Frauen im Parlament - Wird Niedersachsens Politik weiblicher?
In Niedersachsen sind von den mehr als acht Millionen Wahlberechtigten 50,6 Prozent Frauen. Im politischen Geschäft aber sind sie immer noch deutlich unterrepräsentiert.
Der Anteil der im Landtag vertretenen Politikerinnen liegt in der zu Ende gehenden Legislaturperiode 2017 bis 2022 bei gerade einmal 27,5 Prozent. Im Länder-Ranking nimmt Niedersachsen damit den viertletzten Platz der 16 deutschen Bundesländer ein.
Landtagspräsidentin bedauert geringen Frauenanteil im Parlament
Ein Umstand, den SPD-Politikerin Gabriele Andretta mit großem Bedauern sieht. Fast ein Vierteljahrhundert ging sie im Niedersächsischen Landtag ein und aus. Fünf Jahre ist sie jetzt schon Landtagspräsidentin. Das höchste Amt im Lande hatte sie zuvor schon als Vizepräsidentin inne. Sie scheidet jetzt auf eigenen Wunsch aus der Politik aus, nachdem sie bei fünf Wahlen in Folge Direktmandate in ihrem Göttinger Wahlkreis bekam.
Andretta zu Gleichstellung: "Die Ungeduld wächst"
Eine Bilderbuchkarriere. Politik für Frauen war ihr immer ein Anliegen. Doch ihr Traum von einem Paritégesetz, das für gleich viele Frauen und Männer in der Politik sorgen sollte, hat sich nicht erfüllt. "Jede Frau, die sich einsetzt für Gleichberechtigung, für Gleichstellung, weiß, es ist ein Ritt auf der Schildkröte. Und der Fortschritt ist nur sehr langsam, aber dennoch muss man dafür eintreten - im Blick zurück muss ich sagen, die Ungeduld wächst."
Die Provokation: Mit Baby im Landtag
Als Andretta in den Landtag einzog, provozierte sie enorm. Der Grund: ihre gerade acht Wochen alte Tochter Luna. Die musste im Landtag gestillt und gewickelt werden. Das fanden viele unerhört, auch Kollegen aus der eigenen Fraktion. "Es war - übrigens fraktionsübergreifend - das Gefühl, hier sind junge Mütter nicht willkommen. Frauen mit kleinen Kindern gehören nicht in die Parlamente. Das war damals wirklich, glaube ich, die Mehrheitsmeinung. Es gab keinen Wickeltisch, überhaupt keine Möglichkeit, auch mein Baby zu stillen", erinnert sie sich und berichtet, wie sie sich schwor, das zu ändern.
Grünen-Politikerin als erste Schwarze im Parlament?
Der Gegenwind, der ihr entgegen wehte, wurde Andretta nach eigenen Worten zum Motor. Ganz ähnlich erging es auch Djenabou Diallo-Hartmann. Die 37-Jährige ist Grünen-Landtagskandidatin für den Wahlkreis Garbsen/ Wedemark in der Region Hannover. Sie kam vor 17 Jahren aus dem westafrikanischen Guinea als Studentin nach Deutschland - und fühlte sich nicht willkommen als Mensch mit anderer Hautfarbe: "Ich habe mich als eine hier vor 17 Jahren Eingewanderte vor zehn Jahren entschieden, mich politisch zu engagieren, weil ich festgestellt habe, dass die Rahmenbedingungen für mich als schwarze Frau, als Mutter, eben nicht gleichberechtigt sind, wie für die Mehrheit der Gesellschaft."
Sie berichtet von fehlender Kinderbetreuung und von unangenehmen Erfahrungen mit Rassismus, die sie nicht einfach hinnehmen wollte. Jetzt ist sie als Grünen-Kandidatin auf Listenplatz 15 und hat gute Chancen, als erste Frau mit schwarzer Hautfarbe in den Landtag einzuziehen und die Dinge mitzugestalten. Chancengleichheit für alle Menschen ist ihr Anliegen.
CDU will ihr Frauenproblem lösen
Die CDU schickt diesmal so viele Frauen ins Rennen wie nie zuvor. Eine von ihnen ist die 60-jährige Rechtsanwältin Martina Machulla. Sie kam vor vier Jahren als Quereinsteigerin in die Politik und profitierte davon, dass die Partei beschlossen hatte, die Wahllisten im Reißverschlussverfahren aufzustellen wie SPD, Grüne und Linke auch: "Von daher haben dann eher ein paar Männer, die sozusagen eigentlich an der Reihe gewesen wären, ein bisschen dumm aus der Wäsche geguckt", schmunzelt Machulla und resümiert, dass sie zur richtigen Zeit in die Partei kam.
Politische Agenda aus eigener Betroffenheit
So unterschiedlich die politischen Ziele von Frauen je nach Parteifarbe sind, so sehr setzen sie alle auf bessere Rahmenbedingungen für Frauen. Auch Martina Machulla hat in ihrem Heimatort Neustadt am Rübenberge in der Region Hannover nicht lange gezögert, sondern die Initiative ergriffen, als sie keine Kinderbetreuung fand: "Ich war alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, habe mich selbständig gemacht, hatte keine Kindergartenplätze, habe einen Kindergarten gegründet." Zugleich, sagt sie, habe sie als alleinerziehende Mutter unmittelbar erfahren, was Frauen das Leben schwer macht. Auch ihr Beruf als Anwältin für Familienrecht habe ihr viele Einblicke verschafft, die ihr politisches Engagement nun prägten. Ihr Wahlkreis ist Linden-Limmer - ein hartes Pflaster für die CDU, doch Machulla nimmt die Herausforderung sportlich, erklärt bei Begegnungen auf der Straße immer wieder, wie wichtig ihr Integration und Bildung sind.
Landtagspräsidentin geht mit Hoffnung auf Wandel
Und Gabriele Andretta macht mit 61 Jahren nun Platz für Jüngere. Ihr folgt, das war ihr wichtig, eine Frau im Wahlkreis Göttingen. "Jetzt sind andere dran", sagt Andretta und hofft dabei, dass die Frauen, die nach ihr kommen, auf weniger Widerstand stoßen. Andretta will wieder wie früher in der Wissenschaft arbeiten. "Und wenn ich die Kollegen ärgern will“, sagt sie schmunzelnd, "schreibe ich ein Buch".
