Stand: 10.08.2020 18:00 Uhr

Medikamentenrückstände im Wasser: Eine Gefahr?

von Alexa Höber
Fluss im Wald © fotolia.com Foto: by-studio
Einige Mikro-Schadstoffe überstehen die Abwasserreinigung im Klärwerk und landen so in den Gewässern.

Medikamentenrückstände, flüssiges Plastik aus Duschgel und andere Mikro-Schadstoffe: Einige problematische Inhaltsstoffe aus alltäglichen Produkten überstehen die Abwasserreinigung im Klärwerk und gelangen auf diesem Weg in unsere Gewässer - und unter Umständen sogar ins Trinkwasser. Zwar bemühen sich die Wasserversorger seit vielen Jahren darum, dass der Eintrag solcher Stoffe in die Gewässer reduziert und damit auch das Trinkwasser sauber gehalten wird. Sie mahnen, dass schon bei der Herstellung von Produkten darauf geachtet werden muss, wie sich deren Inhaltstoffe später auf das Wasser auswirken.

Diclofenac in Wasserproben nachgewiesen

Ein Beispiel für diese Mikro-Schadstoffe sind Rückstände aus Medikamenten. Für die Sendung Die Tricks mit unserem Wasser hat ein vom NDR beauftragtes Labor Wasserproben an verschiedenen Entnahmestellen im Norden auf Mikro-Schadstoffe untersucht. Dabei fand das Labor den Schmerzmittel-Wirkstoff Diclofenac im Wasser aus einem Klärwerksauslauf in Lübeck (2,27 Mikrogramm pro Liter) und im Wasser der Elbe in Hamburg (0,03 Mikrogramm pro Liter). Bei anderen Untersuchungen fanden sich bereits Spuren des Schmerzmittelwirkstoffs Diclofenac und andere Medikamentenrückstände im Trinkwasser.

Arzneimittelhersteller sehen kein Gesundheitsrisiko

Je nach Wirksubstanz werden bei oral aufgenommen Medikamenten bis zu 90 Prozent der Wirkstoffe unverändert beziehungsweise in Form von Abbauprodukten ausgeschieden und landen so zunächst im Abwasser. Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller führt an, dass die Wirkstoffe von Arzneimitteln nur etwa zwei Prozent aller in Spuren nachweisbaren chemischen Substanzen im Abwasser ausmachten. Verschiedenen Studien zufolge sei es sehr unwahrscheinlich, dass die bisher im Trinkwasser nachgewiesenen Konzentrationen von Medikamentenwirkstoffen die menschliche Gesundheit beeinträchtigen können. Und auch das Umweltbundesamt habe festgestellt, dass die bisher im Trinkwasser nachgewiesenen Medikamentenkonzentrationen nach derzeitigem Wissensstand kein Gesundheitsrisiko darstellen.

Das Umweltbundesamt rechnet aufgrund des steigenden Durchschnittsalters der Bevölkerung mit einem Anstieg der Umweltbelastung durch Arzneimittelwirkstoffe und deren Abbauprodukte. Daher bestehe vermehrter Handlungsbedarf, den Eintrag von Arzneimitteln in die Umwelt zu reduzieren.

Diclofenac aus Schmerzgelen oder Tabletten

Ein Mann trägt Salbe aus einer Tube auf seinen Ellenbogen auf. © PantherMedia Foto: Igor Vetushko
Diclofenac wird nicht nur in Tablettenform, sondern auch in Salben zur Schmerzlinderung verabreicht.

Diclofenac ist ein Arzneimittelwirkstoff, der in Schmerztabletten oder zur äußerlichen Anwendung in Schmerzsalben und -gelen eingesetzt wird. In Deutschland liegt der Verbrauch bei rund 85 Tonnen jährlich. Die im Abwasser nachweisbaren Spuren von Diclofenac sind sowohl auf oral als auch lokal angewendete Medikamente zurückzuführen. Diclofenac kann nach der oralen Aufnahme über den Urin und bei Salben und Gels mit der nächsten Dusche ins Abwasser gelangen kann. Der Hersteller des Schmerzgels Voltaren erklärt, auf der Packungsbeilage solle demnächst darauf hingewiesen werden, dass überschüssiges Gel mit einem Tuch abgewischt und dann im Hausmüll entsorgt werden sollte. Außerdem solle der Hinweis aufgenommen werden, nach dem Auftragen nicht direkt zu baden oder zu duschen.

Risiko für die Fischwelt?

Umstritten ist, welche Gefahr Diclofenac-Reste in der Umwelt darstellen. Laut einem Umweltforschungsplan des Umweltministeriums über Maßnahmen zur Verminderung des Eintrages von Mirkoschadstoffen in die Gewässer überstehen Schätzungen zufolge bis zu zwei Tonnen Diclofenac jährlich den Reinigungsprozess in den Kläranlagen und gelangen über sie in angrenzende Flüsse. Dort ist Diclofenac womöglich problematisch für Fische: Ab einer Diclofenac-Konzentration von einem Mikrogramm pro Liter wurden im Rahmen einer Studie Nierenschäden bei Regenbogenforellen nachgewiesen. Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller weist darauf hin, dass es keinen schlüssigen Beweis dafür gebe, dass Diclofenac Nierenschäden bei Fischen verursacht. Die bisherigen Studien seien möglicherweise nicht valide und die zuständige Aufsichtsbehörde der EU-Mitgliedstaaten habe diese Studien noch nicht bewertet. Laut Umweltbundesamt liegt die Konzentration, bei der noch keine Effekte auf das Ökosystem auftraten, bei 0,05 Mikrogramm pro Liter. Eine Probe, die der NDR hat untersuchen lassen, lag bereits darüber.

"Spurenstoffstrategie" soll Verunreinigungen mindern

Faultuerme des Klaerwerks Koehlbrandhoeft in Hamburg © picture alliance Foto: Ohde
Bis zu zwei Tonnen Diclofenac überstehen Schätzungen zufolge jährlich den Reinigungsprozess in den Kläranlagen.

Um Verunreinigungen zu vermindern, die sich nachteilig auf unsere Gewässer und die Gewinnung von Trinkwasser auswirken, hat das Bundesumweltministerium eine sogenannte Spurenstoffstrategie ins Leben gerufen. Auch im Rahmen des Nationalen Wasserdialogs diskutieren auf Einladung des Bundesumweltministeriums Wasserversorger und Vertreter unterschiedlicher Branchen, wie sich der Eintrag unerwünschter Stoffe ins Wasser in Zukunft minimieren lässt. Ein Abschlussbericht soll im Herbst 2020 veröffentlicht werden.

Debatte über Kennzeichnung von Medikamenten

Die Wasserversorger wünschen sich eine Art "Umweltverträglichkeitsampel" auf Medikamentenverpackungen. Es sei hilfreich, wenn Menschen wüssten, dass die Medikamente, die sie gerade nehmen oder entsorgen, biologisch schwer abbaubar sind, sagt der Laborleiter von Hamburg Wasser, Dr. Kim Augustin. Zudem könne es helfen, wenn auch Ärzte wüssten, wie schwer abbaubar ein Wirkstoff ist. Wenn sie dann zwei gleichwertige Medikamente zur Auswahl hätten, könnten sie das Mittel verschreiben, das biologisch einfacher aus der Umwelt zu entfernen ist.

Der Verband der Arzneimittelhersteller argumentiert allerdings, dass für eine Kennzeichnung der Umweltverträglichkeit auf der Verpackung eine rechtliche Grundlage fehle. Eine Kennzeichnung sei auch deshalb nicht möglich, weil aufgrund der großen Vielzahl der Stoffe und der komplexen Wirkungsweisen das Wissen über ihre Auswirkungen auf Wasser-Organismen und den Menschen noch zu unvollständig sei.

Das Bundesgesundheitsministerium erklärt, Angaben zur Umweltverträglichkeit auf der Verpackung seien nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes nicht zulässig. In Schweden gibt es zumindest ein Internetportal für die Ärzteschaft, in dem die Auswirkungen einiger Arzneimittelwirkstoffe in der Umwelt recherchiert werden können.

Medikamentenrückstände im Wasser werden zunehmen

Neben dem Umweltbundesamt geht auch der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches davon aus, dass der Arzneimittelverbrauch aufgrund der demografischen Entwicklung auf lange Sicht vermutlich weiter ansteigen wird. Damit werde höchstwahrscheinlich auch die Menge an Arzneimittelrückständen in der Umwelt ansteigen. Die Gewässer und damit die Trinkwasser-Ressourcen müssten vor vermeidbaren Einträgen nachhaltig geschützt werden.

So appelliert der Verband daran, direkt an der Quelle anzusetzen, etwa mit innovativen Therapie-Konzepten, einer separaten Behandlung von Krankenhaus-Abwässern und der Berücksichtigung des Gewässerschutzes bereits bei der Zulassung von Arzneimitteln. Im Einzelfall könne abgewogen werden, ob zusätzliche Maßnahmen in der Abwasserentsorgung und Wasserversorgung wirksam seien.

Medikamente richtig entsorgen

Tabletten unterschiedlicher Form und Farbe © fotolia.com Foto: motorlka
Abgelaufene Medikamente dürfen nicht einfach in die Toilette oder den Ausguss geschüttet werden.

Auch die Verbraucher sind gefragt, um den Eintrag von Arzneimittelrückständen in Gewässer zu verringern. Denn schätzungsweise acht bis zehn Prozent der Medikamentenrückstände in der Umwelt werden durch eine unsachgemäße Entsorgung über die Toilette oder den Ausguss verursacht. In Deutschland gibt es keinen einheitlichen Entsorgungsweg für Medikamente, dieser kann von Region zu Region unterschiedlich sein. Tipps zur richtigen Entsorgung von Medikamenten hat unter anderem das Bundesumweltministerium auf seiner Homepage zusammengestellt.

Wer trägt die Kosten der Abwasserreinigung?

Um mehr Mikro-Schadstoffe als bisher aus dem Wasser entfernen zu können, müssten die großen Kläranlagen in Deutschland mit einer vierten Reinigungsstufe ausgebaut werden. Das Umweltbundesamt schätzt die Mehrkosten dafür auf durchschnittlich 16 Euro pro Person und Jahr.

Wasserversorger fordern, dass sich die Hersteller von Produkten, die für das Wasser problematische Inhaltsstoffe enthalten, auch an den Kosten ihrer Entfernung aus dem Wasser beteiligen. Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller schreibt dazu, dass Millionen Menschen Medikamente zur Vorbeugung, Heilung oder Linderung von Krankheiten und Beschwerden nutzten. Von Medikamenten profitiere auch die Gesellschaft, etwa durch den Erhalt der Arbeitsfähigkeit chronisch kranker Menschen. Daher solle auch die Entfernung von Medikamentenrückständen aus Gewässern und Trinkwasser als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden und auch gesamtgesellschaftlich finanziert werden.

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Dieses Thema im Programm:

Die Tricks | 10.08.2020 | 21:00 Uhr

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