Ulf Soltau © picture alliance/dpa Foto: Paul Zinken

Trend Schottergarten: "Todesurteil für unsere Artenvielfalt"

Stand: 14.10.2022 12:09 Uhr

Der Biologe und Botaniker Ulf Soltau hat die Social-Media-Präsenz "Gärten des Grauens" ins Leben gerufen, um auf die Probleme hinzuweisen, die durch Schotter- und Steingärten entstehen. Ein Gespräch.

Herr Soltau, was ist ökologisch an diesen Schottergärten so problematisch?

Ulf Soltau: Die Idee hinter diesen Schottergärten ist ja, die Natur herauszuhalten, sie zu bändigen, indem man unter diesen Schotter für gewöhnlich ein Unkrautvlies verlegt, das ist so ein Polypropylengewebe, das relativ verrottungsresistent sein soll und somit die Wurzelunkräuter daran hindern soll, durch den Schotter durchzuwachsen. Das ist zum einen eine Umweltverschmutzung - hier wird Plastik vergraben, der später, wenn man den Garten mal rekultivieren will, wieder herausgenommen werden muss. Das gilt dann als Baumischabfall, das relativ teuer in der Entsorgung ist. Man hinterlässt den Erben eine schwere Last und vor allen Dingen eine finanzielle Last und keinen fruchtbaren Garten mehr.

Dazu kommt, dass dieses Unkrautvlies seine Wirkung nach wenigen Jahren einbüßt, weil sich Laub und Saatgut von oben einträgt. Dann muss der Schottergärtner, die Schottergärtnerin dort durch und irgendwie das Unkraut zupfen, was die undankbarste Aufgabe ist. Da ist dann die Gefahr groß, dass der Griff zur Giftspritze stattfindet - und das ist eigentlich verboten. Denn Herbizide dürfen nur auf gärtnerischen Nutzflächen angewendet werden und nicht auf solchen teilversiegelten Flächen. Das ist strafbar.

Die ökologisch toten Zonen in Gartengebieten sind unschön. Aber was hat das für Folgen für Umwelt und Natur?

Soltau: Es gibt ganz interessante Studien von Professor Reichholf aus München, der zeigt, dass heutzutage auf dem Land aufgrund unserer intensiven Landwirtschaft die Schmetterlingsartenvielfalt mittlerweile geringer ist als in München. Im Kern Münchens ist natürlich nicht viel zu erwarten, aber je weiter wir in den Randbereich kommen, desto höher wird die Artenvielfalt. Sie fällt aber sofort ins Bodenlose, wenn wir in die landwirtschaftlichen Bereiche gekommen. Das heißt, unsere urbanen Räume sind heute schon Rückzugsinseln der Natur. In landwirtschaftlich geprägten Gegenden haben wir eine sehr stark reduzierte Artenvielfalt. Unseren Gärten kommt hier also auch eine ganz wichtige Aufgabe zu, nämlich als Ersatzbiotop für unsere Natur herzuhalten. Wenn man dann sieht, dass die Gesamtfläche aller Gärten in Deutschland ungefähr der Größe unserer Naturschutzflächen entspricht, dann wird die Relevanz dieser Flächen auch noch mal betont. Da ist es nicht nachzuvollziehen, dass hier ohne Not der Tod regieren soll. Wir müssen ganz woanders hin: Wir müssen naturnahe Gärten haben, wir müssen Gärten schaffen, in denen wir der Natur Raum bieten. Dazu brauchen wir auch ein neues ästhetisches Empfinden. Dieser Drang nach Sauberkeit und Ordnung ist eigentlich das Todesurteil für unsere Artenvielfalt, und davon müssen wir weg. Wir müssen wieder hin zu wilden Ecken. Wir müssen verstehen, dass das bewahrenswert ist, weil hier die Arten noch Rückzugsräume finden, die letztendlich doch auch noch unsere Kinder erleben sollten.

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"Gärten des Grauens" - das sind mittlerweile zwei Bildbände, aber auch Social-Media-Präsenz, wo die schönsten Fotos mit sehr ironischen Texten versehen werden. Gibt es da auch Debatten? Kontaktieren Sie Leute, die sagen: "Bitte lass meinen Schottergarten aus dem Internet raus"?

Soltau: Ja, das erlebe ich tagtäglich in den sozialen Medien, auf Facebook und Instagram. Ich stelle in den letzten Wochen fest, dass der Widerspruch immer vehementer wird und die Leute da Verbalattacken starten, obwohl das doch nur Satire ist. Ich gehe ja niemanden persönlich an. Die Gärtnerinnen und Gärtner bleiben natürlich anonym, es ist nicht nachzuvollziehen, wo die Schottergärten sind, die ich dort poste. Mir geht es wirklich nur darum, diesen Trend anzuprangern, nicht einzelne Personen. Das wird oft missverstanden, und dann kommt es schnell zu verbalen Gefechten.

Aber ich bin froh, dass diese Diskussion überhaupt in Gang gekommen ist, weil vor wenigen Jahren das Problembewusstsein dafür noch gar nicht da war. Das hat meine Seite schon wirklich erreicht. Insofern sehe ich die Legitimation nach wie vor gegeben.

In manchen Regionen sind Schottergärten sogar verboten. Wird das denn durchgesetzt?

Soltau: Das ist ja quasi eine Folge meiner Seite. Ich vergebe in unregelmäßigen Abständen den "Terror Gardening Award" an ganze Gemeinden. Eine der ersten Gemeinden war Xanten, Luftkurort in Nordrhein-Westfalen. Die haben umgehend reagiert und Schottergärten verboten. Daraufhin kam es zu einer ganzen Lawine von Nachbargemeinden und auch bundesweit inzwischen ganzer Bundesländer. Der größte Erfolg war letztes oder verletztes Jahr mit Baden-Württemberg, also einem ganzen Flächenland, das Schottergärten explizit verboten hat. Das ist genau die richtige Stoßrichtung. Wobei ich mich nicht für Verbote ausspreche - ich möchte das lieber mit den Worten von von Dieter Wieland sagen, der von "ökologischen Spielregeln" spricht, die es einzuhalten gilt.

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 14.10.2022 | 16:15 Uhr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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