Ein Lichtkegel fällt von oben in die Grabeskirche in Jerusalem. © picture alliance / AP Photo | Sebastian Scheiner Foto: Sebastian Scheiner
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AUDIO: Das leere Grab - Kleine österliche Theologie der doppelten Verneinung (20 Min)

Das leere Grab: Ostern im Zeichen einer doppelten Verneinung

Stand: 31.03.2024 06:00 Uhr

Als die Frauen am Ostermorgen den Leichnam Jesu salben wollen, finden sie die Grabhöhle leer. Das Grab ist eigentlich ein Symbol von Tod und Trauer. Weil es leer ist, wird es aber zum Zeichen der Auferstehung von den Toten.

von Stephan Lüttich

Der Ostersonntag ist ein fröhlicher Tag. Festlich soll es zugehen. In den Gottesdiensten von Osternacht und Ostermorgen wird der auferstandene Christus als Sieger über den Tod gefeiert - als Held des Lebens, der mit strahlendem Licht die Nacht der Sünde erhellt hat. Dieser heiteren Stimmung entspricht ein weitverbreitetes Bild, das den Augenblick der Auferstehung illustriert. Mittelalterliche Buchmalereien und Altartafeln, aber auch später entstandene Ölgemälde und Grabmäler zeigen dieses Motiv. Der triumphierende Christus steigt oder schwebt aus seinem Grab heraus. Sein Körper trägt zwar noch die Wundmale der Kreuzigung, ist aber in prächtige Gewänder gehüllt. Vor allem in späteren Darstellungen geht manchmal auch ein Lichtglanz von ihm aus. Oft ist die rechte Hand zum Segensgestus erhoben, in der linken Hand trägt der Auferstandene eine Kreuzesfahne als Zeichen seines Sieges. 

Radikaler Bruch als Anfang des Christentums

Für den 1986 verstorbenen französischen Jesuiten Michel de Certeau liegt hier das Alleinstellungsmerkmal des christlichen Glaubens. Am Anfang des Christentums stehe mit dem Tod Jesu ein radikaler Bruch, der aber zur Grundlage eines ganz neuen Anfangs werden konnte. Das leere Grab habe gerade als Zeichen der unwiederbringlichen Abwesenheit Jesu den Raum zu einem geisterfüllten Neubeginn mit einer ganz anderen Erfahrung der Gegenwart Gottes ermöglicht.

Diese radikal neue Erfahrung beschreibt Michel de Certeau mit dem Stilmittel der doppelten Verneinung. Er prägt dafür die Formel des "nicht ohne". Hinter dieser grammatischen Negativität verbirgt sich die leidenschaftliche Hinwendung zu einer letztlich verborgenen Gegenwart Gottes. Michel de Certeaus Formel des "nicht ohne" beschreibt einen Glauben, der sich getragen fühlt, ohne Gott festhalten oder gar festlegen zu wollen - und zu können! Der Auferstandene ist da, auch wenn er sich der Wahrnehmung entzieht. Noch mehr Bedeutung kann eine österlich geprägte Theologie der doppelten Verneinung aber für die kirchliche Verkündigung bekommen. Die bloße Wiederholung dogmatischer Kernsätze oder moralischer Ressentiments ist schon an sich ein unangemessener Umgang mit den vielschichtigen Dimensionen des christlichen Glaubens und Lebens.

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Das Gefühl der Abwesenheit Gottes bedeutet nicht, dass er nicht da ist

Aber das gilt umso mehr in einer Zeit, in der eine selbstverständliche Präsenz des Christentums in der Öffentlichkeit immer weiter abnimmt und die gesellschaftliche Akzeptanz kirchlicher Verlautbarungen mitnichten als gegeben vorausgesetzt werden kann. Eine von der schwachen biblischen Osterbotschaft inspirierte kirchliche Verkündigung müsste einüben, die Entfremdungen zwischen Kirche und Gesellschaft ernst zu nehmen und den biografischen Brüchen und dem individuellen Schicksal von Menschen gerecht zu werden.

Statt fertige Antworten auf Fragen zu geben, die niemand mehr stellen will, könnte eine demütige Verkündigung sich eher darin versuchen, selbst vorsichtige Fragen zu formulieren. Statt Wahrheiten zu behaupten, an die niemand mehr glauben will, könnten Repräsentantinnen und Repräsentanten der christlichen Kirchen lernen, die Zeitgenossen an die Schätze der jahrhundertealten Tradition zu erinnern, ohne traditionalistisch eine bestimmte Weise, das Christentum zu verstehen, als alleinseligmachend vorzuschreiben. Sie könnten sich vornehmen, den Reichtum der unterschiedlichen Konfessionen, der vielschichtigen Formen im Gottesdienst, im Denken, in den kulturellen Ausprägungen und natürlich im Alltag der Christinnen und Christen wahrzunehmen und wertzuschätzen und einer glaubensfremden Gesellschaft, die vielleicht doch noch eine Ahnung davon hat, dass sie sich selbst nicht retten kann, als Möglichkeit der Lebensdeutung und -gestaltung vorzuschlagen. Auch für das persönliche Leben von Christinnen und Christen könnte das Bewusstsein um die immer nur fragile Anwesenheit des Auferstandenen eine wichtige Rolle spielen: für die einzelne, die an ihrem Glauben verzweifelt, weil Gottes Gegenwart angesichts der weltweiten Konflikte und des Leidens so vieler Unschuldiger nicht spürbar scheint; für den einzelnen, dem sein selbstverständlicher, von Erfahrungen der Kindheit geprägter Glaube mit den Verwicklungen und Abwegen der eigenen Biografie abhandengekommen ist. Denn das Gefühl der Abwesenheit Gottes bedeutet nicht, dass er nicht da ist.

Ostergeschichten als Trost

Im Gegenteil: Die biblischen Ostergeschichten erzählen immer wieder vom Zweifel und von der Angst der Jüngerinnen und Jünger, denen der Auferstandene mit seiner Nähe begegnet - und dann verschwindet, um in einer neuen, ganz anderen Weise gegenwärtig zu bleiben. Das kann ein Trost sein für Menschen, die unter den widrigen Bedingungen der Gegenwart versuchen, am Christentum festzuhalten.  

Der 2017 verstorbene Schweizer Dichter und Pfarrer Kurt Marti hat in seinem Gedicht "das leere grab" die enorme Kraft dieses schwachen Symbols der doppelten Verneinung in berührende Worte gefasst: 

"ein grab greift
tiefer
als die gräber
gruben

denn ungeheuer
ist der vorsprung tod

am tiefsten
greift
das grab das selbst
den tod begrub

denn ungeheuer
ist der vorsprung leben"

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Dieses Thema im Programm:

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