Sendedatum: 16.07.2013 18:20 Uhr

Die Gespenster der Vergangenheit besiegen

In unserer Sommerserie "Norddeutsche Familienromane" stellen wir sechs Autoren von Familienromanen vor.

Teil 2: "Das Lied der Stare nach dem Frost" von Gisa Klönne.

Trotz aller Unkenrufe vom Tod der Familie erfreut sich ein literarisches Genre derzeit sogar wieder wachsender Beliebtheit: der Familienroman nämlich. So mancher bekannte Schriftsteller nimmt sich seine eigene Familienchronik vor.

Idylle an einem Bootssteg, Stettiner Haff © picture-alliance/ dpa Foto: Robert B. Fishman ecomedia
Die Schönheit der Natur ist überwältigend, aber das Leben war lange Zeit sehr hart für die Bevölkerung Mecklenburgs.

Auch die für ihre fesselnden Krimis berühmte Autorin Gisa Klönne hat ihren neuen Roman "Das Lied der Stare nach dem Frost" eng an ihre Kindheitserinnerungen angelehnt.

Als Ausgangspunkt die eigene Familie

"Der Ausgangspunkt dieses Romans waren tatsächlich Briefe aus meiner Familie, waren tatsächlich alle Erzählungen aus der Zeit vor der Wende, waren eigene Erfahrungen bei Reisen in die DDR, waren die Mythen aus der Zeit, als die Russen kamen. Wir sind ja diese deutsch-deutsch geteilte Pfarrersfamilie, die einen waren im Westen, die anderen im Osten, und man versuchte ständig zusammen zu kommen", erklärt die Autorin.

Buchzitat: "Ihre Mutter hatte einen Autounfall. Sie ist vorgestern Nacht gegen 23.30 Uhr an der Anschlussstelle Krakow in falscher Richtung auf die Autobahn gefahren."

Dorothea Hinrichs, Jahrgang 1945, hat auf der A 19, nahe der Mecklenburgischen Seenplatte, als Geisterfahrerin einen für alle Beteiligten tödlichen Unfall verursacht. Zwölf Jahre zuvor ist ganz in der Nähe ihr Sohn Ivo gegen einen Betonpfeiler gerast. Die ihr gebliebenen Kinder sind weit weg, Sohn Alexander als Meeresforscher in Australien, Tochter Rixa als Barpianistin auf einem Kreuzfahrtschiff im Indischen Ozean. Rixa kehrt nach Berlin zurück und findet nach und nach heraus, welches Geheimnis ihre Mutter umgab.

Erinnerungen, Anekdoten und Erfundenes

"Aus meiner Familie erkennen viele jetzt von den Figuren, die ich geschrieben habe, einzelne Eigenschaften wieder oder sagen, ja, da sehe ich was, und es sind auch einige ganz konkrete Anekdoten eingeflossen. Es ist aber auch sehr, sehr viel erfunden und das ist auch wichtig so, weil ich eben nicht eine Familienchronik über meine Familie schreiben wollte, sondern ich habe meine Familie genommen als Ausgangspunkt dafür, wie es hätte gewesen sein können, und die Figuren sind genauso fiktiv wie es auch meine Kommissarin Judith Krieger war." Was jetzt genau Wahrheit ist und was nicht von den vielen Kleinigkeiten, das würde Gisa Klönne niemals verraten.

Eine existenzielle Geschichte auf zwei Zeitebenen

Der Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Während die Hauptfigur Rixa Hinrichs ihre Nachforschungen betreibt, bald auch in Mecklenburg, bringt uns ein zweiter Erzählstrang die Ereignisse um den Großvater Theodor Hinrichs vom Ersten Weltkrieg an näher.

Gisa Klönne hat es als eine Herausforderung gesehen, "aber auch als eine große Befreiung, auch für mich als Schriftstellerin. Gerade wenn man jetzt Polizeiermittler-Romane schreibt, wie ich es getan habe mit Judith Krieger, die wollte ich mal sprengen. Ich wollte eine existenzielle Geschichte - es geht natürlich auch um Leben und Tod in diesem Familienroman -, aber ich wollte sie anders erzählen können."

Rixa findet dunkle Familiengeheimnisse heraus, darunter auch die braune Vergangenheit ihres Großvaters.

"Wie kann es sein, dass ein evangelischer Pfarrer, der eigentlich das Gute will, sich so lange mit den Nazis verbündet hat, ja sogar SA-Mitglied war? Und da war ich dann natürlich schon bei der Geschichte, was war das für eine Zeit, als Hitler an die Macht kam, was war davor? Und so bin ich automatisch, fast zwangsläufig dann eben auch beim Niedergang des deutschen Kaiserreichs, beim verlorenen Ersten Weltkrieg, bei der Weimarer Republik gelandet, und es war sehr wichtig, diesen Bogen zu schlagen, um das eben zu verstehen, denn das kam nicht alles aus dem luftleeren Raum."

Eine Liebeserklärung an Mecklenburg

Während Rixa sich von den Gespenstern der Vergangenheit befreit, erwacht auch ein neues Selbstbewusstsein in ihr, als Musikerin und als Liebende.

Ein Vogel sitzt mit offenem Schnabel auf einem Zweig. © NDR Foto: Günther Metzinger
Ein Star singt sein Lied auf einem Baum.

Eine mitreißende, spannende Geschichte, deren größte Stärke in der Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart liegt. Besonders berührend sind die Kargheit und Härte des Lebens damals im ländlichen Mecklenburg bei gleichzeitiger überwältigender Schönheit der Natur.

Buchzitat: "Wir schritten bergan, einen sandigen Pfad zwischen Birken hinauf, links und rechts Blumen mit Namen wie aus einem Märchenbuch: Wiesenschaumkraut und Männertreu."

Gisa Klönne sorgt sich um die zunehmende Umweltzerstörung: "Mecklenburg ist trotzdem dünn besiedelt und groß genug, so dass man immer noch diese ganz stillen Ecken findet, aber so still wie vor der Wende ist es nicht mehr. Der Roman ist ja auch eine Liebeserklärung an dieses Land, was ich eben als Kind und Jugendliche auch noch erlebt habe zu DDR-Zeiten. Und das war für mich immer ein Land, wo ich dachte, die Zeit ist stehengeblieben, das könnte auch hundert Jahre früher sein. Das war für mich immer ein Abenteuerland."

Gisa Klönne, die singende Krimiautorin

Die Journalistin und Autorin Gisa Klönne in einer Aufnahme aus dem Jahr 2009 © dpa - Report Foto: Jörg Carstensen
Mecklenburg ist das Land, was der Schriftstellerin Gisa Klönne besonders am Herzen liegt.

Die Journalistin und Schriftstellerin arbeitete einige Jahre als Redakteurin und Chefredakteurin eines Umweltmagazins, bevor sie mit dem Schreiben von Büchern begann. Ihr erster Kriminalroman "Der Wald ist Schweigen" wurde sofort ein großer Erfolg. Vier weitere Fälle mit dem Ermittlerteam Judith Krieger und Manni Korzilius folgten. Alle wurden in mehrere Sprachen übersetzt. "Das Lied der Stare nach dem Frost" ist ihr erster Familienroman.

Gisa Klönne engagiert sie sich als Mentorin für jüngere Kolleginnen und leitet Schreibseminare für angehende Autoren. Außerdem ist sie eine der beiden Sängerinnen der Band "Hands Up! & The Shooting Stars" - einer Rockband, die ausschließlich aus Krimiautorinnen besteht.

 

Warum eignet sich der Schauplatz Mecklenburg für einen Familienroman?

Tja, eignet sich Mecklenburg besonders für einen Familienroman? Also, ich denke, ein Land, das sehr weit ist, wo die Leute zusammen stehen müssen, das ist natürlich an sich spannend. Für mich war Mecklenburg insofern der geeignete Schauplatz für dieses Familiendrama, weil es ein Land war, was eigentlich hinter der Grenze verschwunden war in der Zeit, in der Mecklenburg zur DDR gehörte. Und es war nun mal die Geschichte einer durch die Grenze geteilten deutsch-deutschen Familie. Natürlich hätte ich das auch nach Thüringen verlegen können oder nach Sachsen. Aber Mecklenburg ist nun mal das Land, was mir besonders am Herzen liegt.

 

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 16.07.2013 | 18:20 Uhr

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