"Eine Liebe, in Gedanken": Kristine Bilkau
Der Debütroman "Die Glücklichen" von Kristine Bilkau war ein großer Erfolg. Das Buch "Eine Liebe, in Gedanken" erzählt eine andere Geschichte.
Es geht um die Liebe, natürlich, wie auch nicht bei diesem Titel, der einerseits viel verspricht, eine Liebe, eine große vielleicht, andererseits widerruft: eine Liebe, nur in Gedanken? "Heißt das, nicht im richtigen Leben, heißt das, irgendetwas ist unerfüllt geblieben oder heißt das vielleicht, dass Liebe in Gedanken sogar besonders erfüllt ist", fragt Bilkau. Sie spielt mit dieser Doppeldeutigkeit und sie erzählt auch nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern mindestens zwei. Schon mit den ersten Sätzen sind wir mittendrin. Eine Tochter muss Abschied nehmen von ihrer Mutter
"Wer hat mich gefunden? Wie sah ich aus? Meine Mutter sitzt vor mir auf der Küchenbank, sie bestreicht sich ein Stück Baguette mit zerschmolzenem Camembert, sie sitzt, wie immer, wenn sie uns besuchte, auf dieser alten Holzbank, (...), sie nippt an ihrem Darjeeling und will alles über ihren eignen Tod wissen." Leseprobe
Kein autobiografischer Roman
"Es ist kein autobiografischer Roman, aber es ist trotzdem so, dass der Schreibimpuls autobiografisch war. Dass, nachdem meine Mutter gestorben ist, ich tatsächlich entdeckt habe, dass unsere Eltern in der Zeit, bevor sie unsere Eltern waren, für uns eigentlich so eine Art Geheimnis sind", erzählt die Autorin. Tief taucht die Tochter, aus deren Perspektive der Roman geschrieben ist, ein in diese Zeit, in die 60er-Jahre. Wie hat ihre Mutter, Antonia, Toni, damals gelebt? Wen hat sie geliebt? Welche Rolle spielte Edgar, in den sich die 24-Jährige damals in Hamburg Hals über Kopf verliebte?
"Ich sehnte mich nach Toni und Edgar, nach ihrem Glück, nach ihrer gemeinsamen Zukunft, die es einmal gegeben hatte. Nach den beiden Menschen, die Toni und Edgar gewesen waren. Ich wünschte mir, diese Zeit der beiden von irgendwoher zurückholen zu können und meiner Mutter zurückgeben zu können." Leseprobe
1968 unter der Lupe
Dann holt die Tochter die Zeit zurück, indem sie von Toni und Edgar erzählt, von vorsichtigen Treffen - pst, die Zimmerwirtin darf nichts hören - der ersten gemeinsamen Hotelnacht, der Verlobung, bis hin zu seiner Abreise nach Hongkong und dem Versprechen: "Ich hole dich nach." Wie schon in "Die Glücklichen" schafft Kristine Bilkau eine wunderbare atmosphärische Dichte, sie ist noch näher dran an den Figuren. Dabei ist der Ton frei von Kitsch, behutsam, fast schwebend zu Beginn. Obwohl sie keine aktuelle gesellschaftliche Bestandsaufnahme liefert, hat die Autorin die Gesellschaft immer im Blick. Nur nimmt sie dieses Mal die 60er-Jahre unter die Lupe - und zwar die Zeit vor 1968.
Wer will, kann in ihrer Beschreibung der damals etwa 20-Jährigen zumindest eine Erklärung dafür finden, warum deren Kinder so geworden sind wie beispielsweise die Protagonisten in "Die Glücklichen" oder die Tochter von Toni. Diese Generation, so Kristine Bilkau, sei oft deutlich mehr auf Sicherheit bedacht und nostalgischer: "Die Tochter bezieht einmal eine alte, heruntergekommene Altbauwohnung und ist wahnsinnig verzückt von diesem gusseisernen Herd, der da in der Küche steht und den kaputten Holzdielen, und die Mutter geht völlig beklommen durch die Wohnung und kann eben diesen nostalgischen Blick überhaupt nicht nachvollziehen", so Bilkau.
Doch vor allem erzählt Kristine Bilkau vom Abschied, vom allmählichen Verschwinden eines Menschen aus einer Beziehung, aus dem Leben - und dem Fortbestehen der Liebe. Ein kluges, ein zauberhaftes Buch.
Eine Liebe, in Gedanken
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Luchterhand
- Bestellnummer:
- ISBN: 978-3-630-87518-7
- Preis:
- 20,00 €
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Romane
