Mohammed Ghunaim "Ziko" posiert © Sven Malke/Mohammed Ghunaim

Embassy of Hope: Anlaufpunkt für geflüchtete Menschen in Hamburg

Stand: 11.09.2022 13:55 Uhr

Die "Embassy of Hope" im Thalia in der Gaußstraße in Hamburg-Altona soll ein Anlaufpunkt für geflüchtete Menschen sein. Ein Gespräch mit Mohammed Ghunaim - genannt Ziko. Er leitet die Arbeit als Referent für Diversität.

Was umfasst das Angebot der "Embassy of Hope"?

Mohammed Ghunaim "Ziko": Die "Embassy of Hope" ist ein Projekt der Hamburger Stadtgesellschaft, das es seit 2013 gibt. Los ging es eigentlich damals in der St. Pauli Kirche mit den aus Lampedusa geflohenen Menschen, die ein Dach über den Kopf brauchten. Die Kirche hatte sich bereit erklärt, 300 Menschen aufzunehmen - das war ein riesiges Thema in der Hamburger Stadtgesellschaft. 2015 kamen noch mehr Menschen, auf der Suche nach Sicherheit und einem Neuanfang.

Das Thalia Theater und der Intendant Joachim Lux haben einen Aufruf an alle großen Hamburger Kulturhäuser gemacht und auch die Wichtigkeit des Theaters in diesem Kontext hinterfragt. Das Theater kann wie die Kirche ein Ort sein, der Sicherheit gibt. Dann haben sie die "Embassy of Hope" gegründet. Ein paar Jahre später kam ich zur Ehre, diesen Ort zu leiten und in Richtung "Kunst und Soziales" weiterzuentwickeln. Also nicht nur soziale oder rechtliche Beratung, das war eher der Anfang. Dazu gab es noch gemeinsames Kochen. Ich habe gleich das Potenzial gesehen, tagsüber ein internationales Café zu veranstalten und den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich hier wohlzufühlen und zugehörig zu fühlen.

Auch ihre Themen sind wichtig. Aber wir haben auch eine Transformation geschafft, denn in diesen Kreisen sind auch viele Künstler, deren Thematiken wir dann später hier auf die Bühne gebracht haben. Manchmal machen wir auch Tanzworkshops von anderen Kulturen. Wir haben diesen Ort zu einem transkulturellen Ort gemacht, in dem sich verschiedene Kulturen mischen und dann am Ende zu etwas Neuem werden.

Bringen sich auch viele Hamburger ein?

Ziko: Auf jeden Fall. Wir haben hier eine Menge tolle ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer, meistens Menschen aus der Nachbarschaft, die uns kennen und sich engagieren wollen. Oft kommen die einfach vorbei und merken dann, dass es echt ein netter Ort ist. Wir haben hier keine Vorurteile, wir sind alle Menschen. Nach diesem Prinzip läuft das hier. Die Hamburger, die hier sind, haben natürlich eine andere Rolle, als jemand, der die Sprache nicht kennt. Daher spielt Geduld immer eine Rolle. Die Hamburger bekommen hier auch viel zurück, indem sie Freundschaften schließen - das hat in vielen Fällen schon geklappt.

Wir haben im Moment viele Menschen aus der Türkei, der Ukraine, aus dem spanischsprachigen Raum, Südamerika. Es sind mittlerweile weniger Syrer und Menschen aus dem arabischsprachigen Raum, denn die sprechen mittlerweile Deutsch und haben einen Weg in ihr Leben gefunden - so ändert sich die Stadtgesellschaft auch wieder. Wir sind eher der Anlaufpunkt für die Neuanfänger und Künstler.

Wie finden die Menschen zu Euch, wenn sie neu nach Hamburg kommen?

Ziko: Wir haben verschiedene Medien, die wir benutzen. Wir haben Flyer in sechs Sprachen, auf Türkisch, Arabisch, Afghanisch, neuerdings Ukrainisch und Russisch und Englisch. Informationen haben wir aber auch auf der Webseite. Wir machen auch Pressearbeit und haben ein gutes Netzwerk, zum Beispiel die Flüchtlingsinitiativen Hamburg und die Stadtkultur Hamburg. Und über die Social Media Kanäle natürlich.

Warum ist Euer Angebot wichtig für die Menschen, die neu hier ankommen?

Ziko: Erstmal lernt man hier die Sprache - aber anders. Man sitzt nicht in einem offiziellen Deutschkurs. Hier darf man Fehler machen, beim netten Jens oder der netten Margret und die korrigieren einen mit Witz. Hier gibt es keine strengen Lehrer von oben herab. Es ist ein bisschen flexibel und das bringt Vertrautheit und Sicherheit. Auch der Zugang zum Theater unterstützt das Lernen der Sprache. Denn die deutschen Theater sind Sprechtheater und bei uns im Thalia Theater gibt es viele Text-Stücke. Wir empfehlen unseren Besuchern immer einige Stücke, die von uns produziert sind, und wir geben ihnen auch freie Eintrittskarten dazu.

Es hilft den Menschen, die Sprache wiederzuerkennen und sie in einer anderer Form zu sehen, zu erkennen, dass ein Akzent keine Rolle spielt. Ich habe auch einen Akzent, aber ich spreche die Sprache. Und auch bei unseren Kulturtreffen geht es um Sprache, es werden auch Worte und Texte geschrieben zum Beispiel.

Welcher Moment Ihrer Arbeit hier, ist Ihnen besonders positiv in Erinnerung geblieben?

Ziko: Das ist ein sehr persönlicher: Ich komme aus Syrien, ich bin selbst geflohen. 2016 habe ich diesen Ort als Leiter übernommen. Die Tür öffnet sich und es kamen zwei Menschen herein. Das waren meine Freunde aus Damaskus, die ich seit langem nicht gesehen hatte. Ich wusste gar nicht, dass die in Hamburg sind - wir wussten gar nicht, dass wir am Leben sind. Dieser Moment, diese kleinen Sekunden ...

Dass sie hierherkommen, um Unterstützung von den Anwälten zu bekommen - ich dachte mir, das ist nicht euer Ernst. Wir haben zusammen in Damaskus studiert, und dann treffen wir uns hier wieder. Natürlich sind wir weiter so dicke Freunde geblieben. Aber das war ein krasses Erlebnis. Auf der Flucht verliert man vieles, auch Freunde. Und im Krieg verliert man alles. Dass ich hier meine Freunde wiedertreffe, das war ein Highlight. Das ist die Embassy of Hope!

Wie kommen Sie denn jetzt zurecht, wenn Sie mit traumatisierten Menschen arbeiten müssen?

Ziko: Ich persönlich habe professionelle Unterstützung. Also ich besuche regelmäßig eine Psychologin, die auf Traumaverarbeitung spezialisiert ist. Durch Kunst kann ich das schaffen. Ich habe jetzt gerade erst eine krasse Ausstellung gebaut, also wirklich einen Kriegsraum. Parallel war mein Bruder in Deutschland - er war wirklich traumatisiert davon, also am Zittern. Ich habe mich erst gefragt, ob ich jetzt kalt geworden bin, aber das stimmt nicht. Ich bin einfach professionell strukturiert geworden und durch diese Unterstützung und die Kunst kann ich das alles verarbeiten. Wir haben diverse Theaterstücke dazu gemacht, die diese Thematik verarbeitet haben. Das war krass auf der Bühne zu sehen, aber durch diesen Prozess habe ich auch etwas verarbeitet.

Was würden Sie sich für ihre Arbeit noch wünschen?

Ziko: Ich merke, dass die Solidarität nachgelassen hat. 2015 war die Willkommenskultur so stark, wir hatten hier teilweise mehr ehrenamtliche Menschen als Geflohene. Ich merke, dass die Freiwilligenarbeit weniger geworden ist. Und ich wünsche mir auch eine Gleichberechtigung und eine gleichbleibende Solidarität. Die Ukraine ist ein großes Thema, alle reden darüber. Drittstaatler werden aber vergessen.

Also Drittstaatler, sind Menschen, die vom ukrainischen Krieg betroffen sind, aber nicht aus der Ukraine kommen. Meistens kommen sie aus der arabischen Welt, oder aber auch aus Afrika - also "nicht so weit entwickelten Ländern". Eigentlich sind sie oft Akademiker, haben aber jetzt hier in Hamburg keinen Status. Und das ärgert mich sehr. Ich wünsche mir vom Innenministerium, diese Menschen im Blick zu behalten und zu schauen, was man für sie tun kann. Denn Hamburg ist eine Solidaritäts-Stadt und meine zweite Heimat geworden.

Das Gespräch führte Anina Pommerenke.

 

 

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassikboulevard | 11.09.2022 | 16:20 Uhr

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