Eine Biogasanlage hinter einem Rapsfeld. © picture alliance/ dpa-Report Foto: Egbert Kamprath

Bund will Einnahmen kassieren: Biogasbranche besorgt

Stand: 24.11.2022 14:40 Uhr

Der Gesetzentwurf zur Strompreisbremse liegt jetzt vor. Dieser sieht vor, die Einnahmen aus Wind-, Solarenergie und Biogas zu verwenden, um die hohen Preise von Erdgas und Steinkohle auszugleichen.

von Peer-Axel Kroeske

Der Begriff "Übergewinne" sei irreführend, sagt Kalle Rave. Er betreibt eine Biogasanlage in Ausacker (Kreis Schleswig-Flensburg). Viele Anlagen verzeichneten aufgrund der hohen Strompreise zwar in diesem Jahr deutlich höhere Einnahmen als sonst, räumt er ein. Aber auch die Ausgaben seien gestiegen: um die Hälfte für den Mais, sowie für Diesel und Löhne. Nach dem Referentenentwurf plant der Bund nun, bei sämtlichen erneuerbaren Energien die Einnahmen zu deckeln. Dabei werde die Ausgabenseite aber nicht berücksichtigt, beklagen die Betreiber. Dadurch würden zahlreiche Biogasanlagen in die Verlustzone rücken. Eine Insolvenzwelle wäre die Folge, warnt der Verband. Zumindest sind kleinere Anlagen mit weniger als einem Megawatt Leistung im Entwurf ausgenommen.

Staat will Einnahmen der Stromproduzenten kassieren

Hintergrund sind die hohen Strompreise. Diese sind entstanden, weil Erdgas infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine knapp geworden ist. Trotzdem wird es in Kraftwerken verbrannt, um Strom zu produzieren. Der teuerste noch benötigte Erzeuger bestimmt den Preis. Dadurch erzielten auch Windparks, große Solaranlagen, Braunkohle- und Kernkraftwerke unerwartet hohe Einnahmen, die der Staat jetzt abschöpfen will. Dies ist laut Entwurf rückwirkend zum 1. September geplant, obwohl Experten an der Rechtmäßigkeit zweifeln. Bei Biogasanlagen könnte die Rechnung nicht mehr aufgehen. Der Verband appelliert an das Bundeswirtschaftsministerium, Spielräume zu nutzen, die eine EU-Vorgabe dazu bietet.

Preisdeckel erschwert, Biogas als Lückenfüller in der Dunkelflaute zu nutzen

Nach dem Referentenentwurf sollen die Biogas-Anlagenbetreiber nur sechs Cent mehr pro Kilowattstunde behalten dürfen als ihnen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz garantiert ist. Hinzu kommt demnach ein kleiner Gewinnanteil, so dass insgesamt nur etwas mehr als 24 Cent pro Kilowattstunde verbleiben. Die Kappungsgrenze liegt damit etwas höher als befürchtet. Doch erst 35 Cent pro Kilowattstunde wären aktuell rentablel, meint Verbandssprecher Hans-Ulrich Martensen aus Sönnebüll (Kreis Nordfriesland). An den Strombörsen lag das Niveau wochenlang darüber und schwankte zudem im Tagesverlauf: Vor allem morgens und abends bestimmten die teuren Gaskraftwerke den Preis, der im Sommer regelmäßig mehr als 50 Cent erreichte. Inzwischen gehen die Preise wieder zurück.

Martensen gehört zu den im Moment noch wenigen Betreibern, die mit ihrer Anlage flexibel auf die Nachfrage reagieren und dafür in zusätzliche Technik investiert haben. Bei einer Kappung verlören die Anlagenbetreiber aber jegliche Motivation, die Stromlücken zu füllen, wenn etwa Wind und Sonne schwächeln, betont er. Zudem könnten die Betriebe nicht in die Flexibilisierung investieren, wenn ihnen sämtliches Geld sofort wieder genommen würde. Wenn Biogasanlagen nicht verstärkt während der "Dunkelflauten" einspringen, müssten es Erdgas-Kraftwerke tun, meint Rave. Das wäre teuer und die Speicher würden sich schneller leeren.

Habecks Ministerium: Problem ist bekannt

Bisher sind die Pläne noch im Entwurfsstadium. Laut Verband könnte sie das Bundeskabinett aber schon in Kürze beschließen. Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums sagte dazu auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein, das Problem sei bekannt. Grundsätzlich werde der Betrieb von Biogasanlagen befürwortet. Ansonsten verweist das Ministerium darauf, dass es andere Regularien für Biogasanlagen vereinfacht habe, so dass diese mehr Strom als bisher produzieren dürften. Wenn sie aber nicht mehr rentabel produzieren können, nützt das aus Sicht des Fachverbandes wenig.

Wärmenetze bleiben im schlimmsten Fall kalt

Sollte es tatsächlich zu Insolvenzen kommen, hängen auch zahlreiche dörflichen Wärmenetze in der Luft. An Raves Anlage hängen Wohnhäuser in Ausacker. Martensen versorgt die Fachklinik in Breklum mit Wärme. Ein Aus für die Versorgung wäre eine Katastrophe für die Verbraucher und Kunden, sagt er.

Wind- und Solarbranche sieht Investitionen in neue Projekte gefährdet

Besser stehen Wind- und Solarparks da, die tatsächlich Gewinne erzielen, mit denen die Betreiber nicht rechnen konnten. Auch ihre Erlöse sollen rückwirkend einkassiert werden. Der Landesverband für erneuerbare Energien (LEE SH) vermisst allerdings Verlässlichkeit und Planbarkeit. Die Folge: Investoren würden verunsichert und sich beim dringend benötigten Ausbau von Wind- und Sonnenenergie zurückhalten.

Hinweis: Den Artikel hatte NDR Schleswig-Holstein bereits am 28.10.22 veröffentlicht. Am 24.11.22 hat die Redaktion die neuen Details aus dem Referentenentwurf zur Strompreisbramse und aktuelle Reaktionen darauf ergänzt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 28.10.2022 | 17:00 Uhr

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