Göttingen: Geburtshaus lehnt Geimpfte ab
Ein Geburtshaus in Göttingen lehnt offenbar Schwangere ab, die sich impfen lassen oder verlangt Blutproben wegen möglicher Nebenwirkungen. Eine fragwürdige Praxis, sagen Betroffene und Mediziner.
In der Schwangerschaft möchten Frauen alles richtig machen. Besonders in Pandemiezeiten. Auch die werdende Mutter Jasmin Hüttner will das. Nachdem die Ständige Impfkommission (Stiko) im September 2021 eine Empfehlung für Schwangere ausspricht, lässt auch sie sich impfen: "Ich wollte die Sicherheit, dass ich und das Baby geschützt sind. Dabei ging es nicht darum, irgendwo essen zu gehen oder so, sondern einfach um den eigenen Schutz."
"Musste mich anderweitig umsehen"
Zu dieser Zeit hatte sich Jasmin Hüttner bereits für eine Entbindung im Geburtshaus Göttingen entschieden. Eine Hebamme betreute sie dort bereits mehrere Wochen. Doch als sie dem Geburtshaus mitteilt, dass sie sich für eine Corona-Impfung entschieden habe, habe man die Weiterbetreuung dort abgelehnt, selbst nach der Stiko-Empfehlung. "Sie wollen weiterhin keine Geimpften nehmen und deswegen musste ich mich dann anderweitig umsehen", sagt Jasmin Hüttner. Die Schwangere sucht sich daraufhin ein anderes Geburtshaus.
Entbindung mit Hindernissen
Auch andere schwangere Frauen, die im Geburtshaus Göttingen entbinden wollten, erzählen von einer gegnerischen Haltung gegenüber unterschiedlicher Corona-Maßnahmen. Von Schwangeren, die geimpft seien, hätten Hebammen zum Beispiel Blutproben verlangt. Solche Proben soll das Geburtshaus damit begründet haben, dass durch die Corona-Impfung das Risiko für eine Lungenembolie oder für Thrombosen während der Geburt höher seien als bei Ungeimpften. Durch die Blutprobe sollte offenbar der Gerinnungsfaktor des Blutes überwacht werden.
Eine Weltsicht fern von Vertrauen
Mehrere Schwangere berichten dem NDR von dieser Praxis. Darunter auch eine Mutter, die unerkannt bleiben möchte: "Was mich daran verunsichert hat, war, dass es sich anfühlte wie in einer ganz anderen Realität zu leben und dass ich mir meine Geburt eigentlich in einem Umfeld vorgestellt hatte, das auf Vertrauen beruht. Diese Weltsicht war für mich so fern von Vertrauen", sagt sie.
"Selten unerwünschte Arzneimittelwirkungen"
Seit Herbst 2021 empfiehlt die Stiko auch Schwangeren die Impfung mit einem mRNA-Impfstoff. Die bis dahin gesammelten Ergebnisse von Analysen zur Sicherheit der Impfung zeigten, dass es danach selten zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen in Bezug auf die Schwangerschaft komme. Die vom Körper erzeugte Immunantwort sei bei Schwangeren ähnlich zur Immunantwort von Nicht-Schwangeren. Die Stiko verweist in ihrer Empfehlung auch auf Studienergebnisse, die zeigen, dass Schwangere nach einer Covid-19-Infektion häufiger mit schweren Komplikationen zu kämpfen hätten.
Stiko empfiehlt Corona-Impfung ab Woche 14 bei Schwangeren
Das Robert-Koch-Institut stuft die Schwangerschaft selbst als "relevanten Risikofaktor" für einen schweren Covid-19-Verlauf ein. Die vom Geburtshaus Göttingen offenbar beschriebenen Risiken einer Thrombose oder einer Lungenembolie wurden in einer US-amerikanischen Studie vor allem bei Frauen mit einer schweren Covid-19-Erkrankung festgestellt. Die Stiko empfiehlt Schwangeren die Impfung ab der 14. Schwangerschaftswoche.
Mediziner widersprechen Geburtshaus
Dr. Georg Fleckenstein ist Chefarzt für Geburtshilfe und Gynäkologie am evangelischen Krankenhaus Weende. Auch er beschäftigt sich regelmäßig mit dem Thema Corona in der Schwangerschaft, auch er hat bereits Blutproben von geimpften und ungeimpften Patientinnen ausgewertet: "In den bisherigen Blutproben konnte man keinen Unterschied zwischen dem Blut von geimpften und ungeimpften Schwangeren feststellen", sagt der Mediziner. Fleckenstein betont, dass das Risiko einer Thrombose oder einer Lungenembolie während einer Schwangerschaft grundlegend erhöht sei. "Das hat allerdings nichts mit der Impfung zu tun, sondern mit der Schwangerschaft an sich", so der Arzt.
Proben sorgen für Verunsicherung
Die vom Geburtshaus Göttingen geforderten Proben schätzt Fleckenstein als nicht notwendig ein. Allein die Forderung dieser Proben habe bei mehreren Müttern für starke Verunsicherung gesorgt, berichten sie. Und zu einem unguten Gefühl geführt, dass sie letztlich dazu bewogen habe, ihre Kinder in Krankenhäusern zur Welt zu bringen und von einer Entbindung im Geburtshaus Göttingen Abstand zu nehmen. "Für mich war es die richtige Entscheidung. Das merkte ich auch, sobald ich abgesagt hatte. Danach habe ich mich viel entspannter gefühlt", sagt die Mutter, die anonym bleiben möchte.
Verstöße gegen Corona-Auflagen?
Darüber hinaus berichten Mütter dem NDR, dass das Geburtshaus Göttingen offenbar weder die Maskenplicht einhalte, noch über ein klares Hygienekonzept verfüge. Stattdessen finde sich dort im Wartezimmer offenbar Literatur, die Corona eher verharmlose: "Zuerst ist mir aufgefallen, dass keiner da eine Maske trägt, zumindest vom Personal. Die anderen Frauen auch größtenteils nicht", erinnert sich eine Mutter. "Es standen auch so Bücher rum: Da geht es um eine parallele Corona-Erzählung, also zu einer alternativen Wahrheit sozusagen. Das ist mir schon irgendwie komisch aufgestoßen", erinnert sie sich. Dabei gelten für solche Geburtshäuser strenge Regeln: Eine Hygienekonzept ist Pflicht, wie auch das Tragen einer medizinischen Maske. Zudem gelten die Abstandsregeln. Trotz mehrfacher Anfrage lehnt das Geburtshaus Göttingen eine Stellungnahme zu den Vorwürfen ab. Auch schriftliche Fragen bleiben unbeantwortet.
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