Vor dem Bundesadler im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgericht steht eine Miniaturausgabe des Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland sowie ein Barett eines Bundesverfassungsrichters. © picture alliance/dpa Foto: Uli Deck
Vor dem Bundesadler im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgericht steht eine Miniaturausgabe des Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland sowie ein Barett eines Bundesverfassungsrichters. © picture alliance/dpa Foto: Uli Deck
Vor dem Bundesadler im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgericht steht eine Miniaturausgabe des Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland sowie ein Barett eines Bundesverfassungsrichters. © picture alliance/dpa Foto: Uli Deck
AUDIO: Kommentar: Das Grundgesetz - ein Erfolgsmodell? (3 Min)

Kommentar: Das Grundgesetz - ein Erfolgsmodell?

Stand: 23.05.2024 15:13 Uhr

Das deutsche Grundgesetz entstand vor 75 Jahren, war bis zur Wiedervereinigung ein Provisorium und doch von Anfang an eine vollwertige Verfassung. Kann man das Grundgesetz als Erfolgsmodell betrachten? Ein Kommentar.

von Gigi Deppe, Leiterin der ARD-Rechtsredaktion Hörfunk

Eine Verfassung hält im Durchschnitt nur 19 Jahre. Das hat die Wissenschaft bei einem internationalen Vergleich vor einiger Zeit mal festgestellt. Nach 19 Jahren beschließen Länder im Schnitt, dass sie eine neue Grundlage für ihr Staatswesen benötigen. Wenn das stimmt, können wir auf die 75 Jahre unserer Verfassung stolz sein. Allerdings wurde auch allerhand am Grundgesetz verändert. Die Statistik weist aktuell 67 Änderungsgesetze seit 1949 aus - Gesetze, die mitunter gleich mehrere Artikel reformierten. Das heißt, auch wenn unsere Verfassung ursprünglich in ihren Formulierungen von beeindruckender Schlichtheit war, gab es das Bedürfnis nachzubessern und sie an die Entwicklung der Gesellschaft anzupassen.

Schlichtheit des Grundgesetzes noch immer spürbar

Trotzdem ist die Schlichtheit immer noch spürbar. Etwa bei dem Satz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Kein Wenn und Aber. Keine Bedingungen. Der Satz wird immer wieder zitiert, vielen ist er geläufig. Oder Artikel drei: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Eine Formulierung, die in ihrer Schlichtheit nicht zu überbieten ist. Anfangs glaubten noch einige, das sei einfach nur eine Art schönes Ziel. Aber das Verfassungsgericht machte schon 1953 ernst: Nein, das ist eine Pflicht. Später wurde noch ein Satz hinzugefügt: Der Staat muss dafür sorgen, dass Gleichheit wirklich hergestellt wird.

Die wichtige Rolle des Bundesverfassungsgerichts

Der Text des Grundgesetzes hätte aber nur wenig ausrichten können, wenn es nicht das Bundesverfassungsgericht gegeben hätte, das dieser Verfassung immer wieder zum Leben verholfen hat. Das Besondere am Grundgesetz, so sagen Staatsrechtler: Dass es eben so ein starkes Gericht geschaffen hat, das so massiv der Politik Vorgaben machen kann. Fest steht: Mit dem Zusammenspiel zwischen Verfassung und Gericht sind wir bis jetzt gut gefahren. Zwar erinnern sich vermutlich viele auch an Gerichtsentscheidungen, die ihnen nicht gefallen haben.

Die einen werden hier vielleicht an die Urteile denken, die Schwangerschaftsabbrüche erschwert haben. Und die anderen kritisieren den Klimabeschluss, weil er der Politik zu viel Vorgaben machen würde. Viele grundsätzliche Fragen an unsere Verfassung sind irgendwann in Karlsruhe gelandet, wurden anlässlich von mündlichen Verhandlungen in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Und so nimmt die Bevölkerung Teil an unserem Grundgesetz und lebt mit diesem Text.

Fast jedes Grundrecht wird immer auch mal eingeschränkt

In der Corona-Zeit haben viele über ihre Grundrechte nachgedacht. Selbst wenn nicht alle verstanden haben, wie sie funktionieren, dass fast jedes Grundrecht immer auch mal eingeschränkt wird, selbst in guten Zeiten – die Berufung darauf zeigt, wie wichtig unsere Verfassung für die Menschen ist. Interessanterweise gilt das besonders für diejenigen, die bei uns eingewandert sind. Von ihnen kommt häufig Lob für dieses kleine Büchlein, das uns alle verbindet.

Was nicht bedeutet, dass mit dem Grundgesetz gute Zeiten für immer garantiert sind. Mit der Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und Hass im Internet stellen sich zum Beispiel viele neue Aufgaben. Immer wieder sind die vielen Artikel im Grundgesetz daraufhin zu durchleuchten: Welche Werte hält es hoch? Und welcher Weg ist zu beschreiten, damit diese Werte Wirklichkeit werden?

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin/des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

Weitere Informationen
Die Volkskammer der DDR votiert am 23. August 1990 für den Beitritt zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990. © picture-alliance / dpa | Michael_Jung

Grundgesetz und deutsche Trennung: Debatte über Art der Wiedervereinigung

1990 beschließt das DDR-Parlament den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland. Bei der Diskussion um die Wiedervereinigung geht es auch ums ostdeutsche Selbstwertgefühl. mehr

Eine Weltkugel aus Glas liegt in grünem Gras. © picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer

75 Jahre Grundgesetz: Klimaschutz in die Verfassung?

Das Bundesverfassungsgericht stellte 2021 klar: Es gibt ein Grundrecht auf Klimaschutz. Im Grundgesetz steht es aber nicht. Sollte man das ändern? mehr

Eine Ausgabe des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland liegt neben Schreibutensilien. © ZB/dpa Foto: Monika Skolimowska

"Die Meinungsfreiheit des anderen muss man aushalten"

Artikel 5 im Grundgesetz ermöglicht freie Rede. Manche sehen sie eingeschränkt - Juristen widersprechen. mehr

Eine Frau und ein Mann sitzen Rücken an Rücken und schauen auf ihre Laptops, die auf ihren Beinen liegen. © picture alliance / Westend61 | Westend61 / Jo Kirchherr

75 Jahre Grundgesetz: Wie weit sind wir in Sachen Gleichberechtigung?

In Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt". 1949 galt dieser Satz als wegweisend. Was hat sich seitdem getan? mehr

Ein Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland liegt auf einer deutschen Flagge. © picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer

Unsere Demokratie: Gelebt. Gefordert. Geschenkt?

Das deutsche Grundgesetz ist 75 Jahre alt geworden. Wie steht es um Meinungsfreiheit, Gleichheit und Freiheit? Und wie gefährdet ist unsere Demokratie? mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kommentar | 23.05.2024 | 17:12 Uhr

Eine junge Frau hält ein Tablett-PC auf dem man den NDR-Info Newsletter sieht. © NDR Foto: Christian Spielmann

Abonnieren Sie den NDR Newsletter - die Nord-News kompakt

Mit dem NDR Newsletter sind Sie immer gut informiert über die Ereignisse im Norden. Das Wichtigste aus Politik, Sport, Kultur, dazu nützliche Verbraucher-Tipps. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Der Ploggenseering in Grevesmühlen © NDR Screenshots

Rassistische Attacke in Grevesmühlen: Erste Hinweise erreichen Polizei

Jugendliche sollen einer Achtjährigen aus Ghana ins Gesicht getreten und auch deren Vater verletzt haben. Die Ermittlungen der Polizei laufen. mehr