FDP-Fraktionsvorsitzender Stefan Birkner steht am Rednerpult des Niedersächsischen Landtags. © picture alliance / Fotostand | Fotostand / Matthey Foto: Fotostand / Matthey

FDP - eine Bilanz nach fünf Jahren Opposition

Stand: 04.09.2022 11:00 Uhr

Die FDP hat ihre Oppositionsrolle im Niedersächsischen Landtag in den vergangenen fünf Jahren ausgefüllt. Beispielsweise in der Corona-Politik zeigte sie der Landesregierung Grenzen auf.

von Antje Schmidt

Fünf Jahre haben FDP und Grüne im Landtag einen mühevollen Kampf geführt als Gegner einer Großen Koalition aus SPD und Union. Er ließe sich vergleichen mit den Mühen Davids gegen Goliath, denn lediglich 23 Sitze haben FDP und Grüne zusammen im Parlament, gerade mal knapp 17 Prozent der Mandate. Ist das zu wenig, um wirklich etwas zu bewegen? Eine Bilanz.

Die Ausgangslage

Porträtaufnahme von Antje Schmidt © NDR
Antje Schmidt zieht Bilanz der Oppositionsarbeit der FDP.

Als am 15. Oktober 2017 die Wahlzettel ausgezählt werden, kommt die FDP auf 7,5 Prozent der Stimmen. Sie verliert 2,4 Prozent gegenüber der Wahl von 2013. Das Angebot zusammen mit SPD und Grünen in einer Ampelkoalition zu regieren, lehnen die Liberalen ab. Die Begründung klingt eitel: Die FDP stünde Rot-Grün für eine Mehrheitsbeschaffung nicht zur Verfügung, erklärt damals der niedersächsische FDP-Chef Stefan Birkner. Dabei wären zwei Ministerien drin gewesen. Doch für die FDP sind die politischen Unterschiede zu groß, insbesondere zu den Grünen. Zu groß jedenfalls, um über den liberalen Schatten zu springen. Ein Beispiel: Die FDP als Partei des Besitzbürgertums, der Freiberufler und Selbstständigen bedient mit ihrem Selbstverständnis traditionell eine überwiegend männliche Wählerschaft. Dieses Denken spiegelt sich auch in der stark männlich geprägten Parteiführung wider. Unter den elf Fraktionsmitgliedern finden sich aktuell nur zwei Frauen. Bei den Grünen ein völlig anderes Bild. Hier liegt die Frauenquote im Landtag bei 50 Prozent. Auch wenn diese Gleichheit gelegentlich konstruiert erscheint, die Wählerschaft ist überwiegend weiblich und will sich im Parlament wiederfinden.

Die Oppositionsarbeit

Aufgabe der Opposition im Landtag ist es, als Gegenspieler der Regierungsmehrheit deren Versäumnisse aufzuzeigen. Die FDP nimmt diese Aufgabe wahr. Sie gibt sich, wie auch im Bund, als Klientelpartei: Tempolimit, nein danke! Klimaschutz durch Investition, Abbau von Bürokratie, Privatisierung, Deregulierung. Über allem schwebt ein Freiheitsgedanke, der aus einem Lexikon für freie Marktwirtschaft entspringen könnte. Dennoch beachtlich: Im Laufe der vergangenen fünf Jahre kommen sich die beiden Oppositionsparteien FDP und Grüne näher, nach dem Motto: nichts eint stärker als ein gemeinsamer Feind. Doch der Reihe nach.

Birkner wirft der Landesregierung Mittelmaß vor

Fraktionschef Stefan Birkner nutzt jede Gelegenheit, der Landesregierung Mittelmaß vorzuwerfen. Insbesondere in wirtschaftlichen Belangen. So drängt er beispielsweise auf mehr Schuldentilgung im Parlament bei der Verabschiedung des Haushalts 2019. "Der höchste Berg in Niedersachsen ist nicht der Wurmberg, sondern der Schuldenberg", wettert Birkner im Dezember 2018 im Parlament und wirft der Landesregierung zugleich arrogantes Verhalten vor, weil sie sich durch die Oppositionskritik nicht beeindrucken lässt.

Neues Polizeigesetz: FDP und Grüne laufen Sturm

Als im Landtag Ende Mai 2019 ein neues Polizeigesetz beschlossen wird, laufen FDP und Grüne dagegen Sturm. Die Beschlüsse gehen beiden Oppositionsparteien zu weit. Darin enthalten ist etwa eine Präventionshaft von 35 Tagen für islamistische Gefährder. Der ehemalige Staatsanwalt und Richter Stefan Birkner hält das gar für verfassungswidrig. Zusammen mit den Grünen will er das neue Gesetz vor dem Staatsgerichtshof in Bückeburg anfechten. Dafür bedarf es aber eines sogenannten Quorums, also ein Fünftel aller Stimmen der insgesamt 137 Landtagsabgeordneten, um solch eine Klage überhaupt in Gang setzen zu können. Schnell wird deutlich, dass es keine abtrünnigen SPD- und CDU-Abgeordneten gibt. Ein Quorum erreichen Grüne und FDP ohne weitere Unterstützer nicht. In dieser Situation signalisiert die AfD, dass sie sich als Unterstützer gerne zur Verfügung stellt, obwohl sie von ihrer Gesinnung her eine Verschärfung des Polizeigesetzes durchaus für richtig hält.

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Unterstützung durch die AfD: Birkner zieht die Reißleine

Die Grünen lehnen das Angebot kategorisch ab und die FDP? Sie überlegt, findet Argumente. Sowohl Birkner als auch andere Freidemokraten der Fraktion können sich eine punktuelle Unterstützung durch die AfD "der Sache wegen" vorstellen. Die Versuchung ist groß. Die FDP versteht sich schließlich nicht als Weltanschauungspartei, sondern als Interessenvertretung einer freiheitlich gesinnten Wählerschaft. Birkner brütet bereits über dem Endschliff der Antragsschrift für den Staatsgerichtshof. Dann zieht er doch die Reißleine. Im Herbst 2019 distanziert er sich von dem Gedanken, sich von der AfD unterstützen zu lassen. Er begründet seinen Sinneswandel damit, dass die AfD in den letzten Wochen eine rechtsextreme Gesinnung gezeigt hätte, die selbst eine "indirekte Zusammenarbeit nicht möglich" machen würde. Die Liberalen entgehen so knapp einem politischen Erdbeben.

FDP entdeckt Gemeinsamkeiten mit den Grünen

Neben der Kritik am Polizeigesetz zeigt die FDP erneut Gemeinsamkeiten mit den Grünen. Etwa was die Liberalisierung von Cannabiskonsum von Erwachsenen angeht oder das Werbeverbot für Abtreibungen. FDP und Grüne bringen die Große Koalition im Juni 2018 mit ihrem Antrag auf Abschaffung des Paragrafen 219a kurz sogar in Not. Die SPD unterstützt den Vorstoß, während die CDU ihn ablehnt. Niedersachsen muss sich bei der Abstimmung im Bundesrat enthalten.

Corona-Pandemie: Krisenmanagement ohne Parlamentsdebatte

Mit dem Ausbruch des Coronavirus in Deutschland im März 2020, drehen sich politische Entscheidungen auch in Niedersachsen fast ausschließlich rund um die Bekämpfung der Pandemie. Die Oppositionsarbeit befindet sich quasi im Homeoffice. Die Landesregierung erlässt eine Verordnung nach der anderen ohne sie im Parlament zu diskutieren. FDP-Fraktionschef Birkner zeigt sich hier erneut als engagierter Mahner. Er hält viele Einschränkungen für überzogen. Mit der Landesregierung geht er hart ins Gericht, rügt, dass Maßnahmen gegen Corona widersprüchlich und nicht nachvollziehbar seien. Immer wieder fordert Birkner eine Lockerungsperspektive. In der Schulpolitik kritisiert die FDP zudem eine zu langsame Digitalisierung und eine zu schwache Unterrichtsversorgung. Die liberale Fraktion fordert im Landtag mehrfach den Einsatz von Luftfiltern in Klassenräumen, was die Landesregierung zunächst als ein wenig effektives Mittel ablehnt, wofür sie im Herbst 2021 aber doch Geld freigibt.

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Erfolgreiche Klage gegen Corona-Politik vor dem Staatsgerichtshof

Grüne und FDP sehen sich bei den Corona-Verordnungen von der Landesregierung zunehmend übergangen und schlecht informiert. Im Mai 2020 wollen sie das Ganze nicht mehr mitmachen und wenden sich an den
Staatsgerichtshof. Per Eilantrag soll die Landesregierung gezwungen werden, den Landtag von ihren Planungen schneller in Kenntnis zu setzen. Insbesondere bei den Vorhaben, die bürgerliche Grundrechte einschränken. "Wir erfahren die Dinge erst, wenn sie bereits beschlossen sind. So geht das nicht“, kritisiert Birkner. Der Staatsgerichtshof prüft und gibt der Opposition im März 2021 recht. Das Verfassungsgericht stellt klar, dass auch in solchen Krisenzeiten Regierungen nicht einfach an den gewählten Parlamenten vorbeiregieren können. Ein deutschlandweit viel beachtetes Urteil. Vielleicht ist dies der größte Erfolg der FDP in ihrer Oppositionsbilanz.

Wo soll es hingehen?

Für die Landtagswahl im Oktober 2022 signalisiert der alte und neue Parteivorsitzende Birkner, dass die FDP mitregieren möchte. Sogar eine Ampel-Konstellation mit den Grünen können sich die Liberalen jetzt vorstellen. Ein echter Sinneswandel. Seit ihrer Landesvertreterversammlung im März 2022 ist die FDP zudem deutlich weiblicher. Von den 35 Mitgliedern der Führungscrew sind jetzt 13 Frauen - mehr als ein Drittel und fünf mehr als bisher. Doch ein inhaltlicher Paradigmenwechsel geht damit nicht einher. Sicherlich auch ein Grund, weshalb die Umfragewerte stagnieren. Birkner will zwar ein zweistelliges Wahlergebnis erreichen, doch das dürfte schwierig werden.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 01.09.2022 | 18:00 Uhr

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