Ehepaar-Doku "Für immer": Jeder hat Brüche in seinem Leben

Stand: 08.11.2023 10:58 Uhr

Der NDR Koproduktion "Für immer" porträtiert ein Ehepaar aus Norddeutschland, das trotz Krisen seit Jahrzehnten zusammen lebt. Im Interview erklärt NDR 90,3 Reporter Danny Marques Marcalo, was den Dokumentarfilm von Pia Lenz so besonders macht.

An einer Wand hängt das Schwarz-Weiß-Bild eines Paares. © Henning Wirtz
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Die Filmemacherin Pia Lenz hat für ihren Film das Ehepaar Eva und Dieter Simon fünf Jahre lang mit der Kamera begleitet. Fast 70 Jahre waren die beiden bereits ein Paar zu Beginn der Dreharbeiten. Lenz war meistens alleine mit ihnen, als sie filmte, und über die Zeit ist ein intimes Porträt einer Liebe entstanden. 

Danny Marques Marcalo, worum geht es in "Für Immer"?

Danny Marques Marcalo: In diesem Film geht es um das Ehepaar Eva und Dieter Simon aus Hamburg-Eißendorf. Die beiden sind 70 Jahre zusammen und auch verheiratet - und wir sehen, wie sie durch den gemeinsamen Alltag kommen. Eva ist schon sehr gesundheitlich angeschlagen, Dieter muss sie pflegen, muss ihr die Socken anziehen, all diese Dinge. Neben dieser Ebene sieht man, wie sie darüber sprechen, was sie über all die Jahre miteinander erlebt haben. Zum Beispiel hatten sie eine Tochter, die angefahren wurde und verstorben ist. Die beiden erzählen, wie sie damit umgegangen sind. Oder aber sie erzählen sich gegenseitig von ihren Seitensprüngen, die es auf beiden Seiten gegeben hat. Immer dann, wenn sie nicht sprechen, gibt es Briefe aus der Vergangenheit, die sie sich gegenseitig geschrieben haben, gelesen von Nina Hoss. 

Eine ältere Frau schaukelt auf einer Schaukel im Wald, im Hintergrund steht ihr Mann. © Henning Wirtz
Pia Lenz hat das Ehepaar Eva und Dieter Simon aus Hamburg-Eißendorf jahrelang mit der Kamera begleitet.

Was erfahren wir? Was nehmen wir mit von diesem Film? 

Marques Marcalo: Was ich mitnehme: Es ist schwierig, nach außen zu transportieren, wie eine Beziehung funktioniert. Und die Kamera wurde wirklich ganz nah rangelassen an die beiden. Wir sehen wirklich die Verletzungen, die sie sich gegenseitig angetan haben, weil sie da ganz offen darüber sprechen. Wir sehen aber auch, mit wieviel Liebe sie miteinander umgehen, wie sie sich umeinander kümmern. Und so entsteht ein ganz komplexes Bild einer Beziehung, das man, wenn man Menschen auf der Straße oder die Nachbarn sieht, gar nicht so schnell erfassen kann. Hier wird sich richtig drauf eingelassen, wir kommen diesen Leuten ganz nah und sehen: Eine Beziehung kann man in Worten eigentlich nicht erklären. Das musst du sehen - und das tut man in diesem Film. 

Das Thema ältere Menschen ist ein bisschen in Mode gekommen: Vor einigen Wochen kam die Doku "Heaven Can Wait" ins Kino, in dem es um einen Seniorenchor geht. 

Marques Marcalo: Genau. In dem Film geht es um Menschen, die mindestens 70 Jahre alt sein müssen, um in diesem Chor Heaven Can Wait mitzusingen. Ich glaube, es ist für viele Filmemacherinnen und Filmemacher eine reiche Schatzkiste, an diese Menschen ranzugehen: Menschen, die ein langes Leben schon hinter sich haben, die aber auch noch darüber sprechen können. Jeder hat Brüche in seinem Leben. Jeder hat ganz viele Dinge erlebt und zu erzählen. Keine Angst vor diesen Menschen zu haben und zu sagen: Erzählt mir mal eure Geschichte, erzählt aus eurem Leben, das ist unglaublich spannend. Denn was diese Menschen durchgemacht haben mit all ihren Geschichten, das blüht uns ja wahrscheinlich auch noch im Leben.

"Für immer" ist ein Dokumentarfilm - und die Kunst besteht wahrscheinlich darin, diese ganzen Geschichten zusammenzubasteln und zu komponieren…

Marques Marcalo: Die Doku ist natürlich eine Beobachtung, die über mehrere Jahre geht. Als der Film anfängt, da gibt es noch nicht mal die Corona-Pandemie. Der Film beobachtet einfach über eine sehr lange Zeit. Die Protagonisten kriegen auch keine Suggestivfragen gestellt, sondern die machen halt etwas und dann kommen sie von alleine ins Reden. Wenn Eva da sitzt und Gedichte liest, zu weinen anfängt und erzählt, warum sie so gerührt ist, liegt das daran, dass die Filmemacherin Pia Lenz mit viel Geduld gedreht und gewartet hat, dass etwas passiert. Wahrscheinlich hat sie sehr viel Material gehabt und daraus ausgewählt, um am Ende in gut 85 Minuten die Geschichte zweier Leben zu erzählen.

Das Gespräch führte Philipp Schmid.

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Für immer

Genre:
Dokumentarfilm
Produktionsjahr:
2023
Produktionsland:
Deutschland
Zusatzinfo:
Mit Eva und Dieter Simon sowie Nina Hoss (Stimme)
Regie:
Pia Lenz
Länge:
87 Minuten
FSK:
ab 6 Jahre
Kinostart:
9. November 2023

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 08.11.2023 | 06:50 Uhr

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Dokumentarfilm

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