Landtag in SH besorgt über Angriffe auf Politik und Demokratie

Stand: 23.05.2024 16:42 Uhr

Passend zum Jahrestag des Grundgesetzes haben die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags am Donnerstag über Grundwerte der Demokratie debattiert. Zugleich wurde über Wege gesprochen, sie zu stärken. Die jüngsten Angriffe auf Politiker wurden verurteilt.

von Fabian Boerger

Es war gerade einmal vier Jahre her, dass der Zweite Weltkrieg in Deutschland ein Ende fand. Erste deutsche Städte begannen, sich aus den Trümmern des Krieges zu erheben, als sich ein Parlamentarischer Rat in Bonn ans Werk machte und das deutsche Grundgesetz aus der Taufe hob.

Es sollte ein Dokument werden, in dem nicht nur Menschen- und Bürgerrechte ihren Platz fanden, sondern zugleich die Funktionen und der Aufbau eines neuen deutschen, demokratischen Staates niedergeschrieben waren. Am 23. Mai 1949 wurde das Gesetz verabschiedet.

Demokratie im Fadenkreuz

75 Jahre später zeigt sich, wie weitsichtig die Mütter und Väter des Grundgesetzes einst waren, wie stabil und nachhaltig es sein sollte, das Grundgesetz. Doch 75 Jahre später zeigt sich auch, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit immer öfter angefeindet und infrage gestellt werden. Das fand jüngst Ausdruck in deutschlandweiten Angriffen auf Politikerinnen und Politiker sowie auf Helfende im Europawahlkampf.

Weitere Informationen
Das Grundgesetz als Buch hängt schräg aus einem Regal raus © picture alliance/dpa Foto: Hendrik Schmidt

75 Jahre Grundgesetz: Veranstaltungen auch in SH

Das Grundgesetz und die Demokratie feiern Jubiläum. In Schleswig-Holstein wurde mitgefeiert und die Bedeutung der demokratischen Grundordnung unterstrichen. mehr

Ernste Debatte ohne Zwischentöne

Anlässlich des Jubiläums nutzten die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags am Donnerstag die Bühne, um für die Werte und den Schutz der Demokratie zu werben. Es war eine ernste Debatte ohne scharfe Zwischentöne. Stattdessen überwog Parteien-übergreifender Applaus für alle Redner.

Zusätzlich brachten die Fraktionen einen Antrag in den Landtag ein, in dem sie Drohungen, Schmähungen und Verunglimpfungen sowie Angriffe auf die Demokratie und deren Vertretende scharf verurteilen. Einstimmig beschlossen die Fraktionen den gemeinsamen Antrag.

Weitere Informationen
Ein Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland liegt auf einer deutschen Flagge. © picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer

Unsere Demokratie: Gelebt. Gefordert. Geschenkt?

Das deutsche Grundgesetz ist 75 Jahre alt geworden. Wie steht es um Meinungsfreiheit, Gleichheit und Freiheit? Und wie gefährdet ist unsere Demokratie? mehr

Fraktionen einig: Angriffe auf Demokratie stoppen 

Für den Fraktionsvorsitzenden der FDP, Christopher Vogt, ist das Grundgesetz eine deutsche und zugleich europäische Erfolgsgeschichte.

"Die entscheidenden Lehren aus der NS-Zeit waren zum einen die sehr klare Betonung der Würde des einzelnen Menschen und zum anderen die sehr kluge Neugestaltung des politischen Systems." Christopher Vogt, FDP

Christopher Vogt bei einer Landtagssitzung in Kiel © dpa-Bildfunk Foto: Carsten Rehder
Der Fraktionsvorsitzende der FDP, Christopher Vogt, betonte die Erfolgsgeschichte des Grundgesetzes.

Trotz der Erfolge sollte laut Vogt der Anlass auch genutzt werden, um zu überdenken, ob das Grundgesetz noch richtig gelebt werde und zeitgemäß sei. Seit zehn Jahren würde es zunehmend herausgefordert.

Eine Demokratie müsse gelebt und immer wieder verteidigt werden, so Vogt - gegen ihre Gegner von innen und von außen, wie zuletzt schmerzlich festzustellen sei. Das geschehe durch Populisten, Extremisten, aber durch eine wachsende Abstiegsangst der Mittelschicht in einer älter werdenden Gesellschaft.

CDU: "Ein Angriff auf uns alle”

Birte Glißmann (CDU) lächelt in die Kamera.
Birte Glißmann ist die parlamentarische Geschäftsführerin in der CDU-Landtagsfraktion.

Birte Glißmann (CDU) sagte, dass das Grundgesetz auch eine gegenseitige Verantwortung darstelle, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu schützen und zu verteidigen - vor allem mit Blick auf den Angriff auf den sächsischen Politiker Matthias Ecke. Menschen, die solche Taten begingen, würden die demokratische Grundordnung, das Grundgesetz und damit alle Menschen angreifen, so Glißmann.

Dabei kämen die Angriffe auch vonseiten der AfD, so die CDU-Politikerin. Wer so handele - chinesische Spione beschäftige, als rechtsextremistischer Verfassungsfall eingestuft werde und die Unabhängigkeit der Justiz infrage stelle - der trete das Grundgesetz mit Füßen.

Grüne: Es braucht wieder Mut

Ein Porträt von Jan Kürschner © Jan Kürschner Foto: Jan Kürschner
Jan Kürschner von den Grünen betonte im Landtag, dass es wieder mehr Mut brauche, um gegen Menschen vorzugehen, die der Demokratie schaden wollen.

Jan Kürschner, innen- und rechtspolitischer Sprecher der Grünen, schloss sich dem an. Deshalb brauche es wieder mehr Mut, sagte er. "Man muss auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen", zitierte er den Staatsrechtler Carlo Schmid, der zugleich einer der Väter des Grundgesetzes gewesen ist. Kürschner sagte, es müsse gegen jene Kräfte angegangen werden, die die demokratischen Strukturen aus dem Parlament heraus angreifen.

Weitere Informationen
Grünen-Politiker Marcel Spittel neben einem Wahlplakat. © Screenshot

Gewalt gegen Politiker: Plakatieren mit mulmigem Gefühl

Politiker der CDU und der Grünen in Neubrandenburg berichten von Drohungen und Pöbeleien im Wahlkampf. Sie haben Angst - und hängen Plakate besonders hoch. mehr

SSW: Grundgesetz ist unvollständig

Während die Parteien geeint das Grundgesetz als Erfolgsgeschichte lobten, machte Lars Harms, Fraktionsvorsitzender des SSW, auch darauf aufmerksam, dass es auch heute nicht vollständig sei. Es fehle ein im Grundgesetz verankerter Schutz von Minderheiten. Den hätte es auch 1949 nicht gegeben, weshalb der SSW damals gegen das Grundgesetz stimmte. Und es gebe ihn heute immer noch nicht, so Harms.

"Minderheiten brauchen einen besonderen Schutz und für uns ist es nach wie vor unverständlich, warum dieser nicht auch im Grundgesetz aufgenommen sein sollte." Lars Harms, SSW

In diesem Zusammenhang wiederholte der SSW-Chef die Forderung, die Landesregierung möge eine Bundesratsinitiative anregen, sodass Bestimmungen zugunsten nationaler Minderheiten im Grundgesetz verankert würden.

SPD: "Das Grundgesetz geht mit der Zeit"

Serpil Midyatli im Schleswig-Holsteiner Landtag. © Screenshot
Serpil Midyatli, Fraktionschefin der SPD, nutzte die Debatte, um dafür zu werben, die Schuldenbremse zu reformieren und Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen.

Serpil Midyatli, Fraktionschefin der SPD, sieht eine Stärke des Grundgesetzes auch darin, dass es mit der Zeit gehen und lernen könne. Als Beispiel nennt sie die Corona-Pandemie, in der das Gesetz auf eine harte Probe gestellt worden sei. Oder Bestimmungen, an denen noch in Zukunft gearbeitet werden müsse. So will sie die Schuldenbremse, die seit der Finanz- und Bankenkrise im Grundgesetz steht, reformieren oder Kinderrechte aufnehmen.

Antrag einstimmig beschlossen

Neben zahlreichen Veranstaltungen in Schleswig-Holstein anlässlich des Jubiläums gab es in Berlin einen Staatsakt sowie ein mehrtägiges Demokratie-Fest rund um das Bundeskanzleramt und den Reichstag.   

Weitere Informationen
Vor dem Bundesadler im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgericht steht eine Miniaturausgabe des Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland sowie ein Barett eines Bundesverfassungsrichters. © picture alliance/dpa Foto: Uli Deck

Kommentar: Das Grundgesetz - ein Erfolgsmodell?

Der Text des Grundgesetzes hätte nur wenig ausrichten können, wenn es nicht das Bundesverfassungsgericht gebe, meint Kommentatorin Gigi Deppe. mehr

Eine Weltkugel aus Glas liegt in grünem Gras. © picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer

75 Jahre Grundgesetz: Klimaschutz in die Verfassung?

Das Bundesverfassungsgericht stellte 2021 klar: Es gibt ein Grundrecht auf Klimaschutz. Im Grundgesetz steht es aber nicht. Sollte man das ändern? mehr

Konrad Adenauer unterzeichnet das Grundgesetz am 23. Mai 1949 © dpa/picture-alliance

Das Grundgesetz: Wie Deutschland 1949 seine Verfassung bekam

Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz der Bundesrepublik verkündet. Weltweit orientierten sich Staaten an der deutschen Verfassung. mehr

Dieses Thema im Programm:

Nachrichten für Schleswig-Holstein | 23.05.2024 | 12:00 Uhr

Nachrichten aus Schleswig-Holstein

Zwei Personen an einem Stehtisch © NDR Foto: NDR Screenshot

Workshop gegen Rassismus: Aufstehen gegen "Stammtischparolen"

Rassistische Sprüche und Vorurteile: "Stammtischparolen" kommen fast überall vor. Doch man kann lernen, darauf richtig zu reagieren. mehr

Videos