Jubel bei Torwart Philipp Kühn vom VfL Osnabrück © Witters

Auch wegen "asozialer Entscheidung": VfL Osnabrück schöpft neuen Mut

Stand: 10.12.2023 12:04 Uhr

Der im bisherigen Saisonverlauf der 2. Fußball-Bundesliga kaum konkurrenzfähige VfL Osnabrück hat Spitzenreiter FC St. Pauli völlig überraschend ein Remis abgetrotzt. Einer der Helden des 1:1 gegen die Hamburger war Keeper Philipp Kühn, der unerwartet den Vorzug vor dem bisherigen Stammtorwart Lennart Grill bekam.

Als am Samstagabend die Mannschaftsaufstellung des VfL im Stadion an der Bremer Brücke verlesen wurde, brandete gleich beim ersten Osnabrücker Namen riesiger Applaus auf. Kühn, bei den "Lila-Weißen" von allen nur "Pipo" gerufen, genießt beim Anhang des niedersächsischen Traditionsclubs trotz seiner Degradierung zu Saisonbeginn zur Nummer zwei Heldenstatus. Mit ihm zwischen den Pfosten waren die Norddeutschen im vergangenen Sommer nach einer sensationellen Aufholjagd überraschend aufgestiegen. Und überhaupt war auf den Mann aus Beckum in den Vorjahren eigentlich immer Verlass gewesen.

Ausgerechnet gegen Tabellenführer St. Pauli kam der 31-Jährige nun zu seinem ersten Zweitliga-Saisoneinsatz für den VfL, nachdem er zuvor lediglich im DFB-Pokalspiel gegen den 1. FC Köln (1:3 nach Verlängerung) das Gehäuse hatte hüten können. Und Kühn rechtfertigte das Vertrauen von Coach Uwe Koschinat mit einer tadellosen Leistung. Er rettete seiner Mannschaft mit einigen tollen Paraden den Punktgewinn.

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Kühn: "So müssen wir noch 18 Mal auftreten"

"Klar ist das jetzt nicht der große Schritt. Aber ich glaube, für die Birne war es ganz wichtig, dass wir gesehen haben, dass wir mithalten können, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Es war der erste Schritt in die richtige Richtung. So müssen wir nun noch 18 Mal auftreten", sagte der Torhüter im NDR Interview und versprach: "Wir werden alles dafür tun, dass wir im nächsten Jahr weiter in der Zweiten Liga spielen - Totgesagte leben länger."

Koschinat lobt Grill, setzt ihn aber trotzdem auf die Bank

Darauf, dass Kühn gegen St. Pauli zu seinem 144 Pflichtspiel-Einsatz für den VfL kommen würde, hatte im Vorfeld des Duell mit den Hanseaten nichts hingewiesen. Denn die Leistungen des bisherigen Stammkeepers Grill waren gewiss nicht ausschlaggebend dafür, dass die Osnabrücker nach 16 absolvierten Partien ein ziemlich gutes Fernglas benötigen, um die Nichtabstiegsplätze erblicken zu können. Neu-Coach Koschinat tat sich dann auch nicht leicht damit, den Bundesliga-erfahrenen Torwart auf die Bank zu setzen.

"Das war die inhaltlich härteste und asozialste Entscheidung, die ein Trainer treffen kann. Denn Lennart hat sich vom ersten Spieltag an als Erbe des Aufstiegs-Torwarts den Respekt der Menschen erarbeitet und eine sehr stabile Saison in einer sehr schwierigen Phase gespielt", erklärte der 52-Jährige.

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Coach erhofft sich von Torwart-Wechsel Halt und Emotionen

Der Nachfolger des entlassenen Coaches Tobias Schweinsteiger führte aus, dass es keine Entscheidung gegen Grill, sondern eine für Kühn gewesen sei: "Es ging darum, dass ich insgesamt eine etwas introvertierte Mannschaft übernommen habe. Das sind fantastische Jungs, die sehr zuversichtlich sind und eine sehr gute Arbeitsmoral haben. Aber gerade in dieser jetzigen Situation mit nicht so viel Erfahrung und einem fehlenden Kapitän, der in der Hinrunde nicht helfen konnte, brauchen sie ein Stück weit Halt. Und es muss auch ein Stadion noch mal anders emotionalisiert werden. Da wusste ich, dass das Kühn leisten kann. Dass er darüber hinaus auch für diese spektakulären Paraden steht, das weiß man hier an der Brücke - das nimmt ein Stadion noch mal auf eine gewisse Art und Weise mit."

Nach der Partie sah sich Koschinat in seiner Entscheidung bestätigt. Kühn habe einen "sehr guten Job" gemacht, lobte der Coach seinen Torwart, der nun wohl erst einmal im VfL-Kasten bleiben wird. Denn: "Er hat auch diese Ruhe ausgestrahlt, die wir in der jetzigen Situation brauchen."

Osnabrücks Trainer Uwe Koschinat © IMAGO / Revierfoto
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Osnabrücks Lage bleibt fast aussichtslos

Die von Koschinat angesprochene Situation ist für die "Lila-Weißen" trotz des Achtungserfolgs gegen St. Pauli noch immer ziemlich aussichtlos. Gerade einmal acht Punkte schlagen für die Niedersachsen vor dem letzten Hinrundenspiel am kommenden Sonnabend (13 Uhr) bei Hertha BSC zu Buche. Es wird in der Rückrunde also einer sehr großen Aufholjagd bedürfen, um den Klassenerhalt noch zu realisieren. Dessen ist sich natürlich auch Kühn bewusst. "Ich gucke nicht auf die Tabelle, das würde mich nur bekloppt machen", sagte der 31-Jährige.

Die Hoffnung auf den Ligaverbleib hat der Keeper aber noch lange nicht aufgegeben. "Es war in den letzten Monaten deutlich zu wenig von uns, wir haben uns immer aufgegeben. Heute war es aber der richtige Schritt - so müssen wir weitermachen", erklärte Kühn.

Kühn kämpft auch um neuen Vertrag

Für den Routinier geht es nach dem Jahreswechsel auch um seine eigene Zukunft. Sein Vertrag läuft am Saisonende aus. Bleibt Kühn auch in der Rückrunde Stammtorwart, würden seine Chancen auf ein neues Arbeitspapier gewiss steigen. Für Grill hingegen wäre es doppelt bitter, dem Publikumsliebling langfristig den Vortritt lassen zu müssen.

Schließlich hatte sich der 24-Jährige von Champions-League-Teilnehmer Union Berlin zum VfL ausleihen lassen, um Spielpraxis zu sammeln und dann im kommenden Sommer gestärkt zu den "Eisernen" zurückzukehren. Nun muss der frühere Junioren-Nationalspieler befürchten, ein halbes Jahr lang auf der Bank zu sitzen. Nicht, weil er bis dato schlecht gehalten hatte, sondern, weil Koschinat einer völlig verunsicherten Mannschaft durch eine Personalentscheidung einen neuen Impuls geben wollte.

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Eine Fußballtabelle vor eine Fußballmotiv © Colourbox Foto: Pressmaster

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Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 10.12.2023 | 22:50 Uhr

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