Devid Striesow und Roland Schimmelpfennig über "Ödipus" am Schauspielhaus

Stand: 13.10.2023 22:00 Uhr

Das Deutsche Schauspielhaus zeigt in fünf Stücken den Aufstieg und Fall der Stadt Theben. Mit "Ödipus" hat am Freitagabend der dritte Teil seine Premiere in Hamburg gefeiert. Für den Dramaturgen Roland Schimmelpfennig war die Bearbeitung der Tragödie eine große Herausforderung.

Nach dem Tod von König Laios hat dessen Schwager Kreon die Herrschaft in Theben übernommen. Doch eine Sphinx lauert in der Nähe von Theben und tötet alle Menschen, die ihr Rätsel nicht lösen können. Kreon verspricht demjenigen den Thron, der die Stadt von der Sphinx befreit. Ödipus, dem gerade prophezeit worden ist, dass er seinen Vater töten und seine Mutter heiraten wird, löst das Rätsel der Sphinx und erhält zum Dank für seinen Triumph die Herrschaft in Theben. Zunächst prosperiert die Stadt unter seiner Regentschaft. Doch unwissend schlittert er immer tiefer in sein Schicksal hinein.

Ödipus (Devid Striesow) sitzt an einem Tisch und schlägt die Hände über dem Kopf. © Monika Rittershaus
AUDIO: Die Wucht des Erzählens: Roland Schimmelpfennig im Gespräch (26 Min)

Devid Striesow: "Unglaublicher Kraftakt, den zu spielen"

Schauspieler Devid Striesow zu Gast in der NDR Talk Show am 1. Juni 2018 © NDR/Uwe Ernst Foto: Uwe Ernst
In Hamburg wird der Ödipus von Devid Striesow verkörpert, der für das Stück an das Deutsche Schauspielhaus zurückkehrt.

"Obwohl Ödipus versucht, nach dem Sieg über die Sphinx das Land mit klarem Verstand zu leiten, den aufklärerischen Gedanken und der freien Rede ihren Lauf zu lassen, hat er die Züge eines Tyrannen", schildert Devid Striesow im Interview mit dem Hamburger Abendblatt. "Darstellerisch ist das ein unglaublicher Kraftakt, den zu spielen. Der geht durch so viele emotionale Zustände und Erkenntniszustände, dass man da sehr sortiert auf die Bühne gehen muss." Und auch Dramaturg Roland Schimmelpfennig schildert im Gespräch mit NDR Kultur: "Die Figuren erscheinen manchmal so, als ob sie Argumente vortragen, aber es sind hochemotionale Figuren."

Weitere Informationen
Roland Schimmelpfennig © picture alliance / dpa | Jan Woitas Foto: picture alliance / dpa | Jan Woitas
26 Min

Roland Schimmelpfennig über seine "Anthropolis"-Serie am Schauspielhaus

Roland Schimmelpfennig spricht über die Rolle des Theaters und über die Annäherung an die Stoffe antiker Tragödien. 26 Min

Das Rationale wird bei "Ödipus" infrage gestellt

Das scheinbar Rationale, das Vernunftbasierte, wird in dem Stück infrage gestellt. Ist es richtig, das Irrationale komplett aus der Politik zu verbannen, sich die Natur zu unterwerfen und die Götter zu töten? Haben wir den Selbstzerstörungstrieb des Menschen und die Potenz von Gewalt unterschätzt? "Meine Texte sind nicht so geschrieben, dass sie eine geschlossene psychologische Behauptung aufstellen - wie in den Stückwelten von Ibsen oder Tschechow", erklärt der Dramaturg. "Bei mir ist es häufig so, dass ich eine Frage aufmache und mit dem Publikum gemeinsam die Geschichte verhandele."

Weitere Informationen
Die Darsteller Devid Striesow und Julia Wieninger stehen auf einer dunklen Bühne, er hält sich mit einer Krücke aufrecht. © Monika Ritterhaus

"Ödipus" in Hamburg: Ein großartiger Abend - mit holprigem Start

Das Schauspielhaus musste am Anfang geräumt werden - Grund war ein Alarm. Doch dann wurde das Publikum fürs Warten belohnt. mehr

Dramaturg Roland Schimmelpfennig hat die griechische Tragödie mit zeitgenössischen Fragen verknüpft. "Es wäre falsch gewesen in einer Klassik zu verharren. Der Verweis auf das Jetzt ist wichtig, auch um die Brücke zum Publikum zu schlagen", meint der Dramaturg. Der Ödipus ist immer auch eine Auseinandersetzung mit Machtfragen und wie Macht einen Menschen verändert. "Es hat, wie bei Sophokles üblich, auch diesen Schnitt durch die Gesellschaft. Es geht von oben nach unten und von unten nach oben."

Roland Schimmelpfennig: "Ödipus schüchtert einen ein"

Ödipus (Devid Striesow) geht am Stock. Im Hintergrund Iokaste (Julia Wieninger). © Monika Rittershaus
Sophokles "König Ödipus" wurde im 5.Jahrhundert vor Christus geschrieben.

Während der Corona-Pandemie hat Schimmelpfennig mit der Arbeit an dem Antikenzyklus begonnen, knapp zwei Jahre an den fünf Stücken und dem Prolog geschrieben. "Ödipus" war das Stück, an dem er als erstes gearbeitet hat - auch weil es für ihn die größte Herausforderung darstellte. "Ödipus schüchtert einen ein. Das ist der absolute Grundstein allen westlichen Theaters", schildert Schimmelpfennig. Die Stücke von Sophokles zählen mit denen von Aischylos und Euripides zu den ältesten überlieferten Tragödien. Bis heute nimmt Ödipus in Literatur, Philosophie und Psychologie eine zentrale Rolle ein.

"Das Stück ist sprachlich ausgesprochen komplex und hat mir auch aufgrund des Umfangs Sorgen gemacht", schildert Schimmelpfennig die Schwierigkeiten bei der Bearbeitung. Er griff vor allem auf die lineare Übersetzung von Friedrich Hölderlin zurück. "Da versteht man kein Wort, wenn man das liest - also ich zumindest nicht", sagt er schmunzelnd. "Das Ganze wird bei der Bearbeitung zu so einer Art dreidimensionalem Schachspiel. Da raucht einem schon der Kopf." Nur eines stand von Beginn an fest: "Egal welche Variante man in der Begegnung mit diesen griechischen Stoffen wählt - es wird immer schrecklich enden."

Weitere Informationen
Ein gehörnter Mann sitzt an einem Tisch, auf dem Weingläser und Flaschen stehen. © Monika Rittershaus

"Prolog/Dionysos": Starker Auftakt der Antiken-Serie in Hamburg

Die Uraufführung im Deutschen Schauspielhaus hat gezeigt: Die Antike ist immer noch lebendig - und ihre Geschichten sind hochtoxisch. mehr

Eine Frau blutverschmiert auf einer Bühne. © Monika Rittershaus Foto: Monika Rittershaus

"Laios": Eine fantastische Lina Beckmann in Hamburger Antiken-Serie

Im zweiten Teil der Antiken-Serie spielt Beckmann alle Rollen allein auf der Bühne und erntet ohrenbetäubenden Beifall. mehr

Drei Menschen halten einen Mann über Kopf © Monika Rittershaus

"Anthropolis": Blockbuster-Serie am Hamburger Schauspielhaus

In fünf Stücken zeigen Roland Schimmelpfennig und Karin Beier den Aufstieg und Fall der Stadt Theben. Die Serie startete mit "Dionysos". mehr

Devid Striesow und Roland Schimmelpfennig über "Ödipus" am Schauspielhaus

Devid Striesow spielt die Hauptrolle im "Ödipus". Für den Dramaturgen Roland Schimmelpfennig das schwierigste Stück.

Art:
Bühne
Datum:
Ende:
Ort:
Deutsches Schauspielhaus
Kirchenallee 39
20099 Hamburg
Telefon:
040 248713
In meinen Kalender eintragen

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 13.10.2023 | 07:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Theater

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Szenenbild aus Mozarts "La Clemenza di Tito" © Hans Jörg Michel Foto: Hans Jörg Michel

"La Clemenza di Tito" in Hamburg: Der Funke springt nicht über

"La Clemenza di Tito" ist Mozarts letzte Oper. Nun hat sie in der Hamburger Staatsoper Premiere gefeiert. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage: Demokratie unter Druck?