Pussy Riot in der Elbphilharmonie: Mut trifft auf Kleinmut
Die Künstlerinnen von Pussy Riot sind auf Tour durch Europa. Nun war Station in Hamburg. Im Kleinen Saal der Elbphilharmonie machten sie deutlich, dass sie sich nicht als einfache Musikerinnen verstehen.
Es ist eine kleine, vielsagende Panne im Ablauf des Konzerts: Marija Aljochina hat sich auf der Bühne eine Zigarette angezündet, nach rund einer Stunde zorniger Klanglawinen. Auf einer Leinwand im Hintergrund laufen körnige Videos, die zeigen, wie sie und ihre Mitstreiterinnen von Pussy Riot damals, vor zehn Jahren, ihren Auftritt in der Christ-Erlöser-Kathedrale Moskaus hinlegten.
Da steht sie, die junge Frau im hellen Kleid, die für ihren Auftritt zwei Jahre Lagerhaft bekommen hat - auf turmhohen Sneakern, statt Schnürsenkel schmücken sie weiße Bänder - und zieht, Sonnenbrille im Gesicht, an ihrer Kippe. Bis ein Techniker der Elbphilharmonie von der Seite kommt und sie höflich bittet, die Kippe abzugeben: Nein, geraucht werden darf hier nicht.
Konzert zwischen bürgerlicher Akkuratesse und zorniger Re-Inszenierung
Der Kontrast könnte kaum größer sein zwischen der bürgerlichen Akkuratesse der Elphi - natürlich unter normalen Bedingungen völlig verständlich - und dieser zornigen Re-Inszenierung eines ganzen Jahrzehnts im Widerstand gegen Putin und sein Regime. Mut versus Kleinmut? Die kleine Geste besagt vielmehr, dass an diesem Abend zwei Welten zusammenprallen.
Ohne einen Hauch Selbstbeweihräucherung wird hier auf Basis von Marija Aljochinas Geschichte schreiend durchdekliniert, wie schwer Widerstand in Putins Russland ist. Wie viel Mut es braucht, wie viel Charisma. Und dass das Geld für diesen Polizeiapparat eben zu großen Teilen aus dem Westen kommt. Gas wärmt die Menschen hier, tötet aber die Menschen dort. Zynisch, aber wahr.
Pussy Riot widmet den Abend der Ukraine
Der energiegeladene Auftritt von Pussy Riot erzählt aber auch, was der Westen, ganz vorne dabei Deutschland, lange nicht wahrhaben wollte: dass der Krieg nicht erst am 24. Februar 2022 begann, übrigens fast exakt zehn Jahre nach dem legendären Pussy Riot-Auftritt. Nein, der Krieg hat schon 2014 begonnen, mit der Besetzung der Krim. Und der Westen hat sich von den Kassandra-Rufen der mutigen Aktivistinnen nicht aus seiner Bequemlichkeit aufschrecken lassen.
Diesen Abend widmen Pussy Riot der Ukraine, dem Werben um ein sofortiges Gas- und Öl-Embargo, die Konzerterlöse fließen an ein Kinderkrankenhaus in Kiew. In einem aktuellen Antikriegs-Song klingt "Butscha" wie ein einziger gequälter Laut. Das bewegt, trifft ins Mark.
Und die weltbekannte Gruppe hat zwei Musikerinnen aus der Ukraine eingeladen, ihre Geschichte zu erzählen.
Kalte Dusche für das Publikum
Sie singen kraftvoll die ukrainische Hymne. Lauter starke Momente. Es ist wie eine sprichwörtliche kalte Dusche, wenn die Aktivistinnen kaltes Wasser aus Flaschen ins Publikum schütten. "Werdet endlich wach", scheinen sie sagen zu wollen. Die große Frage steht im Raum - tun wir genug? Die Antwort der Gruppe: Nein!
Um eine Kippe auszudrücken, braucht es einen Aschenbecher, um dieses Feuer in der Ukraine zu löschen: deutlich mehr.
