Zum Tod von Wolfgang Petersen: Mehr als nur Blockbuster-Regisseur
Wolfgang Petersens größter Erfolg war der legendäre deutsche Kriegsfilm "Das Boot". Filmkritikerin Katja Nicodemus würdigt das filmische Schaffen des mit 81 Jahren in Los Angeles verstorbenen Regisseurs.
Am Freitag ist der in Norddeutschland geborene und aufgewachsene Regisseur, Produzent und Autor Wolfgang Petersen an Speicheldrüsenkrebs in Los Angeles verstorben. Viele verbinden Filme wie "Das Boot", "Die unendliche Geschichte", "Outbreak", "Troja", "In the Line of Fire" und "Air Force One" mit seinem Namen.
"Wolfgang Petersen hatte einen Blick für Verletztlichkeit von Figuren"
Er hat aber auch sechs Tatort-Folgen für den Norddeutschen Rundfunk und weitere Fernsehfilme in Deutschland gedreht. Am bekanntesten ist die Tatort-Folge "Reifezeugnis" von 1977, die sogar in den USA ausgestrahlt wurde. Filmkritikerin Katja Nicodemus würdigt Wolfgang Petersen als Regisseur, der bei aller Lust daran, auf den Putz zu hauen, immer einen Blick für die Verletzlichkeit der Figuren in seinen Filmen hatte. Der es verstand, im Popcorn-Kino nicht hohle Heldenfiguren erscheinen zu lassen, sondern immer auch deren Menschlichkeit zu zeigen.
Frau Nicodemus, welche Bilder kommen Ihnen sofort in den Kopf, wenn Sie an Wolfgang Petersen denken? Was verbinden Sie persönlich mit seinem Kino?
Katja Nicodemus: Interessanterweise sind es gar nicht die großen Spektakel-Bilder aus den Blockbustern, die mir in den Kopf schießen, wie etwa die hundert Meter hohe Welle aus "Der Sturm" oder das Seuchenszenario in dem Virus-Film "Outbreak".
Als ich erfahren habe, dass Petersen gestorben ist, habe ich überlegt, was ihn eigentlich ausgemacht hat, und habe erst mal an die leiseren Momente seiner Figuren gedacht. Zum Beispiel in dem legendären Tatort "Reifezeugnis" von 1977: Da spielt Nastassja Kinski eine minderjährige Schülerin, die ein Verhältnis mit ihrem Lehrer hat, gespielt von Christian Quadflieg, und dessen Frau spielt Judy Winter. Alle Figuren in diesem Tatort sind auf eine ganz tragische, traurige Weise versehrt, verletzt, erschüttert. Solche Tonlagen und Figuren bekam Petersen auf eine sehr sensible Weise hin.
Ich denke auch an Clint Eastwood in dem Action-Krimi "In the Line of Fire": Da spielt er einen in die Jahre gekommenen CIA-Leibwächter, der noch einmal den US-amerikanischen Präsidenten beschützt. Auch so eine verlorene, traumatisierte Figur. Eastwoods Leibwächter geht schon mal die Puste aus, wenn er mit seinen über 50 Jahren neben der Präsidentenlimousine hersprinten muss. Das sind so die Momente.
"'Das Boot': Perfekte Verbindung zwischen Produktionstechnik und Kamerapsychologie"
Was wäre wohl aus Petersen geworden, wenn er in Deutschland geblieben wäre?
Nicodemus: Das ist eine interessante Spekulation. Petersen hat 1966 die Aufnahmeprüfung an der Berliner Filmhochschule gemacht, zusammen mit Rainer Werner Fassbinder. Und er wurde genommen und Fassbinder nicht. Fassbinder wurde zum Regisseur großer, gebrochener Heimatfilme, und Petersen hat die Heimat verlassen. Im Gegensatz zu Fassbinder hatte er schon sehr früh eine Vorliebe für das Genrekino entwickelt.
Er hat "Tatorts", Krimis fürs Fernsehen gedreht, und dann auch Action- und Kriegsfilme wie "Das Boot". In den USA hatte er unvergleichlich größere Chancen und Möglichkeiten. Aber vielleicht hätte sich das deutsche Genrekino ganz anders entwickelt oder hätte zu blühen begonnen, wenn ein so handwerklich versierter Regisseur wie Petersen dageblieben wäre. Vielleicht wäre das deutsche Kino hollywoodesker geworden, wenn er nicht nach Hollywood gegangen wäre.
Nach Hollywood kam Petersen durch den Kriegsfilm "Das Boot". Was war denn das Hollywoodeske an diesem Werk?
Nicodemus: Zum einen diese produktionstechnischen Möglichkeiten: Mit 32 Millionen D-Mark war das 1981 schon ein deutscher Kino-Blockbuster. Übrigens nicht nur in Deutschland - der Film wurde für sechs Oscars nominiert. In diesem Film gelang es Petersen gemeinsam mit seinem Kameramann Jost Vacano so ein Gefühl erdrückender Klaustrophobie zu erzeugen. Das war eine perfekte Verbindung zwischen Produktionstechnik und Kamerapsychologie: Das Warten, das Geräusch des Echolots der feindlichen Schiffe, das Abfeuern der Torpedos, die Angst vor den feindlichen Geschossen unter Wasser - und das alles, ohne etwas zu sehen, nur umgeben von Metall, das knirscht und birst.
Petersen hat mit einem enormen Regiegefühl dieses horrorhafte Unterwassergefühl erzeugt, und zum anderen konnte er auch ein Schauspielerensemble zusammenhalten, eine Mannschaft bilden.
"Der Sturm", "In the Line of Fire", "Air Force One", "Troja" - mit diesen Filmen wurde Petersen in den Vereinigten Staaten zum "Blockbuster-König". Passt das als Schlagwort für diesen Regisseur, oder ist das zu kurz gegriffen? Hatte er mehr drauf als Blockbuster- und Popcorn-Kino?
Nicodemus: Solche Produktion muss man ja erstmal orchestrieren können. Das ist schon eine enorme Leistung, dieses Popcorn-Kino hinzubekommen. Aber im Kern gelang es Petersen fast immer auch, diese Figuren nicht nur als hohle Heldenfiguren erscheinen zu lassen, sondern immer auch ihre Menschlichkeit zu zeigen.
Diese Blockbuster haben natürlich auch etwas Mechanisches, er arbeitet da mit eingeführten Erzählmodule, mit Mustern. Aber er hat in diesen Großproduktionen immer wieder diesen Raum geschaffen: für die Eheprobleme von Dustin Hoffman in "Outbreak", Eastwoods traumatisierten Leibwächter in "In the Line of Fire" oder für Harrison Ford in "Air Force One", der sich im Flugzeug versteckt, weil er seine Familie nicht verlassen will. Da war auch dieser Blick für die Verletzlichkeit der Figuren und trotzdem auch diese große Lust daran, ordentlich auf den Putz zu hauen.
Das Gespräch führte Philipp Cavert.