Eine männliche Pflegekraft hilft einem Mann im Rollstuhl. © Fotolia Foto: Ocskay Mark

Pflegeheim-Bewohner müssen deutlich mehr zahlen

Stand: 01.09.2022 13:49 Uhr

Tausende pflegebedürftige Senioren müssen tiefer in die Tasche greifen. Nahezu alle Einrichtungen haben die Entgelte für die Heimplätze erhöht - oft um mehrere Hundert Euro pro Monat.

von Johannes Tran

Doris Willmann. © NDR
Doris Willmann ist nur eine von vielen Angehörigen Pflegebedürftiger, die mit einer Preiserhöhung konfrontiert werden.

Als der Brief vom Heim kam, war Doris Willmann fassungslos. Rund 500 Euro mehr pro Monat soll ihre Mutter künftig für ihren Heimplatz in Gettorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) zahlen. Das Heim hat angekündigt, ihren Eigenanteil von rund 1.700 auf 2.200 Euro zu erhöhen. "Ich war schockiert", sagt Willmann. "Da muss man erstmal tief Luft holen und das sacken lassen."

Wie Doris Willmann und ihrer Mutter ergeht es zurzeit Tausenden pflegebedürftigen Senioren und ihren Angehörigen. Nahezu alle Einrichtungen haben die Entgelte für ihre Bewohnerinnen und Bewohner massiv erhöht. "Die Steigerungen dürften immer zweistellig ausfallen, durchschnittlich wohl um die 20 Prozent", schreibt der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), der die Interessen der privaten Pflegeeinrichtungen in Schleswig-Holstein vertritt.

Heimbetreiber: Müssen Mehrkosten an Bewohner weitergeben

Mathias Steinbuck, Landesvorsitzender des bpa. © NDR
Mathias Steinbuck, Landesvorsitzender des bpa, erklärt die Gründe für die Entscheidung. Einige davon sind die gestiegenen Energiekosten und die Inflation.

Ein Grund für die Verteuerungen seien "die explodierenden Kosten für Energie und Brennstoffe und die hohe Inflation", erklärt der bpa. Als Hauptgrund führt der Verband aber die neue sogenannte Tariftreueregelung an. Diese besagt, dass Einrichtungen ihre Pflege- und Betreuungskräfte mindestens nach Tarif bezahlen müssen. Die Personalkosten in den Heimen steigen also und die Betreiber legen das auf die Bewohner um. "Wir können den Bewohnerinnen und Bewohnern diese Mehrkosten daher leider nicht ersparen", schreibt der bpa. Seiner Darstellung nach hätten die Heimbetreiber in Schleswig-Holstein schon seit Jahren "keine nennenswerten Renditen" mehr erwirtschaften können.

Sozialverband VdK: Heimplätze könnten unbezahlbar werden

Ronald Manzke, Sozialverband VdK Nord. © NDR
Ronald Manzke vom Sozialverband VdK Nord fordert ein Eingreifen der Politik, damit die Heimkosten nicht weiter erhöht werden.

Die Kostensteigerungen stoßen beim Sozialverband VdK Nord auf scharfe Kritik. "Es darf nicht sein, dass die bessere Bezahlung der Pflegekräfte zulasten der Senioren geht", sagte Geschäftsführer Ronald Manzke im Interview mit NDR Schleswig-Holstein. Er befürchte, dass viele Senioren ihren Heimplatz bald nicht mehr aus eigener Kraft bezahlen könnten. "Die Politik muss dafür sorgen, dass der Eigenanteil gedeckelt wird", fordert Manzke. "Das darf nicht weiter ins Unermessliche steigen." Er berichtet, dass die Anfragen besorgter Mitglieder wegen der steigenden Heimentgelte an den Sozialverband deutlich zugenommen hätten.

Pflegeschutzbund kritisiert Intransparenz

Auch vom Pflegeschutzbund BIVA, der Interessenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen, kommt Kritik an den Entgelterhöhungen. Viele Heimbetreiber würden die Kostensteigerungen nicht transparent begründen, sagt Ulrike Kempchen, Juristin beim BIVA. "Hier gibt es viele Fehler, die wir finden, weil sich die Unternehmer nicht an die Vorgaben des Verbraucherschutzgesetzes halten." Dabei seien die Heimbetreiber gesetzlich dazu verpflichtet, genau aufzuschlüsseln, wie die Mehrkosten zustande kommen. Allein in Schleswig-Holstein liegen dem Pflegeschutzbund nach eigenen Angaben 23 fehlerhafte Erhöhungsschreiben aus diesem Jahr vor.

Doris Willmann (rechts) zusammen mit ihrer pflegebedürftigen Mutter. © NDR
Doris Willmann (rechts) mit ihrer pflegebedürftigen Mutter. Sie zeigt sich besorgt wegen der steigenden Heimkosten für sie.

Eines davon stammt von Doris Willmann. Sie hat den Brief des Gettorfer Pflegeheims, in dem ihre Mutter lebt, zur Überprüfung an den BIVA weitergeleitet. "Ich finde die Erhöhung total überzogen", sagt Willmann. "Das ist nicht glaubhaft." Der Pflegeschutzbund hat das Schreiben des Heims daraufhin geprüft, die Antwort an Doris Willmann liegt NDR Schleswig-Holstein vor. Darin heißt es auszugsweise: "Eine hinreichende Begründung können wir nicht erkennen. Nach alledem ist das Erhöhungsschreiben […] unwirksam. Sie müssen daher die Erhöhungsbeträge nicht bezahlen."

"Wer soll das noch bezahlen?", fragt die Angehörige

Die Geschäftsführerin des Heims stand NDR Schleswig-Holstein nicht für ein Interview zur Verfügung. Per Mail schreibt sie, die Einschätzung des Pflegeschutzbundes sei "überraschend". Grundlage für den Preissprung sei das neue Tariftreuegesetz.

Doris Willmann will die Kostenerhöhung nicht hinnehmen. Sie erwägt, Widerspruch einzulegen. Zwar schätzt sie, dass sie um die Erhöhung letztlich nicht herumkommen wird. Aber sie sagt, es gehe ihr darum, ein Zeichen zu setzen - dass Pflege bezahlbar bleiben müsse. "Wo soll das noch hinführen?", fragt sie. "Wer soll das noch bezahlen?"

Weitere Informationen
Zwei Pflegekräfte schieben jeweils einen Rollstuhl mit einer Person einen Gang entlang © picture alliance/dpa Daniel Bockwoldt Foto: Daniel Bockwoldt

Psychische Erkrankung: Extrem viele Fehltage bei Pflegekräften

Im Schnitt fehlt eine Pflegekraft in SH fast sieben Tage im Jahr wegen einer psychischen Erkrankung, sagt die AOK Nordwest. mehr

Eine Pflegefachkraft hilft einer älteren Dame in einem Seniorenheim. © picture alliance Foto: Arno Burgi

Pflegedienste: Die Löhne steigen, die Probleme bleiben

Durch das Tariftreuegesetz steigen die Kosten für Personal um knapp 25 Prozent. Schleswig-Holsteins Sozialministerin Touré spricht von einer "nicht ausgereiften Finanzierung". mehr

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 01.09.2022 | 19:30 Uhr

Nachrichten aus Schleswig-Holstein

Ein computergeneriertes Bild zeigt die künftige Batteriefabrik von Northvolt bei Heide bei Sonnenlicht. © Northvolt

Northvolt bei Heide: Wohnungsbau ist die größte Herausforderung

Ein Wohnraumkonzept gibt es bereits. Die hohen Grundstückspreise sind schon jetzt ein Problem und dies könnte noch größer werden. mehr

Videos