Buch-Cover: Christophe Jacrot - Lost. In the Beauty of Bad Weather © teNeues Verlag
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AUDIO: Bildschöne Bücher: "Lost. In the Beauty of Bad Weather" (5 Min)

Bildschöne Bücher: "Lost. In the Beauty of Bad Weather"

Stand: 03.12.2023 06:00 Uhr

Der französische Fotograf Christophe Jacrot kennt sich bestens aus in der - Schlechtwetterfotografie! Wer Regen und Schneestürme rund um den Erdball am liebsten aus warmer und trockener Perspektive des Bildbetrachters erleben möchte, ist bei ihm richtig.

von Peter Helling

"Ich empfehle Ihnen, dieses Buch der Reihe nach durchzublättern. Sie werden unerwartete Analogien entdecken, genauso wie eine offensichtliche Gemeinsamkeit aller Fotos darin: schlechtes Wetter", schreibt Christophe Jacrot im Vorwort. Gesagt, getan, geblättert. Ein paar Seiten und: Es schüttet aus Kübeln.

Trostlos ist gar kein Ausdruck

Es gießt, es nieselt, der Blick geht durch Autoscheiben hinaus auf vorbeigleitende Häuser und Landschaften. Prasselnde Tropfen auf dem Autodach. Die Mischung aus wohligem Innen und dem grauen Draußen: Christophe Jacrot fängt diesen Zwischenzustand ein.

Dieses geheimnisvolle Wasser, das aus dem Himmel fällt, überrascht mich jedes Mal aufs Neue. Ich tauche ein in eine wattierte Stimmung, eine geschlossene Hülle ohne echten Horizont, die mit Feuchtigkeit gesättigt ist, manchmal bewege ich mich in einer richtiggehenden Suppe. Es ist, als würde die Zeit stillstehen, eine Zwangspause. Leseprobe

Die verwunschenen Dörfer in den französischen Cevennen verschmieren zu Gemälden von Cézanne. Die Farben scheinen aus den Seiten zu fließen - trostlos ist gar kein Ausdruck. Schottland, das Grün der Isle of Skye: Man meint sie förmlich zu hören, die Scheibenwischer, die Autoheizung.

Wieder ein paar Seiten weiter, und wir hören vor allem: nichts. Aber keine tote Stille, sondern die Stille von Schnee: Island. Eine weiße Ebene. Hinten, tief im Bild, eine rote Hütte. Schwarze Wolken rollen heran, verheißen neuen, dichten Schneefall.

Christophe Jacrot: Auf der Jagd nach schlechtem Wetter

So wandern wir mit dem Fotografen um den Erdball, durch die schaurig-verlassenen Straßen einer russischen Satellitenstadt, Schneestürme peitschen durch Betonschluchten. Flocken in Grönland bei Nacht, hell wie Sterne im Gegenlicht. Das Meer scheint die Färöer-Inseln zu verschlingen. Wirbeln Schneeflocken anders, verzauberter in Hokkaidō?

Und dann: Metropolen im Schnee, New York!

Die Schneestürme in New York faszinieren mich ganz besonders. Es ist wie ein Aufeinandertreffen zweier Mächte. Die Elemente scheinen sich mit der Arroganz und der Stärke dieser Stadt messen zu wollen. Leseprobe

Ein rotes Reklameschild hinter einem Vorhang aus Eiskristallen. Die gähnenden Häuserschluchten, ein Zimmer, ein Licht brennt noch, irgendwo im 20. Stock. Edward Hopper scheint Christophe Jacrot die Kamera gehalten zu haben. Christophe Jacrot wartet manchmal Tage, bis das Motiv, bis Motiv und Licht stimmen, kehrt mehrfach an Orte zurück.

Ich bin also auf der Jagd nach schlechtem Wetter, schönen Stürmen, Blizzards, Taifunen und Regenwinden aus allen Richtungen (…) aber ich übertreibe es auch nicht! Ich interessiere mich weder für Naturkatastrophen. Umgekehrt bin ich aber auch kein großer Fan von leichtem Regen oder Nieselregen. Leseprobe

Der Klimawandel blinzelt hindurch

Das Buch füllt Augen und Sinne, weckt Kindheitserinnerungen und alte Geschichten. Vor allem gelingt es Christophe Jacrot, die materielle Welt durchsichtig zu machen. Und langsam dämmert es beim Blättern: Die 170 Fotografien sind auch ein Abschied. Der Klimawandel blinzelt durch diese gefühlvollen Bilder hindurch. Schnee, Eis werden in Zukunft rar. Ein Sommerregen: Luxus. Schmuddelwetter: ein Fest. Stattdessen wird wolkenlose Hitze zur Regel.

Und fast statuarisch kalt: ein Hotel am Schweizer Furkapass, an einer Serpentine. Eine tief hängende, aschfahle Sonne. Kein Mensch, kein Auto, Pulverschnee. Die Wegschleife sieht aus wie ein Fragezeichen: Wollen wir es weiter erleben können, das schlechte Wetter? Der Bildband ist eine Mahnung:

Dieses Buch ist eine Hommage an den Regen, den Schnee, den Wind, den filmischen Emotionen, die sich dahinter verbergen, eine ästhetische und romanhafte Suche, eine Art Archäologie des Klimas von früher. Leseprobe

Lost. In the Beauty of Bad Weather

von Christophe Jacrot
Seitenzahl:
240 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
ca. 140 Farbfotografien
Verlag:
teNeues
Bestellnummer:
978-3-96171-497-1
Preis:
60 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 03.12.2023 | 16:20 Uhr

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