Grüne und FDP: Parteitage im Krisenmodus
Niedersachsens Oppositionsparteien Grüne und FDP stellen sich an diesem Wochenende für die Landtagswahl am 9. Oktober auf. Beide Parteien arbeiten auf eine Regierungsbeteiligung hin.
Wer an die Regierung will, der muss Geschlossenheit zeigen - die Grünen haben diese am Freitagabend bereits unter Beweis gestellt. Das Spitzenduo und die ersten zehn Plätze der Landesliste wurden gewählt wie von vornherein ausklamüsert: Fraktionsvorsitzende Julia Willie Hamburg und ihr Stellvertreter Christian Meyer bekamen das Vertrauen der Basis. Die FDP hat am Sonntag Fraktionschef Stefan Birkner als FDP-Chef im Amt bestätigt.
Nähe in der Oppositionsrolle
Seit Jahren arbeiten beide Parteien auf eine Regierungsbeteiligung hin. Trotz aller Unterschiede gab es aus strategischem Kalkül längst Annäherungen im Landtag. Das lag nicht nur an der gemeinsamen Oppositionsrolle. In der Innen- und Rechtspolitik gibt es in beiden Parteien fast gleiche Auffassungen. In der Schulpolitik wurden geschickt gemeinsame Linien gefunden. Und auch bei anderen gesellschaftspolitischen Fragen stehen sich beide Parteien näher als viele meinen. Das macht mögliche Koalitionsverhandlungen für Grüne und FDP einfacher.
"Zeitenwende" behindert Programmideen
Nun beginnt die Zeit, in der es wieder um Unterschiede geht: in der Wirtschafts-, Energie-, Klima-, Verkehrs-, vor allem aber Corona-Politik. Das eigene Profil schärfen - dafür haben die inneren Zirkel der Parteien in mühevoller Kleinstarbeit intern an Texten geschliffen, um Wörter gerungen, Halbsätze gestrichen, gestritten und sich wieder geeinigt. Abseits von der Öffentlichkeit wurde die Kerner-Arbeit gerade fertig, als der Krieg in der Ukraine ausbrach, der nun auch manche strategische Aufstellung für die Landtagswahl in Frage stellt.
Realpolitische Herausforderungen
Natürlich bleiben beide Parteien rhetorisch bei ihrem jeweiligen Kurs. Doch realpolitisch ist alles anders. Und die erarbeiteten Konzepte passen nicht mehr recht in die neue Zeit des Krieges. Beide Parteien hatten als Leitsatz ein "Jahrzehnt der Investitionen" ausgerufen. Doch was wird davon bleiben? Egal wer ab Oktober die Geschicke des Landes lenken wird, wird nicht zu beneiden sein. Es droht eine schwere Wirtschaftskrise. Energie, Klima, Corona, Krieg, Migration - schon jedes einzelne davon ist eine Mammutaufgabe. Statt wohl austariert die Welt nach den eigenen Vorstellungen zu verändern - wie die Parteiprogramme es eigentlich vorsehen - wird es eine Mangelverwaltung geben, bei der viele Löcher zu stopfen, aber keine Extras möglich sein werden.
FDP reagiert mit Zehn-Punkte-Antrag
Die FDP reagiert auf die Zeitenwende in einem Ukraine-Dringlichkeitsantrag neben dem eigentlichen Wahlprogramm. Zehn Punkte, die die Partei jetzt fordert, von Sofort-Hilfe für Vertriebenen, Kommunen, Zivilschutz. Es sind zehn Punkte, die Unmengen an Geld verschlingen werden. Was bedeutet das für die Haushalts- und Steuerpolitik? Das sind unangenehme, offene Fragen. Die gibt es ebenso bei den Grünen. Sollte eine weltweite Ernährungskrise drohen, weil das Getreide der Ukraine fehlt, wird dann auch in Niedersachsen entgegen grüner Pläne die Bodennutzung intensiver werden müssen? Muss doch mehr statt weniger Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt werden, um mehr Erträge zu ernten? Die Grünen debattieren im Juni auf einem weiteren Parteitag über ihre Lösungen auf die Fragen der Welt.
Parteien müssen Krisenmanagement beweisen
Der Krieg in der Ukraine ist nicht nur weltpolitisch unkalkulierbar. Für die Landtagswahl im Oktober bedeutet er auch, dass das Agieren der Ampel auf Bundesebene vermutlich noch viel mehr als sonst in den Wahlkampf in Niedersachsen hineinreichen wird. Ob Robert Habeck und Anna Lena Baerbock als Bundesminister der Grünen oder Christian Lindner bei der FDP jetzt eine gute Figur machen, ist für beide Parteien weit wichtiger als sonst schon. Umfragen sahen bisher rot-grün oder ein Ampelbündnis als mögliche Regierung hierzulande voraus. Das Krisenmanagement beginnt für die Parteien in Niedersachsen allerdings schon jetzt mehr denn je. Viele der geglaubten Gewissheiten gehören in alte Zeiten, vor der "Zeitenwende" des Kriegsausbruchs. In den kommenden Monaten kann noch viel passieren.
