Brustkrebs: Mit dem Stechpaddel in der Hand zurück ins Leben finden

Stand: 05.06.2023 06:35 Uhr

Junge Frauen mit Brustkrebs stemmen sich mit Sport gegen den Frust nach Diagnose und Therapie. Der Verein Pinke Zitronen bietet erkrankten Frauen ein vielseitiges Angebot, um wieder Kraft zu tanken. 

von Antje Schmidt

Vor vier Jahren trifft es Katharina Kulas wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie ist schwanger und bekommt die Diagnose Brustkrebs. Zwischen Operation und Chemotherapie bringt sie ihre Tochter zur Welt. Nach zwei Jahren gefühltem Daueraufenthalt in der Klinik ist sie nicht nur körperlich, sondern auch psychisch am Tiefpunkt. In dieser Situation wird sie von Nicola Jahnke-Sieche angesprochen. Nicola ist die Gründerin des Vereins Pinke Zitronen in Hannover, einer Selbsthilfegruppe für junge an Brustkrebs erkrankte Frauen. Sie schlägt Katharina vor, zum Drachenboot-Training an den Maschsee zu kommen. "Zuerst war ich unsicher, ob ich das körperlich überhaupt schaffe. Doch nach dem ersten Training wusste ich, dass mir das guttut. Ich habe Nicola gefragt, ob ich wiederkommen darf", erzählt sie. Von da an ging ihr Leben wieder bergauf.

Brustkrebs: Selbsthilfegruppen helfen, gesund zu werden 

Den Verein Pinke Zitronen gibt es seit 2017 - eine von etwa 7.000 bis 10.000 Selbsthilfegruppen in Niedersachsen. Eine grobe Schätzung, weil genaue Zahlen nicht erhoben werden. "Jedes Jahr kommen Gruppen hinzu, andere lösen sich", berichtet Dörte von Kittlitz vom Selbsthilfe-Büro Niedersachsen. Nach Corona seien einige Gruppen zerfallen, doch derzeit gebe es wieder viele Neugründungen. "Es ist ein großer Bedarf da, sich auszutauschen und gemeinsam etwas zu erleben", so Geschäftsführerin von Kittlitz. Mehr als 125.000 Menschen seien in Niedersachsen in einer Selbsthilfegruppe aktiv. Dabei gehe es nicht allein um Interessengemeinschaften nach Krebserkrankungen. Das Angebot sei breit gefächert. Auch für Angehörige und Freunde von erkrankten Menschen gebe es viele Möglichkeiten sich auszutauschen, zum Beispiel in Gruppen für pflegende Angehörige.

Aktiv aus dem psychischen Loch

"Die Gemeinschaft macht stark", berichtet der Vorsitzende der Niedersächsischen Krebsgesellschaft, Peter Meier. In einer Selbsthilfegruppe müsse sich niemand erklären. Die Gemeinschaft helfe, wieder gesund zu werden oder im Fall von Angehörigengruppen, gesund zu bleiben.  

Katharina Kulas spricht in einem Interview. © NDR
Katharina Kulas geht es durch die Gemeinschaft in der Gruppe viel besser.

Katharina Kulas hat sich in der Selbsthilfegruppe der Pinken Zitronen den Drachenbootfrauen Pink Dragonistas angeschlossen. Hier hat sie mehr als 20 neue Freundinnen gefunden. Seit sie Teil der Gruppe ist, geht es ihr viel besser, erzählt sie. Die heute 33-Jährige fühlt sich unterstützt. Dreimal pro Woche wird trainiert. "Wenn es einer der Frauen nicht gut geht, wird sie in den Arm genommen", erzählt Katharina Kulas. "Alle hier wissen, wie sie sich fühlt." 

Auf dem Wasser zählt nur die Gemeinschaft

Wenn es aufs Wasser geht, ist die Krankheit kein Thema mehr. Die Frauen tragen das rosa Drachenboot aus der Garage des Kanu Clubs Hannover, überqueren Rad- und Fußweg und lassen es langsam in den Maschsee gleiten. Mit routinierten Bewegungen steigen sie in das lange Boot, immer zwei Frauen teilen sich eine Sitzbank. Im Drachenboot geht es einzig und allein ums Team. Während des Trainings bleibt das Thema Krankheit an Land. An Bord zählt nur die Gemeinschaft. Die Frauen heben auf Kommando ihr Stechpaddel an, stoßen dann alle im gleichen Augenblick mit dem Paddel ins Wasser. Unzählige Arme, die sich mit feinmechanischer Präzision aufeinander abgestimmt in kreisendem Rhythmus bewegen. 

Erst hinterher in der Umkleide, so Katharina Kulas, tauschen sich die Frauen wieder aus. "Wir sehen uns so vernarbt, wie wir sind. In der Umkleide lässt man alle Hüllen fallen und kann auch mal ganz ehrlich fragen: Wie gehst du damit um?".

Die Pink Dragonistas paddeln sich an die Spitze

Gemeinsam fahren die Frauen auch zu Wettkämpfen. "Ein Ziel vor Augen zu haben, auf das wir hinarbeiten, gibt uns Kraft und Motivation“, erzählt die Gründerin des Vereins, Nicola Jahnke-Sieche. Als sie erkrankte, haben ihr die Ärzte wenig Hoffnung gemacht. Der Brustkrebs war bereit metastasiert, hatte also im Körper gestreut. Mittlerweile ist sie schon im achten Jahr körperlich stabil. Bei der Club-Weltmeisterschaft für an Brustkrebs erkrankte Frauen in Florida haben die Pink Dragonistas aus Hannover im vergangenen Jahr dreimal Gold geholt. 

Trainer Frank Stuhlmann bewundert die Tatkraft seiner Damenmannschaft. "Ich glaube, dass die Frauen den Kampf ihres Lebens schon gewonnen haben und dort auch das Letzte gegeben haben. Gerade dieser Biss ist gut für das Training."

Es gibt viele neue Gruppen, die sich psychisch unterstützen 

Die Selbsthilfegruppe macht nicht nur körperlich, sondern auch mental stark, bestätigt auch Dörte von Kittlitz vom Selbsthilfe-Büro Niedersachsen. Derzeit gründeten sich viele Gruppen, die sich psychisch unterstützen, erklärt sie. Wer sich informieren möchte, findet auf www.selbsthilfe-buero.de einen Überblick über das derzeitige Angebot an Selbsthilfegruppen in Niedersachsen. Dort finden Interessierte auch zahlreiche Angebote für Angehörige. Unter www.nds-krebsgesellschaft.de gibt es bei der Niedersächsischen Krebsgesellschaft weitere Informationen rund ums Thema Selbsthilfe.

Ehepartner und Freunde sind bei Wettkämpfen dabei

Bei den Pinken Zitronen finden interessierte Frauen ein vielseitiges Sportangebot: neben Paddeln auch Yoga und Lauftraining. Katharina Kulas verpasst keines der drei wöchentlichen Trainings auf dem Maschsee. Es ist "meine Me-Time", erzählt sie. Und das lässt sich auch mit der Familie vereinbaren? Katharina Kulas lacht: "Ja, sehr gut." Ihr Ehemann passt in der Zeit auf die gemeinsame Tochter auf. "Das macht er gerne", erzählt sie. "Mein Mann unterstützt das total. Während meiner Erkrankung war er teilweise hilflos und so kann er etwas für mich tun." Und bei Wettkämpfen fahren die Ehepartner und Kinder häufig mit. Auch unter den Männern haben sich Freundschaften gebildet. "Es ist oft ein großes Fest, wenn wir zusammenkommen"“, erzählt Nicola Jahnke-Sieche und Katharina nickt.

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Frau im pinkfarbenen Shirt hält eine rosa Schleife vor die Brust (Symbolbild Brustkrebs). © Colourbox Foto: -

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Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 05.06.2023 | 19:30 Uhr

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