Studie: Conti war "Rückgrat" der NS-Wirtschaft

Der hannoversche Autozulieferer Continental hat seine NS-Vergangenheit aufarbeiten lassen. Der Münchener Historiker Paul Erker kommt in seiner mehr als 850 Seiten umfassenden Studie zu dem Ergebnis, dass der Konzern eng mit dem nationalsozialistischen Regime verbunden und Teil der Ausbeutungsmaschinerie eines totalitären Systems war. Conti sei ein wichtiger Akteur in einer Branche gewesen, die "das eigentliche Rückgrat der nationalsozialistischen Rüstungs- und Kriegswirtschaft" bildete, so der Wissenschaftler. "Die Lektüre war an vielen Stellen sehr bedrückend", sagte Conti-Chef Elmar Degenhart, der die Studie am Donnerstag in Hannover vorstellte. "Es ist für mich gleichzeitig eine Mahnung und dazu ein Aufruf an alle Führungskräfte in Wirtschaft und Politik mit ihrer Verantwortung sehr sorgsam umzugehen."
Durchleuchtung längst überfällig
Erker arbeitete mehr als vier Jahre an der Studie "Zulieferer für Hitlers Krieg. Der Continental-Konzern in der NS-Zeit". Der Geschichtswissenschaftler recherchierte dafür unter anderem im Firmenarchiv der Hauptverwaltung in Hannover, aber auch in Frankfurt, Berlin, Babenhausen (Landkreis Darmstadt-Dieburg), Hamburg und im polnischen Posen. Die Forschungsarbeit bezieht neben dem Mutterkonzern die übernommenen Unternehmen VDO, Teves, Phoenix und Semperit mit ein - auf Wunsch von Auftraggeber Conti. Die Durchleuchtung des "dunkelsten Kapitels unserer Unternehmensgeschichte" sei überfällig gewesen, sagte Degenhart nun bei der Präsentation des Werks.
Kapitel Kriegswirtschaft und Arisierung

Über allem stand eine ökonomische Instrumentalisierung. Alle behandelten Firmen dienten, so die Studie, der Zulieferung von Konsum- und Rüstungsgütern im Dritten Reich. Sie bauten Reifen für Militärfahrzeuge, Panzerbremssysteme, Flugzeugteile, Steuergeräte für Raketen, Schuhabsätze für Armeestiefel und zu guter Letzt Gasmasken. Zuvor sei das Unternehmen auf Parteilinie gebracht worden. Jüdische Mitarbeiter und Manager verließen die Conti. Viele Führungskräfte traten der NSDAP bei. "Im Laufe der 1930er Jahre hat sich das Unternehmen dann aber selbst arisiert", sagte Erker. Täter und Betreiber von Diffamierungskampagnen mussten sich häufig verantworten. Das Management sei über weite Strecken "aktiv involviert" gewesen.
Kapitel Zwangsarbeiter
Der Konzern soll rund 10.000 Zwangsarbeiter eingesetzt und "bis zu Entkräftung und Tod ausgebeutet und misshandelt" haben, so Erker. Sie seien in der Fertigung von Gasmasken und bei der Produktion unter Tage eingesetzt worden. "Die damaligen Entscheidungen waren durch nichts zu rechtfertigen", sagte Degenhart. Über die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft hat Conti nach eigenen Angaben einen zweistelligen Millionenbetrag für die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter zur Verfügung gestellt. "Damit ist noch kein Schlussstrich gezogen", sagte Degenhart.
Kapitel Ausbeutung
Eine besonders groteske Geschichte habe sich im Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg nördlich von Berlin zugetragen - auf der sogenannten Schuhprüfstrecke. Gefangene mussten täglich stundenlang in Schuhen mit Conti-Sohlen um diese Prüfstrecke herum laufen, um die Leistungsfähigkeit des Materials zu überprüfen - bei jedem Wetter und täglich. Prügel waren vorprogrammiert. "Die jeweiligen Leiter waren für ihre Brutalität bekannt, und es gab zahlreiche Fälle vorsätzlicher Ermordung von dort eingesetzten Häftlingen", so Erker. "Und jede Runde kamen sie am Galgen des KZ-Lagers vorbei."
"Verantwortung und Zukunft": Conti will Werte stärken
Conti will die Ergebnisse der Aufarbeitung der Vergangenheit für die Sensibilisierung der Beschäftigten in der Zukunft nutzen. "Wir halten es nicht für opportun, unterschiedliche Gruppen der Gesellschaft auszuschließen. Rassismus ist unter keinen Umständen tolerierbar", sagte Degenhart. 2016 ist Conti mit einem Programm gestartet, das Nachwuchskräfte in die Auseinandersetzung mit der Firmenhistorie gebracht hat. 450 Auszubildende hätten seitdem dieses Programm in Hannover durchlaufen, hieß es. Es solle nun unter dem Titel "Verantwortung und Zukunft" weitergeführt werden - für alle Beschäftigten.
