Lehrer zweiter Wahl? Ein Plädoyer für Quereinsteiger
Der Publizist Martin Tschechne kennt gute Gründe dafür, die Arbeit von Quereinsteigern an Schulen - gerade in Umbruchszeiten wie diesen - besonders wichtig zu finden.
Auch im Schuldienst herrscht Arbeitskräftemangel. Da müssten doch neue Kolleginnen und Kollegen, wo immer sie sich finden lassen, freudig begrüßt werden, auch solche, die aus der Praxis anderer Berufe kommen. In der Realität schlägt denen, die quer ins Schulgeschäft einsteigen, trotz der Mangelsituation oft genug Skepsis entgegen: Wo ist die pädagogische Erfahrung, wie soll das gutgehen ohne Referendariat?
Das Lehrerproblem als Folge von Leichtgläubigkeit und Ignoranz
Wer an die Macht des Schicksals glauben möchte, der findet schon seine Belege. Mehr als genug: den Klimawandel mit seinen Hitzestößen und Sturzfluten. Das Auseinanderbrechen einer vertrauten Weltordnung, Krieg, Inflation, das drohende Scheitern bewährter Demokratien - und in Erwartung eines Winters ohne Strom und Heizung kann einen auch bei flimmernden 38 Grad im Schatten schon ein Frösteln ankommen. Der Kulturbetrieb droht, in einer klebrigen Mischung aus Blauäugigkeit und Bocklosigkeit stecken zu bleiben; ganze Wirtschaftszweige scheitern daran, fähige und willige Arbeitskräfte zu finden: die Gastronomie, Krankenhäuser, Pflegestationen, das Handwerk, die Fliegerei. Und jetzt gehen uns auch noch die Lehrer aus.
Wer sich etwas näher herantraut, der wird feststellen: Jedes dieser Phänomene, vom Hitzesommer bis zur Dürre auf dem Arbeitsmarkt, hat sehr handfeste Ursachen. Und erstaunlich: Es sind immer wieder die gleichen Muster, die sich da zu erkennen geben - Bequemlichkeit und eine paternalistische Bürokratie. Eine seit Jahrzehnten eingeübte Leichtgläubigkeit und Ignoranz. Die Weigerung, Folgen des eigenen Handelns über den Augenblick hinaus fortzudenken. Eine moralische Selbstgewissheit, die keinen Zweifel duldet an der Rechtmäßigkeit des eigenen Wohlstands. Der amerikanische Philosoph Michael Sandel hat die falschen Mythen unserer Ideologie bloßgestellt; sein Buch "Vom Ende des Gemeinwohls" ist unbedingt zu empfehlen. Es zeigt, wie sich das Modell einer chancengerechten Leistungsgesellschaft ganz langsam in ihr Gegenteil verkehrt hat. Weder chancengerecht noch wirklich an Leistung orientiert. Hat das sonst niemand bemerkt?
Das Problem mit den Lehrern fügt sich da nahtlos ein. Als wollte nun doch ein zorniges Schicksal uns sagen: Seht ihr, wer sich nicht beizeiten um seine Zukunft kümmert, dem fällt sie eines Tages mächtig auf die Füße.
Lehrer ist längst kein Traumberuf mehr
Die Bildungsforschung hat längst Alarm geschlagen: Bis zum Ende des Jahrzehnts werden 81.000 Lehrerinnen und Lehrer an allgemeinbildenden Schulen fehlen, sehr vorsichtig geschätzt - und doch deutlich mehr, als es die Konferenz der Kultusminister in ihrem Bildungsbericht prognostiziert. Tatsächlich weisen die freien Forscher diese offizielle Berechnung als pure Schönfärberei zurück: Wo in den Zahlen schlägt sich die bereits beschlossene Ganztagsschule nieder, wo die erweiterte Inklusion, wo das absehbare Ansteigen der Schülerzahlen? Die Basis der Prognose stattdessen: Die Hochschulen werden schon liefern, was der Arbeitsmarkt fordert.
Im Ernst? Lehrer ist, um es vorsichtig zu sagen, für junge Leute von 18 oder 20 Jahren längst kein Traumberuf mehr: das gesellschaftliche Ansehen eher mäßig, die Entlohnung reißt es auch nicht heraus. Vielleicht ist auch die Erinnerung an die Boshaftigkeit renitenter Schüler bei manchem noch gar zu frisch. Und die Vorstellung, vielleicht nicht in einer attraktiven Großstadt seiner Bestimmung zu folgen, sondern irgendwo auf dem platten Land, nicht in einem Villenviertel, getragen von einer bildungshungrigen Umgebung, sondern am Stadtrand, wo turmhohe Sozialbauten die Kulisse definieren: Das alles ist jetzt auch kein Anreiz, den Traum von einem süßen Leben als Influencer oder Germany’s Next Topmodel aufzugeben.
Hohe Hürden für Quereinsteiger
Lösungsvorschläge? Doch, die gibt es! Und bessere als den, immer noch mehr Schüler in eine Klasse zu stopfen. Warum nicht Menschen ansprechen, die fachliche Expertise in einem anderen Beruf erworben haben? Quer- oder Seiteneinsteiger, die im Schuldienst einen sicheren Hafen sehen mögen - oder aber eine echte Berufung? Menschen, für die es ein Akt praktizierter Verantwortung ist, einer nachwachsenden Generation die entscheidenden Impulse für ihren Lebensweg zu geben? In manchen Bundesländern liegt ihre Zahl schon bei einem Drittel oder darüber. Es braucht nicht viel Fantasie sich auszumalen, wie es in der Schule ohne sie zugehen würde.
Doch egal, ob Idealismus den Impuls gegeben hat oder pragmatisches Kalkül: Wer von außen in ein Kollegium stößt, hat sich immer an zwei Fronten zu bewähren: zum einen sind es die Kolleginnen und Kollegen, die es nach einem harten Studium und der Feuerprobe eines Referendariats überhaupt nicht gern sehen, wenn da einer kommt und sagt, och, das Bisschen Pädagogik kriegen wir schon hin; war ja schließlich selber mal jung. Und nicht jeder gelernten Dolmetscherin, nicht jedem Mathematiker oder Möbeltischler, jeder Diplom-Chemikerin oder Orchestermusikerin ist es gegeben, die eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen in Demut zu justieren, wenn plötzlich eine Horde von 30 oder mehr hormonstrotzenden und auf ihr Mobiltelefon fixierten Jugendlichen Richtung und Rhythmus vorgibt. Die alteingesessenen Pädagogen schauen sich das an. Manchmal voller Mitgefühl, manchmal auch schadenfroh.
- Teil 1: Das Lehrerproblem als Folge von Leichtgläubigkeit und Ignoranz
- Teil 2: Sich noch einmal ganz hinten anstellen