, dennoch gab es Unterschiede im Vergleich zu den Reaktionen auf andere Anschläge, meint unser Gastkommentator.
Ich weiß noch genau, wie betroffen mich der Terroranschlag auf "Charlie Hebdo" 2015 gemacht hatte, als die Redaktion der französischen Satirezeitschrift gestürmt und elf Menschen brutal ermordet wurden. In der Folge kamen Staatschefs zusammen, um gemeinsam zu trauern. In sozialen Netzwerken untermalte man das eigene Profilbild in den französischen Nationalfarben oder postete den Solidaritäts-Slogan "Je suis Charlie". Ich hatte das Gefühl, die Gesellschaft rückte etwas enger zusammen.
Die Ereignisse hatten für mich als Teil der muslimischen Community in Deutschland aber auch spürbare Konsequenzen. Ich hatte zunehmend das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Verstanden hatte ich dabei aber nicht, wieso ich mich von Taten und Menschen distanzieren sollte, denen ich nie nahegestanden hatte. Ich wusste, dass die Rhetorik des Verdachts eng mit der medialen Berichterstattung zusammenhing, mit Sicherheitswarnungen von Politikerinnen und Politikern, mit einer Problematisierung der Religion des Islams in Talkshows.
Der Begriff "Fremdenfeindlichkeit" ist unpassend
Vergangene Woche - etwa fünf Jahre nach Charlie Hebdo - hat in Hanau ein rechtsradikaler Terrorist aus rassistischen Motiven zwei Shisha-Bars gestürmt. Dabei wurde eine vergleichbar große Gruppe von Menschen brutal ermordet. In den sozialen Medien hat diesmal niemand sein Profilbild in den Hanauer Stadtfarben unterlegt. Die Karnevalistinnen und Karnevalisten haben der Opfer der Tat auf ihren Umzügen diese Woche zwar gedacht. Insgesamt ist die Debatte zehn Tage nach Hanau aber schon wieder recht ruhig geworden.
In diesem Fall scheitern wir schon daran, den rassistischen Terrorakt auch als solchen zu benennen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach zwar von "terroristischer Gewalt" und "rassistischem Hass". In den medialen Reaktionen auf die Ereignisse ist jedoch immer noch hauptsächlich von einem fremdenfeindlichen Motiv die Rede. Ich finde den Begriff "Fremdenfeindlichkeit" hier total unpassend. Die Opfer waren keine Fremden. Sie waren Bürger Deutschlands. Ich mag zwar keine Shisha-Bars, aber grundsätzlich hätte auch ich mich dort aufhalten können. Ich bin auch jung, muslimisch, in Deutschland geboren und sozialisiert; mit einem Elternteil, das nicht in Deutschland geboren wurde. Das Wort Fremdenfeindlichkeit schafft eine Dichotomie, eine Differenz zwischen "wir" und "ihr", zwischen "uns" und "euch"“, es geht von einer Eigen- und einer exkludierten Fremdgruppe aus. Es konstruiert die Opfer als der Gesellschaft nicht zugehörig, als fremd. Wenn das eine fremdenfeindliche Tat war, dann muss ich auch fremd sein - obwohl ich mich gar nicht so fühle.
Rechtsterrorismus und Rassismus als Randphänomene
Bei "Charlie Hebdo" war man sich einig, dass es sich um einen Terrorakt handelte. Die Artikel, die ich bisher über Hanau las, standen aber überwiegend unter Titeln wie "Schießerei" oder "Bluttat". Diskutiert wurde auch über die paranoiden Ansichten des mutmaßlichen Täters Tobias R.; darüber, dass er in seiner eigenen Welt gelebt habe. In einer rechtsterroristischen, rassistischen Welt, die von der realen vermeintlich weit entfernt ist. Rechtsterrorismus und Rassismus werden so als Randphänomene bagatellisiert.
2015 war bei der Ursachensuche nicht von psychischen Krankheiten die Rede, sondern von der muslimischen Religionszugehörigkeit der Täter. Für antimuslimisch-rassistische Taten scheint eine Schablone der Wahrnehmung einfach noch nicht wirklich da zu sein. Dass Rassismus nicht nur biologisch, sondern auch kulturell oder religiös begründet werden kann, ist hier noch nicht angekommen. Dabei hat Tobias R. seine Tat so offenkundig rassistisch begründet, indem er zuvor gar zur Vernichtung mehrheitlich muslimisch bevölkerter Staaten aufrief.
Die Abstände scheinen sich zu verkürzen
Die hohe Zahl von Übergriffen auf Moscheen in den vergangenen Jahren. Die Festnahme von zwölf Verdächtigen vor einigen Tagen, die Terroranschläge auf Musliminnen und Muslime geplant hatten. Jetzt Hanau. Die Abstände zwischen solchen Ereignissen scheinen sich immer weiter zu verkürzen. Ich sorge mich inzwischen um meine Sicherheit. Aber fürs erste wäre ich schon zufrieden, wenn Politik und Medien antimuslimisch-rassistische und terroristische Straftaten auch konsequent als solche benennen und verurteilen würden. Unabhängig davon, wer sie verübt.