Fall Lorenz A.: Kritik an Ermittlung durch Polizei Delmenhorst

Stand: 30.04.2025 17:51 Uhr

Am Ostersonntag wurde der 21-jährige Schwarze Lorenz A. von der Oldenburger Polizei erschossen. Nun ermittelt Polizei gegen Polizei, doch beide Inspektionen gehören zur Polizeidirektion Oldenburg.

von Pascal Klug

Mehr als eine Woche ist seit dem Tod von Lorenz A. vergangen. Und die Kritik an den Ermittlungen wird von vielen Seiten immer lauter: Viele Menschen vor allem in den sozialen Medien bezweifeln die Unvoreingenommenheit der Ermittler. Der Hintergrund: Die nun ermittelnde Polizeiinspektion Delmenhorst gehört zu derselben Polizeidirektion wie die Polizeiinspektion Oldenburg. Dass die Ermittlungen in Delmenhorst geführt werden, habe die Behördenleitung der Polizeidirektion entschieden, teilte ein Polizeisprecher in Oldenburg mit.

Kriminologe übt Kritik an Ermittlungen

Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, erklärt, andere Bundesländer hätten spezialisierte Dienststellen, die in so einem Fall die Ermittlungen führten. Diese seien dann bei den Landeskriminalämtern angesiedelt oder sogar völlig selbstständig. "Man muss sagen, dass dieses Modell der benachbarten Dienststellen quasi das schlechteste Modell ist, das wir in Deutschland haben", sagt Singelnstein überzeugt.

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Starke Binnenkultur innerhalb der Polizei

Singelnstein forscht seit Jahren zu polizeiinternen Ermittlungen. Zum Einzelfall in Oldenburg könne er nichts sagen - er kenne aber die Strukturen und die Probleme, die damit einhergehen können: "Innerhalb der Polizei gibt es eine relativ starke Binnenkultur, einen starken Zusammenhalt. Und ein Ausscheren aus diesem Zusammenhalt wird unter Umständen auch negativ sanktioniert. Das ist aber nur ein Teil des Problems." Zudem müsse man sehen, dass Staatsanwaltschaften, die am Ende an diesem Ermittlungsverfahren entscheiden, eng mit der Polizei zusammenarbeiten würden. Für Singelnstein bedeute das, Staatsanwaltschaften und Polizei seien auf die gegenseitige Zusammenarbeit angewiesen, und das könne dazu führen, dass sie nicht ganz unvoreingenommen an solche Verfahren herangehen würden.

Fall Qosay K.: Damals ermittelte Oldenburg gegen Delmenhorst

Ähnliche Fragen zu den Ermittlungen der Polizei gab es im Jahr 2021. Damals ist in Delmenhorst der 19-jährige Qosay K. in Polizeigewahrsam gestorben. Er war nach seiner Festnahme in der Polizeiwache kollabiert und starb einen Tag später im Krankenhaus. Bis heute ist nicht klar, was genau passiert ist. Den beteiligten Beamten konnte jedoch kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten nachgewiesen werden. Im selben Jahr stellte die Staatsanwaltschaft Oldenburg die Ermittlungen ein. Damals hatte die benachbarte Polizeiinspektion Oldenburg ermittelt.

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Keine Anhaltspunkte für Bedrohung der Polizisten

Jetzt ermittelt umgekehrt Delmenhorst gegen Oldenburg - in einem Fall, der ähnlich wie damals Fragen offen lässt. Laut Aussage der Staatsanwaltschaft fielen am Ostersonntag fünf Schüsse, von vier Kugeln sei Lorenz getroffen worden. Drei Schüsse trafen ihn dabei von hinten: In die Hüfte, den Oberkörper und in den Kopf. Eine weitere Kugel streifte ihn am Oberschenkel. Es gebe bislang keine Anhaltspunkte dafür, dass Lorenz A. die Polizisten in der Situation, in der die tödlichen Schüsse fielen, mit einem Messer bedroht haben soll, heißt es von der Staatsanwaltschaft Oldenburg.

Skandinavisches Ermittlungsmodell als Vorbild

Andere Länder seien besser aufgestellt, sagt Michael Jasch. Der Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen verdeutlicht dies am Beispiel Skandinavien: "Dort gibt es Institutionen, in denen Staatsanwälte ehemalige Polizisten und auch Forensiker ermitteln, die nicht weisungsabhängig sind." Nach seiner Einschätzung könnten solche Fälle von vorgeworfener Polizeigewalt oder tödlichen Polizeischüssen dort besser unabhängig untersucht werden.

Behrens: "Rechtsstaat funktioniert"

Dass im Fall Lorenz A. nun innerhalb derselben Direktion ermittelt wird, sieht Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) unkritisch. Der Fall sei zwar dramatisch, doch der Rechtsstaat funktioniere: "Die Polizei in Niedersachsen hat selbst ein großes Interesse daran, dass der Fall in Oldenburg gut ermittelt und abgeschlossen wird, weil er wirklich dazu geneigt ist, das Vertrauen der Polizei zu beschädigen." SPD und Grüne haben im niedersächsischen Koalitionsvertrag die Schaffung eines neutralen Polizeibeauftragten vorgesehen - umgesetzt wurde dieser Plan bisher nicht. In anderen Bundesländern wie in Rheinland-Pfalz gibt es solche unabhängigen Ansprechpersonen bereits.

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