Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern und ein Lehrer sitzen im Kreis auf dem Boden © picture alliance / Zoonar | Foto: Robert Kneschke
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AUDIO: Wie können wir voneinander lernen? Mit Jörg Bernardy und Spivak (52 Min)

Wie können wir voneinander lernen? Augenhöhe statt Hierarchie

Stand: 21.03.2024 06:00 Uhr

Sich auf Augenhöhe begegnen: So geht Jörg Bernardy in Gespräche - auch mit Kindern und Jugendlichen. In deutschen Schulen werden junge Menschen zu wenig in ihrer Persönlichkeit wahrgenommen, kritisiert er im Podcast Tee mit Warum.

Was bleibt eigentlich übrig, wenn man das ganze Komplizierte weglässt? Nach diesem Ansatz arbeitet Jörg Bernardy an Schulen mit Jugendlichen und spricht mit ihnen über Philosophie. Bernardy lebt seit zehn Jahren in Hamburg. Er hat Literaturwissenschaften und Philosophie studiert und anschließend in Philosophie promoviert. In seinen Sachbüchern versucht er, philosophische Gedanken und Theorien für Jugendliche und Erwachsene zugänglich zu machen. Er veröffentlichte unter anderem "Mann Frau Mensch: Was macht mich aus?"(2018), "Philosophische Gedankensprünge: Denk selbst!" (2020) und "Der kleine Alltagsstoiker: 10 Gelassenheitsregeln fürs Lebensglück" (2021). Einen Auszug des Gesprächs mit Jörg Bernardy lesen Sie hier, das ganze Gespräch hören Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.

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Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum: Wie können wir voneinander lernen? Mit Jörg Bernardy

Welche Voraussetzungen brauchen wir, um gut zu lernen? Darüber diskutieren Denise und Sebastian mit Jörg Bernardy. extern

Jörg Bernardy, deine Literatur richtet sich an Laien, sie richtet sich aber auch an Kinder. Auch ein Teil deiner Arbeit in Schulen richtet sich an Kinder. Warum hast du dir dieses Feld ausgesucht?

Jörg Bernardy: Erstmal stolpere ich gleich über das Wort Laien. Ich glaube, das steht bei mir im Buch vom Alltagsstoiker. Das würde ich heute so gar nicht mehr sagen. Philosophieren heißt. dazuzulernen und Dinge zu verändern. Ich philosophiere am liebsten mit Menschen: Mit Laien wollten wir wahrscheinlich damals einfach nur ausdrücken, dass man keine Vorkenntnisse braucht, dass man nicht schon die Geschichte der Philosophie gelesen haben muss. Das ist vielleicht auch schon ein guter Hinweis, wie ich eigentlich an Philosophie und an das Philosophieren herangehe, denn für mich gehört das zusammen. Es ist für mich eine Praxis.

Der Philosoph und Autor Jörg Bernardy © Jörg Bernardy
Der Autor Jörg Bernardy möchte Philosophie an ein möglichst breites Publikum vermitteln - mit klarer Sprache, ohne komplizierte Formulierungen.

Ich habe irgendwann gemerkt, dass, je einfacher ich mich ausdrücke, desto besser verstehe ich, was ich eigentlich denke und desto hilfreicher ist es auch für andere. Deswegen habe ich irgendwann mit einem Verlag die Idee gehabt, ein Buch für Jugendliche zu schreiben. Dass wir all die Dinge, die akademisch selbstverständlich sind, welche Fragen es in der Philosophie gibt und die Antworten darauf und die Gedanken, die es dazu gibt, dass wir die mit etwas einfacheren Gedanken ausdrücken. Und dann gucken wir, was bleibt da eigentlich noch übrig, wenn man das ganze Komplizierte weglässt? Das ist auch heute mein Ansatz. Es ist egal, ob da Kinder vor mir sind oder ob ich mit Jugendlichen rede oder mit Erwachsenen. Ich versuche immer genau, mit der Person zu sprechen, die gerade vor mir ist.

Wir haben in einer der vorherigen Folgen über die "Kritik der reinen Vernunft" von Immanuel Kant gesprochen und die Frage, ob man das eigene Wissen ausblenden kann. Ist das überhaupt möglich?

Bernardy: Es ist sicherlich eine kleine Selbstlüge oder Selbsttäuschung. Aber: Nietzsche meint, dass ein Leben ganz ohne Lügen gar nicht möglich ist. Manche verschönern sogar unser Leben. Ich denke, das gehört dazu, wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen wollen. Aber wenn wir ganz objektiv oder rational schauen, ist so eine hundertprozentige Augenhöhe gar nicht möglich. Das sagt man auch in der Liebe. Ich habe sehr lange Zeit Beziehungsseminare geben, sowohl mit Einzelpersonen als auch mit Paaren zusammen. Da habe ich gelernt, dass diese Augenhöhe natürlich von allen gewünscht wird, aber dass sie de facto gar nicht möglich ist.

Trotzdem müssen wir irgendwie dahin kommen, dass wir uns so begegnen, dass sich beide oder mehrere Menschen, die gerade miteinander reden, wertgeschätzt fühlen. Deswegen ist das für mich ein Trick oder eine Strategie, wie ich versuche, genau diese Wertschätzung und diese Empathie herzustellen, dass ich eben versuche, auch mal etwas zu vergessen. Vielleicht ist das nur das bessere Wort. Es gibt ja eine Kunst des Vergessens, etwas zu vergessen, was für mich so selbstverständlich ist. Darüber wachse ich aber wiederum über mich hinaus. Insofern würde ich sagen: Das kurzzeitige Ausblenden von Wissen ist sogar notwendig, um überhaupt wieder etwas Neues zu lernen.

Du bist viel in Schulen unterwegs. Was beobachtest du dort, wenn wir aufs Lernen schauen? Wie bewertest du Schule in Deutschland?

Bernardy: Ich genieße natürlich mein Privileg, dass ich von außen hereinkomme, eine ganz andere Freiheit habe als den Rahmen, den die Lehrenden bedienen müssen. Ich darf sozusagen reden wie ich will. Als Philosoph möchte ich Fragen stellen, und ich darf vor allen Dingen Persönliches mit hineinnehmen. Das fällt mir immer wieder auf: Das kommt in den Schulen und im Bildungssystem einfach zu kurz, das Schüler und Schülerinnen mit ihrer Persönlichkeit wahrgenommen und wertgeschätzt werden und die Erfahrung machen, dass ihr persönliches Gefühl auch eine Rolle spielt. Dass ihre Gefühle ernst genommen werden und sogar in die Sache mit einfließen dürfen. Normalerweise wird bei der Bewertung und in dem, was der Lernstoff hergibt, Wissen abgefragt. Da spielt das Persönliche weniger eine Rolle.

Bei Kritik am Schulsystem stößt man auch auf die Unterscheidung von Bildung und Lernen, also zwischen dem Aneignen von Wissen in der Schule und dem Lernen, wie du es gerade beschrieben hast: Selbständiges Lernen und dadurch aufgrund von Erfahrungen und auch von Wertschätzung so etwas wie Werte entwickeln zu können. Würdest du sagen, dass diese Unterscheidung auch heute noch wichtig ist?

Bernardy: Ja, unbedingt. Das ist ein humanistisches Ideal oder auch ein altes philosophisches Ideal, wenn wir uns die philosophische Ausbildung anschauen, die Platon vor Augen hatte. Dazu gehörte nicht nur das Denken, sondern auch die Mathematik und die Bewegung, also sportliche Betätigung und Musik. Das war ein sehr ganzheitliches Denken und eine ganzheitliche Bildung, die Platon unter philosophischer Bildung verstanden hat. Über die humanistischen Ideale ist das zum Glück bis heute auch weiter tradiert worden. Ich denke, dass es beides geben muss. Ich tue mich schwer, alle Schulen oder das ganze Bildungssystem zu kritisieren, weil ich einfach einen Riesenrespekt davor habe, was die Lehrenden dort leisten und für einen Job machen. Deswegen sage ich, ich bin privilegiert, weil ich nicht jeden Tag mit den Klassen zusammenarbeiten und ein Ziel erreichen muss. Ich habe in der philosophischen Bildung den Luxus, dass ich sagen kann, das Ziel entwickeln wir selber in diesem Workshop oder in diesen vier Stunden, die wir heute hier zusammen philosophieren.

Das ist natürlich im Bildungssystem nicht möglich. Aber es wäre wünschenswert, wenn es dafür mehr Raum gäbe. Diese Unterscheidung zwischen Bildung und Lernen, also auch kompetenzorientiertes Lernen, die ist relevanter denn je. Wobei ich in den letzten Jahren - gerade noch einmal seit Corona - merke, dass die Aufmerksamkeitsspanne tatsächlich etwas kürzer geworden ist. Außerdem habe ich beobachtet, dass das Sozialverhalten etwas abgenommen hat. Dass das teilweise Zustände sind, bei denen nicht mal mehr kompetenzorientiertes Lernen möglich ist. Vielleicht wäre genau deswegen Bildung umso wichtiger.

Die Fragen stellten Denise M'Baye und Sebastian Friedrich. Das ganze Gespräch hören Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.

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Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Tee mit Warum - Die Philosophie und wir | 23.03.2024 | 13:00 Uhr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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