Die Fraktionsvorsitzenden ihrer Parteien Julia Willie Hamburg (Grüne) und Stefan Birkner (FDP) halten eine Pressekonferenz zur geplanten Klage vor dem Staatsgerichtshof gegen die Regierung. © dpa - Bildfunk Foto: Julian Stratenschulte

Grüne und FDP: Parteitage im Krisenmodus

Stand: 26.03.2022 16:06 Uhr

Niedersachsens Oppositionsparteien Grüne und FDP stellen sich an diesem Wochenende für die Landtagswahl am 9. Oktober auf. Beide Parteien arbeiten auf eine Regierungsbeteiligung hin.

von Angelika Henkel

Wer an die Regierung will, der muss Geschlossenheit zeigen - die Grünen haben diese am Freitagabend bereits unter Beweis gestellt. Das Spitzenduo und die ersten zehn Plätze der Landesliste wurden gewählt wie von vornherein ausklamüsert: Fraktionsvorsitzende Julia Willie Hamburg und ihr Stellvertreter Christian Meyer bekamen das Vertrauen der Basis. Die FDP hat am Sonntag Fraktionschef Stefan Birkner als FDP-Chef im Amt bestätigt.

Nähe in der Oppositionsrolle

Seit Jahren arbeiten beide Parteien auf eine Regierungsbeteiligung hin. Trotz aller Unterschiede gab es aus strategischem Kalkül längst Annäherungen im Landtag. Das lag nicht nur an der gemeinsamen Oppositionsrolle. In der Innen- und Rechtspolitik gibt es in beiden Parteien fast gleiche Auffassungen. In der Schulpolitik wurden geschickt gemeinsame Linien gefunden. Und auch bei anderen gesellschaftspolitischen Fragen stehen sich beide Parteien näher als viele meinen. Das macht mögliche Koalitionsverhandlungen für Grüne und FDP einfacher.

"Zeitenwende" behindert Programmideen

Nun beginnt die Zeit, in der es wieder um Unterschiede geht: in der Wirtschafts-, Energie-, Klima-, Verkehrs-, vor allem aber Corona-Politik. Das eigene Profil schärfen - dafür haben die inneren Zirkel der Parteien in mühevoller Kleinstarbeit intern an Texten geschliffen, um Wörter gerungen, Halbsätze gestrichen, gestritten und sich wieder geeinigt. Abseits von der Öffentlichkeit wurde die Kerner-Arbeit gerade fertig, als der Krieg in der Ukraine ausbrach, der nun auch manche strategische Aufstellung für die Landtagswahl in Frage stellt.

Realpolitische Herausforderungen

Natürlich bleiben beide Parteien rhetorisch bei ihrem jeweiligen Kurs. Doch realpolitisch ist alles anders. Und die erarbeiteten Konzepte passen nicht mehr recht in die neue Zeit des Krieges. Beide Parteien hatten als Leitsatz ein "Jahrzehnt der Investitionen" ausgerufen. Doch was wird davon bleiben? Egal wer ab Oktober die Geschicke des Landes lenken wird, wird nicht zu beneiden sein. Es droht eine schwere Wirtschaftskrise. Energie, Klima, Corona, Krieg, Migration - schon jedes einzelne davon ist eine Mammutaufgabe. Statt wohl austariert die Welt nach den eigenen Vorstellungen zu verändern - wie die Parteiprogramme es eigentlich vorsehen - wird es eine Mangelverwaltung geben, bei der viele Löcher zu stopfen, aber keine Extras möglich sein werden.

FDP reagiert mit Zehn-Punkte-Antrag

Die FDP reagiert auf die Zeitenwende in einem Ukraine-Dringlichkeitsantrag neben dem eigentlichen Wahlprogramm. Zehn Punkte, die die Partei jetzt fordert, von Sofort-Hilfe für Vertriebenen, Kommunen, Zivilschutz. Es sind zehn Punkte, die Unmengen an Geld verschlingen werden. Was bedeutet das für die Haushalts- und Steuerpolitik? Das sind unangenehme, offene Fragen. Die gibt es ebenso bei den Grünen. Sollte eine weltweite Ernährungskrise drohen, weil das Getreide der Ukraine fehlt, wird dann auch in Niedersachsen entgegen grüner Pläne die Bodennutzung intensiver werden müssen? Muss doch mehr statt weniger Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt werden, um mehr Erträge zu ernten? Die Grünen debattieren im Juni auf einem weiteren Parteitag über ihre Lösungen auf die Fragen der Welt.

Parteien müssen Krisenmanagement beweisen

Der Krieg in der Ukraine ist nicht nur weltpolitisch unkalkulierbar. Für die Landtagswahl im Oktober bedeutet er auch, dass das Agieren der Ampel auf Bundesebene vermutlich noch viel mehr als sonst in den Wahlkampf in Niedersachsen hineinreichen wird. Ob Robert Habeck und Anna Lena Baerbock als Bundesminister der Grünen oder Christian Lindner bei der FDP jetzt eine gute Figur machen, ist für beide Parteien weit wichtiger als sonst schon. Umfragen sahen bisher rot-grün oder ein Ampelbündnis als mögliche Regierung hierzulande voraus. Das Krisenmanagement beginnt für die Parteien in Niedersachsen allerdings schon jetzt mehr denn je. Viele der geglaubten Gewissheiten gehören in alte Zeiten, vor der "Zeitenwende" des Kriegsausbruchs. In den kommenden Monaten kann noch viel passieren.

Weitere Informationen
Die Spitzenkandidaten Julia Willie Hamburg und Christian Meyer (beide Bündnis 90/Die Grünen) stehen bei einer Pressekonferenz im Landtag in Hannover. © picture alliance Foto: Ole Spata

Grüne wählen Hamburg und Meyer zu Spitzenduo für Landtagswahl

Die Fraktionschefin erhielt am Freitagabend in Hameln 91,9 Prozent Zustimmung. Niedersachsen wählt am 9. Oktober den Landtag. (26.03.2022) mehr

Stefan Birkner (FDP), Fraktionsvorsitzender, jubelt beim Landesparteitag der FDP Niedersachsen. © picture alliance/dpa Foto: Ole Spata

Landtagswahl: Birkner zum Spitzenkandidaten der FDP gewählt

Die Liberalen wählen ihren Spitzenkandidaten und die Landesliste für die Wahl in Niedersachsen am 9. Oktober. (26.03.2022) mehr

Partei-Anstecker von der FDP und den Grünen mit Fragezeichen, Symbolfoto Koalitionsverhandlungen. © picture alliance Foto: picture alliance / CHROMORANGE | Christian Ohde

Landtagswahl 2022: Gelb-grüner Flirt auch in Niedersachsen?

Nach der Landtagswahl 2017 wollte die FDP mit den Grünen nicht sondieren. Das könnte bei der nächsten Wahl anders sein. (05.10.2021) mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 26.03.2022 | 12:00 Uhr

Mehr Nachrichten aus Niedersachsen

Die Feuerwehr löscht ein brennendes Wohn- und Geschäftshaus in der Innenstadt von Achim. © Nord-West-Media TV

Brand in Achim: Haus im Zentrum steht in Flammen

Die Polizei geht von Brandstiftung aus. Die Fahnder schätzen den Schaden auf mehrere Hunderttausend Euro. mehr