Ein Handballspiel der Gehörlosen-Nationalmannschaft.  Foto: Finn-Ole Martins

Handball: Gehörlosen-Nationalmannschaft will zu Deaflympics

Stand: 06.11.2021 13:59 Uhr

Im Mai 2022 finden in Brasilien die Deaflympics statt. Die Handballnationalmannschaft der Gehörlosen will mit von der Partie sein. Um das zu erreichen, trainiert die Gehörlosen-Auswahl seit Donnerstag in Altenholz.

von Finn-Ole Martins

Wenn die Bundesliga-Spielmacher Domagoj Duvnjak vom THW Kiel oder der Flensburger Jim Gottfridsson die Hand heben, wissen ihre Mitspieler, welcher Spielzug als nächstes folgt. In den großen Hallen ist es meist so laut, dass sie sich über Zeichensprache verständigen müssen. Für den Neumünsteraner Jörg Tomaschewski gehört das nun auch dazu: Er feierte am Freitagabend sein Debüt in der Nationalmannschaft der Gehörlosen. Die Mannschaft will "Tomate", so lautet Tomascheswkis Spitzname, als Leistungsträger für das kommende Jahre integrieren. Bis 2018 lief der 37-Jährige in der vierten Liga für die SG WIFT Neumünster auf. Seit Freitagabend wirft "Tomate" auch im Deutschland-Trikot Tore.

Brasilien ist das große Ziel

Drei Männer lächeln in die Kamera während eines Handball-Spiels.  Foto: Finn-Ole Martins
Jörg Tomaschewski (rechts) feierte am Freitag sein Debüt in der Gehörlosen-Nationalmannschaft. Sein Preetzer Mitspieler Sönke Petersen (links) hatte ihn Bundestrainer Alexander Zimpelmann empfohlen. Der war zufrieden: "Die nächste Einladung zur Auswahl folgt bestimmt."

Die Gehörlosen-Auswahl trainiert seit Donnerstag in Altenholz (Kreis Rendsburg-Eckernförde). Dort will sie innerhalb von vier Tagen die Grundlagen für den Mai kommenden Jahres schaffen: Dann finden die Deaflympics in Brasilien statt, das größte Ereignis im Gehörlosen-Sport. "Da würde ich schon gerne dabei sein und eine Medaille gewinnen", lacht Tomaschewski. "Aber bis dahin müssen wir noch fit werden und ich die Kommunikation üben." Denn die ist die größte Herausforderung. "Ich selbst habe ein Hörgerat, mein ganzes Umfeld kann hören. Daher habe ich nie Gebärdensprache verwendet." Auf dem Feld aber muss das Gerät abgenommen werden.

Wer in die Auswahl kommen will, muss in seinem Hören mindestens eingeschränkt sein. "Auf deinem gesünderen Ohr darfst du erst ab einer Lautstärke von 55 Dezibel etwas hören", erklärt Sönke Petersen, seit einigen Jahren Nationalspieler und von Beruf Hör-Akustiker. 55 Dezibel, das ist in etwa so laut wie ein Fernseher auf Zimmerlautstärke. Sportlich hingegen gibt es keine Voraussetzungen für eine Berufung: Es sind Spieler von der Kreisliga bis zur Oberliga vertreten.

Nationalhymne sorgt für Gänsehaut

Petersen kommt aus Preetz (Kreis Plön) und sorgte dafür, dass Tomaschewski in die Nationalmannschaft berufen wird. "Wir kannten uns über ehemalige Mitspieler", erklärt er. "Als ich erfahren habe, dass er in Frage kommt, bin ich nach Neumünster gefahren und habe ihn besucht." Tomaschewski war von Beginn an begeistert: "Für Deutschland zu spielen, wer kann das ausschlagen? Wenn es der Beruf zulässt, richte ich es ein", sagt der Justizvollzugsbeamte.

Um im Trainingslager dabei zu sein, musste er diverse Früh- und Spätschichten am Wochenende tauschen. "Ich habe jetzt schon Gänsehaut", sagte er am Tag vorher: "Die Nationalhymne, das Adler-Trikot, das ist etwas ganz Besonderes." Denn auch die Hymne gehört zu einem Länderspiel der Gehörlosen dazu. "Wir achten dann auf die Fans im Publikum, wie sie ihre Lippen bewegen", erläutert Petersen. "Bei den großen Turnieren gibt es sogar Dolmetscher, die daneben stehen und uns den Text in Gebärdensprache übersetzen."

Traumstart mit drei Toren

Petersen fädelte auch das Testspiel am Freitagabend ein. Als die Auswahl Dänemarks als Gegner absprang, fragte er bei seinem Heimatverein Preetzer TSV an. Der Landesligist sagte sofort zu. "Das wird eine noch größere Herausforderung", ahnte Petersen: "Die Preetzer können alle hören und miteinander laut sprechen. Sie haben einen klaren Vorteil." Auf der Tribüne waren rund 450 Fans dabei. "Viele Freunde sind extra aus Neumünster gekommen", schwärmte Debütant Tomaschewski kurz vor Betreten des Spielfeldes. "Das bedeutet mir sehr viel."

Unter Applaus zog er sich unterhalb der Tribüne erstmals das Deutschland-Trikot mit dem Bundesadler auf der Brust an. Beflügelt von der Euphorie legte er einen Traumstart hin: Nach 34 Sekunden warf "Tomate" direkt das 0:1. "War ich der erste Torschütze?", fragte er ungläubig nach Abpfiff. "Das habe ich in meiner Konzentration gar nicht mitbekommen. Aber drei Tore insgesamt zu werfen, das ist toll. Nur das Ergebnis nervt mich." Denn seine Führung sollte die einzige im Spiel bleiben: Der Preetzer TSV setzte sich souverän mit 33:23 durch.

Ein zufriedener Bundestrainer macht Hoffnung

"Das Ergebnis ist gar nicht so wichtig", sagte Bundestrainer Alexander Zimpelmann nach dem Spiel auf der Trainerbank. Für Tomaschewski gab es gleich ein Lob hinterher: "Er hat direkt gezeigt, warum er für uns wichtig wird. Er kann das Spiel lenken." Daher könne er sich auf die nächste Einladung zur Auswahl freuen: "Die kommt bestimmt", lachte Zimpelmann. "Schon im Januar, dann treffen wir uns in der Pfalz." Tomaschewski will bereits jetzt beginnen, sich darauf zeitlich einzustellen: "Jetzt habe ich Blut geleckt." Die Kommunikation habe gut funktioniert: "Es war doch einfacher als erwartet. Am Ende sind wir eben alle Handballer."

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Schleswig-Holstein Aktiv | 06.11.2021 | 15:40 Uhr

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