Eine Dorfkneipe zu erhalten, ist gar nicht so einfach

Stand: 04.02.2023 11:58 Uhr

Soll die Dorfgemeinschaft erhalten bleiben, darf die Dorfkneipe nicht sterben. Das leuchtet ein. Aber wie gelingt das? Vielleicht mit dem Zehn-Punkte-Plan der Aktiven in Benstrup.

von Fritzi Blömer

Seit mehr 100 Jahren ist der Landgasthof Wingbermühle in Benstrup ein Familienbetrieb. Wirtin Johanna "Hanni" Wingbermühle leitet die Wirtschaft mit Saalbetrieb in vierter Generation. Jetzt setzt sie sich zur Ruhe. Für die Dorfgemeinschaft war klar, dass der Gasthof nicht einfach schließen kann, denn er ist Dreh- und Angelpunkt des Dorflebens. Von Schützenfest, Erntedankball und Grünkohlessen (von den Benstrupern traditionell "Wursteball" genannt) bis hin zu wöchentlichen Proben des Musikvereins und Versammlungen. Auch private Feste werden im Saal ausgerichtet und das nicht nur für Benstruper Gäste.

VIDEO: Benstrup rettet Kneipe vor der Schließung (03.02.2023) (2 Min)

Arbeiten und Feiern in der Gemeinschaft

Außenaufnahme des Bentruper Gasthofes. © NDR Foto: Friederike Blömer
Der Landgasthof Wingbermühle wird aktuell kernsaniert und erweitert.

Um all das weiter zu ermöglichen, sind die Bewohnerinnen vor zweieinhalb Jahren kreativ geworden. Alfred Kessen, einer der Ideengeber des Projekts, erklärt: Zunächst stand der Kauf der Gastwirtschaft und des Grundstücks an, jetzt wird alles renoviert und einige Bereiche werden erweitert. Ende Oktober soll dann alles fertig sein. Im letzten Schritt wird der Landgasthof verpachtet. Hierfür sucht die Wirtshaus KG noch einen Betreiber. Vor zweieinhalb Jahren ist die BW Benstruper Wirtshaus KG ins Leben gerufen worden. Bürgerinnen und Bürger hatten die Möglichkeit, Anteile an der KG zu erwerben. Die sind gekoppelt an eine Selbstbeteiligung: 30 Stunden Arbeit müssen abgeleistet werden. Das können zum Beispiel planerische Tätigkeiten, Pressearbeit oder Hilfsarbeiten am Bau sein. 630.000 Euro sind zusammengekommen, außerdem rechnen die Benstruper mit gut 200.000 Euro aus Fördertöpfen der Europäischen Union.

Zehn-Punkte-Plan: So erhalten Sie eine Kneipe für die Dorfgemeinschaft

Das Beispiel Benstrup zeigt: Es ist möglich, als Dorfgemeinschaft Leerstand zu bekämpfen. Alfred Kessen glaubt, dass die Übernahme beziehungsweise der Kauf von leer stehenden Gasthöfen oder auch Läden eine Chance sein kann, um das Leben auf dem Dorf weiterhin attraktiv zu gestalten. Aber was braucht es, um so ein Großprojekt umzusetzen? Hier der Zehn-Punkte-Plan der Benstruperinnen und Benstruper:

  1. Großer Zusammenhalt: Für ein Projekt in dieser Größenordnung muss die ganze Dorfgemeinschaft mitmachen. Und dazu gehört nicht nur das Gefühl der Zugehörigkeit, sondern auch die Bereitschaft jedes Einzelnen, sich zu beteiligen. Es braucht Geldgeber ebenso wie Menschen, die mit anpacken.
  2. Einige "Antreiber": Gemeinsam mit zwei anderen Dorfbewohnern hat Kessen das Projekt ins Leben gerufen. Die drei sind bekannt im Ort, haben ein gewisses Standing in der Gemeinschaft und bringen das Projekt seit zweieinhalb Jahren stetig voran. Mindestens einmal pro Woche treffen sie sich und besprechen den Stand der Dinge. Laut Kessen braucht es eine Handvoll Leute, die konsequent vorangehen.
  3. Ein starkes Team: Hinter den Köpfen des Projekts braucht es ein starkes Team. Am besten ist es, schon von Anfang an Experten der verschiedenen Gewerke an Bord zu haben. Das senkt nicht nur die Kosten, sondern so lassen sich auch von Anfang an Fehler in der Umsetzung vermeiden.
  4. Die passende Organisationsform: Die Entscheidung für eine KG - also eine Kommanditgesellschaft - hatte in Benstrup gute Gründe. Wer mehr Geld gibt, darf mehr mitentscheiden. Für Kessens ist klar: Das hat bei dem einen oder anderen noch etwas mehr Geld locker gemacht. Aber diese Form der Organisation sei bestimmt nicht für alle Projekte etwas. Man müsse gut überlegen, welche Rechtsform am besten passt. Auch ein Verein oder eine Genossenschaft sind denkbar.
  5. Gute Vorbilder: Um alle in der Gemeinschaft zu überzeugen hilft es, sich Vorbilder zu suchen. Positive Beispiele aus anderen Gemeinden oder auch sogar aus dem eigenen Dorf. In Benstrup haben schon vor etwa 15 Jahren 40 Dorfbewohner gemeinsam das alte Pfarrhaus der Kirchengemeinde gekauft, um es vor dem Abriss zu retten. Es wurde renoviert. Heute ist es vermietet - und das investierte Geld längst wieder drin.
  6. Fördermittel beantragen: Es gibt zahlreiche öffentliche Förderprogramme für die Dorfentwicklung, Dorferneuerung oder zur Förderung des ländlichen Raums. Die Benstruper haben verschiedene Anträge gestellt, wegen der Organisationsform der KG waren aber nicht alle Programme passend. Hier lohnt es sich im Vorfeld genau hinzuschauen, meint Kessen, um jede Fördermöglichkeit zu nutzen.
  7. Kein Risiko: Der Laden - oder das Lokal - muss gut laufen. Wenn es schon vor der Übernahme durch die Dorfgemeinschaft nicht genug Kundschaft gibt, kann es schwierig werden. Vor allem aber wird es dann schwierig, einen Betreiber bzw. Pächter zu finden. Die Wirtschaftlichkeit muss gegeben sein, jeder Pächter muss auch Geld verdienen. In Benstrup ist das der Fall: Der Gasthof ist von Dienstag bis Sonntag immer gut besucht. Feste, Feiern, Proben und Versammlungen sichern eine Grundauslastung und entsprechende Einnahmen.
  8. Positiv denken: Oft ist es auch eine Frage der Mentalität – ist das Glas halb leer oder halb voll? Alfred Kessen ist sich sicher, dass es eine große Rolle spielt, mit welcher Haltung man an so ein Projekt herangeht. Die Benstruper seien von Natur aus optimistisch, sagt er. Das helfe enorm.
  9. Offene Kommunikation: Regelmäßige Versammlungen, Infoabende und guter Austausch innerhalb der Dorfgemeinschaft sind wichtig. "Ohne geht es nicht", sagt Kessen. Probleme und Sorgen kommen so schnell es geht auf den Tisch, alle sind gut informiert über den Stand der Dinge. Und ebenso wichtig: Keiner fühlt sich außen vor, jeder hat zu jeder Zeit die Chance, sich einbringen.
  10. Durchhalten: Es braucht einen langen Atem. Von der Idee über die ersten Pläne bis zur Umsetzung können nicht nur Monate sondern Jahre vergehen. Je nachdem wie viel Zeit der eine oder die andere investieren können, dauern manche Schritte länger oder es geht auch mal etwas ganz schnell. „Immer dranbleiben“, sagt Kessen. Und nicht aufgeben.

Die Initiatoren Alfred Kessen (L) und Peter Imbusch (R) beugen sich über den Grundriss des Gasthofes. © NDR Foto: Friederike Blömer
Die Initiatoren Peter Imbusch und Alfred Kessen beugen sich zum x-ten Mal über die Umbaupläne.
Wer will neuer Betreiber der Dorfkneipe werden?

Zwar ist noch einiges zu tun. Aber es geht voran. Jetzt braucht es nur noch einen Betreiber oder eine Betreiberin für das Benstruper Wirtshaus. Die Dorfgemeinschaft sucht Bewerber mit Interesse an ländlichen Strukturen und mit der Lust, das erfolgreiche Traditionskonzept weiterzuführen. Geboten werden ein komplett saniertes Gasthaus, vollständiges Inventar mit modernster Ausstattung und Technik, eine Wohnung - und natürlich eine Dorfgemeinschaft, die voll hinter dem Projekt steht.

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Das historische Rathaus von Osnabrück. © Stadt Osnabrück, Referat Medien und Öffentlichkeitsarbeit Foto: Dr. Sven Jürgensen
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Hallo Niedersachsen | 04.02.2023 | 19:30 Uhr

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