Maryse Condé: "Das ungeschminkte Leben" (Cover) © Luchterhand

Überlebenskampf statt romantischer Identitätssuche

Stand: 02.04.2024 14:24 Uhr

Mit dem zweibändigen Roman "Segu" über das Mali des 19. Jahrhunderts, wurde sie international bekannt: Maryse Condé, die französische Schriftstellerin karibischer Herkunft. Nun ist sie im Alter von 90 Jahren verstorben. 2020 erschien auf Deutsch ihre Autobiografie: "Das ungeschminkte Leben."

von Tobias Wenzel

2018 erhielt sie, als Ersatz für den in dem Jahr nicht vergebenen Literaturnobelpreis, den "Alternativen Literaturpreises der Neuen Akademie". Nun ist Maryse Condés Autobiografie "Das ungeschminkte Leben" in deutscher Übersetzung erschienen.

"Warum endet der Versuch, von sich zu erzählen, jedes Mal in einem Gewirr von Unwahrheiten?", fragt Maryse Condé in ihrer Autobiografie "Das ungeschminkte Leben" und verspricht, sich in keinem besseren Licht darzustellen. Ihre übertriebene Leidenschaft für die Wahrheit habe ihr allerdings im Leben geschadet.

Maryse Condé: "Das ungeschminkte Leben" (Cover) © Luchterhand
Erst mit knapp 40 Jahren hat die Autorin ihren ersten Roman veröffentlicht.

"Mit ungefähr zehn Jahren habe ich meiner Mutter zum Geburtstag ein Gedicht geschrieben. Darin habe ich sie beschrieben, wie ich sie gesehen habe: mal zärtlich, mal launenhaft. Da hat meine Mutter geweint. Damals habe ich verstanden, die Wahrheit tut weh. Aber das hat mich nie daran gehindert, das zu sagen, was ich für wahr gehalten habe", erinnert sich die Autorin.

Eine ehrliche Autobiografie

In der Tat hat man bei der Lektüre dieser beeindruckenden Autobiografie das Gefühl, dass da endlich mal jemand nicht beschönigend das eigene Leben erzählt. Condé beschreibt sich nämlich als egoistisch und wirkt anfangs auch unsympathisch: Als arrogante junge Frau beginnt sie ein Studium in Paris. Dann jedoch schwängert sie ein Haitianer und verlässt sie. Sie bekommt das Kind, ist aber überfordert und vermisst ihre Freiheit, gibt ihren Sohn zeitweilig in Pflege, nennt sich rückblickend "Rabenmutter".

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Maryse Condé im Porträt © picture alliance / TT NYHETSBYRÅN | Christine Olsson Foto: Christine Olsson

Die Schriftstellerin Maryse Condé ist gestorben

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Nicht zufällig empfinden Frauen in Maryse Condés Romanen Kinder als Last. Ohne ihm von ihrem Sohn zu erzählen, heiratet sie in Paris einen Mann aus Guinea, wird schwanger von ihm, trennt sich. Ein Geschichtsdozent hat mittlerweile ihr Interesse für Afrika geweckt.

Beschäftigung mit den afrikanischen Wurzeln

Condé erzählt: "Er hat mich gewissermaßen wie seine eigene Tochter behandelt. Er hat mir vom Kolonialismus erzählt, vom Erbe der Sklaverei, wovon meine Eltern mir gegenüber nie gesprochen hatten. Seinetwegen habe ich geglaubt, dass Afrika meine wirkliche Heimat ist, dass ich dort Brüder und Schwestern finden würde, Menschen, die so sind wie ich."

Aber die Identitätssuche in Afrika erweist sich lange als gar nicht romantisch, vielmehr als Kampf mit dem Leben. Sie unterrichtet Französisch in mehreren westafrikanischen Ländern, hat insgesamt vier Kinder von drei Männern, wird depressiv, ist erschlagen vom Alltag im chaotischen Afrika, wird auch Opfer von Machtmissbrauch.

Als Leser leidet man mit und ist schließlich erleichtert, dass ihr Leben Anfang der 70er-Jahre eine positive Wendung nimmt, als sie in Senegal ihren heutigen zweiten Ehemann kennenlernt.

Studienabschluss an der Sorbonne

Condé kehrt nach Paris zurück und schließt ihr Literaturwissenschaftsstudium mit einer Promotion an der Sorbonne ab. Im Jahr darauf erscheint ihr erster Roman, der ein Werk einleitet, in dem unter anderem die Selbstverwirklichung von Frauen, das Schwarzsein und das Leben in der Diaspora wichtige Motive sind.

Ihr Debüt habe sie so spät, mit fast vierzig, veröffentlicht, weil sie davor einfach zu sehr mit ihrem unglücklichen Leben beschäftigt gewesen sei, schreibt sie. Sie sagt: "Man muss sich entscheiden: Entweder man lebt oder man schreibt."

Eine ehrliche Antiheldin

Diesen Gedanken Jean-Paul Sartres hat Condé passenderweise ihrer Autobiografie als Motto vorangestellt. Die Autorin wird dem Leser gerade dadurch sympathisch, dass sie sich so gnadenlos ehrlich als Antiheldin schildert. Ihr nüchterner Schreibstil erlaubt auch kein formales Schönfärben.

Für Maryse Condé ist ihre Autobiografie, im Original schon 2012 erschienen, vor allem die Geschichte einer Frau auf der Suche nach Glück. Da fragt man sich als Leser, ob sie es mittlerweile gefunden hat. Condés Antwort: "Letzten Endes nicht das Glück, aber schon eher den Frieden. Das Gleichgewicht."

Das ungeschminkte Leben

von Maryse Condé, aus dem Französischen von Beate Thill
Seitenzahl:
304 Seiten
Genre:
Biografie
Verlag:
Luchterhand
Bestellnummer:
978-3-630-87633-7
Preis:
22,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 14.05.2020 | 12:40 Uhr

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