Stand: 06.09.2018 16:33 Uhr

Tag 6: Von Wedel nach Harsefeld

von Klaas Grensemann

Tag 6: Auf der Zielgeraden

Philipp Schmid und Klaas Grensemann blicken am Willkomm Höft auf die Elbe  Foto: Annkathrin Bornholdt
Pilger vor dem Nebelmeer: Pilgerdiakon Klaas Grensemann und NDR Kultur Moderator Philipp Schmid blicken auf die Elbe.

Als wir am Morgen noch einmal zu Viert an einem liebevoll gedeckten Frühstückstisch in unserer B&B-Pension in Wedel sitzen, genießt wohl jeder für sich diese gemeinsame Zeit besonders. Denn heute ist unser letzter Pilgertag. Wir sind guter Dinge, und das erste Highlight des Tages folgt auch sofort - mit der Fähre setzen wir ab Schulauer Fährhaus über die Elbe. Es ist noch neblig und die Stimmung auf der hier schon recht breiten Elbe ist deshalb eine ganz besondere. Große Containerschiffe tauchen plötzlich aus dem Nebel auf und lassen unsere Fähre noch kleiner erscheinen. Nach 20 Minuten sind wir in Grünendeich im Alten Land. Noch im Hafen machen wir zusammen unsere liebgewonnene kleine Morgenandacht. Klaas gibt uns für heute das Thema: "Gemeinschaft und Segen" mit auf den Weg.

Äpfel aus dem Alten Land

Der Pilgerweg durchs Alte Land ist wunderschön. Entlang der Lühe gehen wir kilometerlang direkt auf dem Deich, manchmal in unmittelbarer Nähe der hübschen Altländer Häuser mit ihren traditionellen Giebeln. Das sind kunstvoll verzierte Prachtgiebel, mit denen frühere Bewohner ihren Reichtum gezeigt haben. Die Apfelernte hat begonnen - wir sehen die kleinen Erntetrecker mit mehreren Anhängern, auf denen voll beladene Apfelkisten stehen. Es dauert nicht lange und wir lassen uns den ersten ganz frisch geernteten Apfel schmecken. Mit Marzipan hat in Lübeck die Pilgerreise begonnen, mit den Äpfeln aus dem Alten Land endet sie. Auch das ist ein Teil unserer Pilgerreise.

Geistige Stärkung

Steinkirchen, Mittelnkirchen und Neuenkirchen heißen die idyllischen Orte, durch die wir pilgern. Kurz vor Horneburg hören wir Glockengeläut. Wieder brauche ich eine Weile, um zu registrieren, dass der Ton aus Klaas' Handy im Rucksack kommt, so echt klingt er. Klaas hat den Wecker auf 12 Uhr gestellt, um, wie jeden Tag "auf der Höhe des Tages", wie er sagt, kurz innezuhalten und uns nicht nur mit Nahrung, sondern auch geistig zu stärken. Diesen geordneten Tagesablauf lebt Klaas in seinem Kloster in Bursfelde und für die gemeinsame Zeit unserer Pilgerreise haben auch wir ihn aufgenommen.

Nach Horneburg ändert sich die Landschaft. Das fruchtbare Marschgebiet, das Alte Land, ist zu Ende. Die Geest beginnt und damit die typisch niedersächsische Landschaft mit Feldern, Dörfern, Wäldern, Städten. Wir beschließen, noch einmal für eine Stunde im Schweigen zu gehen, um unsere Gedanken zum Thema "Gemeinschaft" zu vertiefen und vielleicht auch schon die Reise etwas Revue passieren zu lassen. Wir haben alle gemerkt, dass uns diese verabredeten Zeiten der Stille sehr helfen, um wieder zur Ruhe zu kommen. Und ganz praktisch gesehen, kommen wir in diesen Stunden auch immer ungleich schneller voran.

Ein improvisiertes Abendmahl

Hinter Issendorf sehen wir auf dem Wegweiser, dass es nur noch rund drei Kilometer bis Harsefeld sind. Das bedeutet, dass wir nun wirklich auf der "Zielgeraden" sind. Aber Klaas hat sich für das Ende unserer Pilgerreise etwas ganz Besonderes ausgedacht, von dem wir noch nichts ahnen. Statt in einer markanten Kirche wie in den Vorjahren endet unsere Tour noch vor Harsefeld plötzlich in einem Wald. Als wenn Kristina es geahnt hätte, macht sie uns genau an der Wegkreuzung, die Klaas für das Ende der Reise vorgesehen hat, kleine Geschenke vom Wegesrand: eine Feder, eine Rosenknospe, ein besonderer Stein. Wir sind gerührt. Und noch mehr staune ich, als Klaas aus seinem Rucksack ein kleines weißes Tischtuch, ein Streichholzschachtel-großes Holzkreuz, ein Teelicht und dazu ein frisches Brot und Weintrauben zaubert. Wir feiern zusammen ein improvisiertes Abendmahl, erinnern uns in Stille an Momente und Menschen, denen wir dankbar sind, singen zusammen und wünschen uns gegenseitig Frieden.

Dieser Pilgerweg ist jetzt zwar zu Ende ist, doch was jeder von uns in seinen Alltag mitnimmt, ist viel mehr als Tagebucheinträge und Fotos. Es wird dauern, diese Erfahrungen zu verarbeiten. Eins können wir jetzt schon sagen: Wir sind dankbar und glücklich über jeden gepilgerten Kilometer.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 06.09.2018 | 11:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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